Als sie ihn das erste Mal sieht, ist er nicht gerade so, wie sie sich den großen Sitting Bull vorgestellt hat. Statt eines indianischen Kriegshelden lernt sie einen älteren Mann (gespielt von Michael Greyeyes) kennen, der seinen Erdäpfelacker bestellt und der weißen Frau sehr grantig begegnet. "Ich bin von weither gekommen, über Berge und Flüsse", versucht sie lyrisch Konversation zu machen, und er entgegnet trocken: "Sie haben also den Zug genommen?"
Diese kleine Szene aus "Die Frau, die vorausgeht" deutet den Grundkonflikt dieses Streifens an: Eine weiße Frau aus der großen Stadt New York, die Malerin Catherine Weldon, trifft im Jahr 1889 auf Sitting Bull, jenen legendären Sioux-Anführer, der im Verbund mit anderen Stämmen 13 Jahre zuvor General George Armstrong Custers Armee bei der Schlacht am Little Bighorn River vernichtend besiegt hatte.
Gute Absichten, in Gestalt der Malerin Weldon, treffen auf betrogene Hoffnungen und Traumata, denn die Zeit der amerikanischen Ureinwohner ist unwiderruflich vorbei. Dafür haben die weißen Eindringlinge gesorgt. Weldon, nach liebloser Ehe kürzlich verwitwet, ist gegen alle Ratschläge ihrer Umgebung in den Westen gereist, um Sitting Bull als hohen Staatsmann in Öl auf Leinwand zu porträtieren, wie sie es in jungen Jahren auch schon mit Kongressmitgliedern und Senatoren getan hat. Sie ist eine von den naiven Progressiven im Osten, die der Meinung sind, man könne die amerikanischen Ureinwohner wie Menschen behandeln und die Ausrottung der Büffel und damit das Ende ihrer Lebensgrundlage sei Unrecht.
Dabei stehen die Ureinwohner doch nur dem Fortschritt im Weg, so der Konsens unter den Weißen, die schon länger im Westen sind. Und er, Sitting Bull, hat aufgegeben.
Die US-Regierung plant aber einen perfiden Trick, die verbliebenen Landrechte von den ohnehin schon in Reservate zurückgedrängten Stämmen weiter zu reduzieren. Catherine Weldon wird, indem sie Sitting Bull viel Geld für sein Porträt zahlt, zur wesentlichen Triebkraft für den Erschöpften, sich noch einmal aufzulehnen.
Außerdem ist da natürlich eine besondere Anziehungskraft zwischen den beiden so unterschiedlichen historischen Figuren. So zumindest erzählt es dieser Film von Susanna White, entstanden nach einem Drehbuch von "Locke"-Regisseur Steven Knight.
Dass die beiden Protagonisten in Wahrheit wesentlich älter waren als ihre Filmdarsteller, dass Weldon nicht verwitwet, sondern in zweiter Ehe geschieden war und mit politischem Auftrag der National Indian Defense Association anreiste, um die Lakota-Sioux bei der Verteidigung ihrer Landrechte zu unterstützen, und mit Sitting Bull schon zuvor brieflich korrespondiert hatte, all das lässt der Film weg.
Es ging also gar nicht zuvorderst um die Porträts, wie der Film glauben machen möchte, oder gar um irgendeine Romantik. Dennoch: Jessica Chastain und Michael Greyeyes spielen tapfer gegen den Kitsch des Drehbuchs an, der sich immerhin im Lauf des Films zu einer kämpferischen Geschichte entwickelt.
Der Film bemüht sich redlich, die Wirklichkeiten amerikanischer Ureinwohner zu umreißen, und findet sich damit in der guten Tradition linker Western wieder - wie etwa denen von William Wyler. Thematisiert wird sogar die Naivität der wohlmeinenden Weißen, die keine Ahnung von den verschiedenen Völkern und ihren Feindschaften und Traditionen haben - allerdings entgegen der historischen Catherine Weldon, die wesentlich kompetenter war als ihre Filmversion. Das ewige Motiv der weißen Retterin schafft "Die Frau, die vorausgeht" letztlich aber trotzdem nicht abzulegen.
Uneingeschränkt großartig ist dafür die Arbeit des britischen Kameramanns Mike Eley. Er löst sich immer wieder von einer bloßen Bebilderung der Geschichte und schaut hinaus in die Landschaft North Dakotas und New Mexicos - und diese Landschaft bekommt eine fast abstrakte Qualität. Aber dann krabbelt am unteren Bildrand ein gigantischer Heuschreck ins Bild und verdeutlicht: Noch hat hier die Natur die Oberhand. Doch dass das endet, ist nur eine Frage der Zeit.
Kino: "Die Frau, die vorausgeht". Westerndrama, USA , Großbritannien 2017. Regie: Susanna White. Mit Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds.