"Brave" heißt der Film im US-amerikanischen Original, "Mutig". So ist auch die Heldin des neuen Pixar-Films, der seit Freitag in den Kinos läuft. "Merida - Legende der Highlands" ist eine Heldin mit Tugenden, die im Kino sonst nur selten als mädchenhaft gelten: Sie ist eine mutige Rebellin, die eine Ungerechtigkeit eben nicht hinnimmt und sich am Ende fügt, sondern sich auflehnt - und damit verbesserte Umstände für alle erwirkt. Das alles geschieht unter den Vorzeichen eines Märchens, und damit ist Merida eine Figur, wie es sie seit Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter kaum mehr gegeben hat.
Merida ist vierzehn Jahre alt, ein behänder Wildfang mit roten Locken, eine begabte Bogenschützin, begeisterte Reiterin, ungestüm und wagemutig. Sie ist die große Schwester dreier unfassbar frecher Buben und gerät nach ihrem Vater, einem großen Kämpfer.
Doch unglücklicherweise ist sie die älteste Tochter eines ehrwürdigen schottischen Heldengeschlechts und hat damit einer uralten Tradition zu genügen: "Eine Prinzessin hat nach Perfektion zu streben", bekommt sie von ihrer strengen Mutter gepredigt. Dabei sind Perfektion, schöne Kleider und makellose Umgangsformen ungefähr das Letzte, was Merida interessiert. Als ihr eröffnet wird, dass sie in naher Zukunft einen Häuptlingssohn eines der rivalisierenden Clans heiraten soll, um den Frieden zu sichern, erfasst sie kaltes Grauen: Ihre Freiheit ist ihr wichtiger als alles andere.
Als ein Bogenwettkampf veranstaltet wird, in dem sich die potenziellen Ehemänner beweisen müssen, beschämt sie die drei wenig aussichtsreichen Kandidaten, indem sie den Wettkampf mühelos für sich entscheidet: "Ich habe gewonnen - jetzt muss ich nicht heiraten!", lautete ihr Schluss, der alle Erwachsenen sehr empört.
"Merida" fischt mit der Geschichte um die schottische Prinzessin in für den Pixar-Mutterkonzern Disney typischen Gewässern: Von Schneewittchen über die Schöne und das Biest bis zu Arielle, Pocahontas und Mulan waren es in den Disneyfilmen immer wieder Mädchen, denen die Erzählung folgt. Kaum einmal ist die Geschichte aber so radikal wie hier: Merida negiert alle Erwartungen ihrer Familie, flüchtet auf ihrem wilden Pferd in den Wald und begegnet hier einer Magierin, die ihr einen Zaubertrank verkauft, der Meridas Mutter umstimmen soll. Was dann passiert, ist überraschend, hat mit einer pelzigen Verwandlung zu tun und ist untypisch für liebliche Prinzessinnen und Königinnen.
Lang war "Merida" als der erste Pixar-Film angekündigt, bei dem eine Frau die Regie führt, bis Brenda Chapman ihren Kollegen Mark Andrews an die Seite gestellt bekam. Dieser Wechsel bei der Zuständigkeit zog ein paar Holprigkeiten nach sich, die dem Film anzumerken sind: Ob ernstes Drama, übermütige Komödie oder magisches Märchen, "Merida" schwankt ein wenig zwischen den Genres, was manche irritiert.
Doch sie ist nicht nur die rebellische Prinzessin, sondern auch die Beziehung zu ihrer Mutter ist vielschichtig geblieben, beide sind sympathische Identifikationsfiguren voller Widersprüche und stellen althergebrachte Rollenvorstellungen auf die Probe.
"Merida" ist ein wunderbarer Film über die Selbstbestimmung und den Mut zum Bezweifeln von Traditionen: Merida muss nicht heiraten, sie muss kein romantisches Gegenüber finden, um zur vollwertigen Frau zu werden. Und wenn sie es doch will, dann nach ihren eigenen Regeln.
Merida. Animation, USA 2012. Regie: Mark Andrews, Brenda Chapman. In der deutschen Fassung mit den Stimmen von: Nora Tschirner, Bernd Rumpf, Monica Bielenstein, Arne Elsholtz, Hartmut Neugebauer. Start: 2. 8.