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Hochproblematische Gelüste: Ulrich Seidls Film "Sparta" feierte Weltpremiere

Ulrich Seidls Film "Sparta" feierte am Sonntag trotz Vorwürfen zu den Drehbedingungen Weltpremiere. Der Regisseur wählt mit dem Porträt eines Pädophilen nicht den einfachen Weg.

Ewald (Georg Friedrich), ein Mann mit pädophilen Neigungen, trainiert in Rumänien junge Burschen.
Ewald (Georg Friedrich), ein Mann mit pädophilen Neigungen, trainiert in Rumänien junge Burschen.

Ulrich Seidl legt gerne seine Finger in die Wunden der Gesellschaft. So schont der Regisseur sein Publikum auch mit seinem aufgrund von Vorwürfen zu den Drehbedingungen umstrittenen Film "Sparta" nicht. Das Pendant zu "Rimini" feierte am Sonntag beim Filmfestival von San Sebastián Weltpremiere. Ergründet wird eines der Tabuthemen schlechthin: Pädophilie.

In "Rimini" spürte Seidl dem abgehalfterten Schlagersänger Richie Bravo nach. In "Sparta", der im Wettbewerb von San Sebastián um die "Goldene Muschel" rittert, wird dessen Bruder Ewald (Georg Friedrich) schonungslos auf den Zahn gefühlt. Ewald ist wie Richie nach dem Tod der Mutter nur noch sporadisch wegen des einen oder anderen Besuchs des hochbetagten, dementen Nazivaters Ekkehard (Hans-Michael Rehberg) in Österreich anzutreffen. Er hält sich lieber bei seiner Freundin (Florentina Elena Pop) in Transsilvanien, im Zentrum Rumäniens auf.

Dort ist nicht nur die Gegend verwahrlost, auch die Beziehung der beiden hat schon bessere Zeiten erlebt. Sie versucht zwar mit so mancher erotischen Verlockung Ewalds erstarkendes Desinteresse abzuwenden, doch gelingen mag ihr das nicht. Und dem Publikum schwant schon bald, warum. Zu lange beobachtet der zurückhaltende Mittvierziger mit dünner, krächzender Stimme junge Burschen beim Fußballspielen, bei der Schneeballschlacht oder auch beim Schaukeln.

Langsam nähert Ewald sich ihnen an. Mit gebrochenem Rumänisch und unbeholfenen Berührungen strebt er danach, die Sympathien der Buben für sich zu gewinnen. Dabei ist er sich bewusst, dass seine zusehends an die Oberfläche drängenden Gelüste hochproblematisch sind. Immer wieder hält er inne, flüchtet beinahe panisch, um sich verzweifelt an den Kopf zu greifen. Ewald macht eine ehemalige Schule aus, die er mit Hilfe mehrerer Burschen aus der Umgebung zur Festung "Sparta" ausbaut. Dort trainiert er sie nicht nur im Judo, sondern lässt auch marschieren und gemeinsam duschen. Für die Buben bedeutet das auch Unbeschwertheit vom tristen Familienalltag, der von Schlägen und erzwungenem Alkoholkonsum geprägt ist.

Ulrich Seidl malt nicht schwarz-weiß - hier die nette Familie, dort der böse Pädophile. Das Grausliche und Verwerfliche lauert an jeder Ecke. Der Regisseur wirft die unschuldigen Burschen zwischen mehrere Übel und überlässt dem Publikum das Urteil, welches davon das geringere ist. Georg Friedrich setzt dem ausgefeilten Drama über den Schmerz, sich selbst zu finden, mit seinem bedrohlichen und doch seltsam zärtlichen Schauspiel die Krone auf. Fraglich ist, ob das Wohl der Laienkinderdarsteller beim Dreh dem ästhetischen Anspruch untergeordnet wurde. Seidl ist mit anonym erhobenen Vorwürfen von Drehbeteiligten konfrontiert. Zu wenig seien Kinder und Eltern über das Thema des Films informiert und zu wenig sei auf das Befinden der jungen Darsteller Rücksicht genommen worden. Der Regisseur weist dies strikt zurück.

Zur Weltpremiere seines Films ist Ulrich Seidl nicht angereist. Ihm sei klar geworden, "dass meine Anwesenheit bei der Premiere die Rezeption des Films überschatten könnte, während es jetzt an der Zeit ist, dass ,Sparta' für sich selbst spricht", gab der 69-Jährige in einer Aussendung bekannt.

Festivalbesucher und Kritiker reagierten jedenfalls begeistert. "In diesem Film wird auf sehr eindrückliche Weise gezeigt, wie sehr auch der Pädophile innerlich leidet, mit seinen Gefühlen und Vorhaben hadert, weil er weiß, dass es schlecht ist", erklärt Besucher Gonzalo Anton im Anschluss an die erste Filmvorführung. Die Journalistin Susanne Jaspers vom "Luxemburger Tageblatt" ist "positiv überrascht" von "Sparta". "Es ist ein Film, der nicht schockiert und sehr subtil und behutsam mit der Thematik umgeht, jedoch immer dieses unterschwellige Grauen hat, dass es jeden Moment schlimmer kommen könnte."

Der deutsche Filmkritiker Wolfgang Hamdorf ist sich sicher, dass die aktuellen Debatten um die Dreharbeiten in San Sebastián gar keine so große Rolle gespielt hätten. Für ihn sei "Sparta" der Film, der auf dem Festival bisher die meisten Fragen aufgeworfen und in seiner Form und vom Inhalt am meisten geleistet habe, sagte Hamdorf zur APA. "Sparta" läuft im Frühjahr 2023 in Österreichs Kinos an.

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