Es war Mitte September 2011, als der französische Schriftsteller Michel Houellebecq verschwand. Eigentlich hätte er auf Lesereise gehen sollen mit seinem Roman "Karte und Gebiet". Doch dann erschien er einfach nicht zu Terminen, sein Verleger konnte ihn nicht erreichen. In Kommentarspalten und Blogs blühten sofort Gerüchte auf: War Houellebecq untergetaucht? War er entführt worden? Bis heute ist nicht geklärt, was genau in diesen Tagen passierte.
Ein Film, der am Freitag in Wien in Anwesenheit von Houellebecq und dem Regisseur Guillaume Nicloux Österreich-Premiere feiert, erläutert eine Variante dessen, was passiert sein könnte: In "Die Entführung des Michel Houellebecq" spielt der Schriftsteller (möglicherweise) sich selbst, einen misanthropischen dünnhaarigen Kettenraucher, der nuschelnd zwischen Pariser Betonblumentrögen Rotwein trinkt und ebenso nuschelnd einem Fan darlegt, die Ausgabe des Romans, die er signieren soll, habe ein abscheuliches Umschlagbild. Er wird, soweit wird klar, gemocht von den Menschen in seiner Umgebung, auch wenn das unangebracht scheint gegenüber einem Mann, der so missmutig auf seine Umwelt blickt.
Und dann, wie selbstverständlich, kommen drei muskulöse Männer mit ihm in seine Wohnung mit und kleben ihm den Mund mit Klebeband zu. Denn das hier soll eine Entführung sein. Houellebecq aber wehrt sich nicht, sondern beobachtet die Vorgänge eher mit missgünstigem Desinteresse als mit Besorgnis. Die drei Männer packen ihn in eine Kiste und nehmen ihn aufs Land mit, wo die Vögel penetrant zwitschern.
Es ist die Idealvariante einer Entführung: Das Opfer bleibt kooperativ, bittet höflich um Zigaretten und Wein. Und die Entführer erkundigen sich interessiert nach seiner Motivation beim Schreiben von Romanen, nach seinem Stilwillen und ob die Sache sich bei seinen Gedichten anders verhalte. Und, abgesehen davon, trinke Houellebecq nicht ein bisschen zu viel? Es ist weniger das Stockholm- als das Parissyndrom: Nicht der Entführte wird zum Verteidiger seiner Angreifer, hier hegen die Kidnapper zunehmend warme Gefühle für ihr Opfer.
Eine Figur mit dem eigenen Namen zum Verschwinden zu bringen, das hat Houellebecq schon in seinem Roman "Karte und Gebiet" getan, wenn auch in einem ungleich grausameren Verbrechen. Nun aber wird die Entführung zur willkommenen Abwechslung vom Pariser Intellektuellendasein, mit Kidnappern, die mit einer warmherzigen Familie und originellen Hobbys aufwarten, ihrem Opfer zum Geburtstag eine sympathische Prostituierte engagieren und sogar den Hausarzt rufen, als Houellebecq Schmerzen im rechten Innenohr spürt. Aber wer soll denn nun eigentlich Auftraggeber dieser seltsamen Entführung sein, war es am Ende Houellebecq selbst, und alles ist nur ein PR-Coup? Dass der Houellebecq im Film ident mit dem echten Houellebecq ist, ist fast auszuschließen. Sicher ist jedoch: Der echte Houellebecq hat sehr viel Sinn für Ironie. Und bei dieser erstaunlichen Selbstdemontage zuzusehen macht ausgesprochen viel Spaß.
Kino: Die Entführung des Michel Houellebecq. Komödie, Frankreich 2013. Regie: Guillaume Nicloux. Mit Michel Houellebecq, Mathieu Nicourt, Maxime Lefrançois, Françoise Lebrun. Start: 30. 5.