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Viennale: "Alpha" als staubige Parabel

Eine 13-Jährige lässt sich in den 80ern zugedröhnt auf einer Hausparty tätowieren. Die Mutter gerät in Sorge, grassiert doch ein mysteriöses Virus, das Menschen zu steinernen Statuen werden lässt. War die Nadel sauber? Ist Alpha infiziert? Diese Frage beschäftigt bald auch ihr Umfeld. Regisseurin Julia Ducournau ("Titane") vergisst für "Alpha" nicht auf ihre (Body-)Horrorwurzeln, packt aber eine gehörige Portion Nachdenklichkeit hinein. Am Sonntag und Montag bei der Viennale.

Aus Staub kommen wir, zu Staub werden wir
Aus Staub kommen wir, zu Staub werden wir

Ernst und kalt

Schon mit ihrem ersten Kino-Spielfilm "Raw" servierte die Französin Ducournau (41) ein erstes Gustostückerl für Fans ungewöhnlicher Horrorkost. Mit dem Gewinn der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen in Cannes 2021 wurde sie einem breiteren Publikum bekannt - und begeisterte und verstörte mit dem Film "Titane" gleichermaßen. Für "Alpha" schraubt sie Brutalität und Horror zurück. Ernst und traumatische Erinnerungen durchziehen die in äußerst kalte Bilder gegossene Arbeit.

Die Handlung ist unverkennbar an die Aids-Epidemie angelehnt. Massen siechen in den Krankenhäusern, immer weniger Personal nimmt sich ihrer an. Ein Heilmittel scheint für die zusehende Versteinerung der Infizierten, die beim Husten aus dem Mund stauben, nicht gefunden. Ohnehin verrät Ducournau nicht viel über die Welt, in die sie ihr Familiengespann aus Tochter Alpha (Mélissa Boros), Mutter und Ärztin (Golshifteh Farahani) und drogenabhängigem Onkel (Tahar Rahim) setzt. Fest steht: Es ist ungemütlich, windig, trostlos.

Blutend ausgegrenzt

Schwule Personen und Junkies werden aus Sorge vor einer Ansteckung gemieden. Und so ergeht es auch Alpha, deren frische, unseriös angefertigte Tätowierung immer wieder zu bluten beginnt. Mitschülerinnen wollen sie vom Schwimmbecken fernhalten, mit dem von ihr berührten Volleyball will niemand mehr spielen. Albträume, die ihren ganzen Körper zum Beben bringen, machen die Lage für sie nicht leichter - und die Sorge der Mutter immer größer.

In die Aufregung platzt zu allem Überfluss aus dem Nichts der Junkie-Onkel, dem Alpha anfänglich mit großer Skepsis begegnet. In der Mutter rufen die mögliche Infektion der Tochter und die Rückkehr des Bruders traumatische Erinnerungen wach. Der Film biegt in eine neue Richtung ab - und alles umweht ominöser roter Wind.

Dämon Vergangenheit

Ducournau skizziert anhand einer Handvoll Figuren eine Gesellschaft im Ausnahmezustand. So blutleer-kalt der Film auf der optischen Ebene ist, so warm pulsiert "Alpha" inhaltlich vor Liebe und der Sorge um die Nächsten. Der Horror entspringt der Unklarheit im Jetzt und dem Definitiven der Vergangenheit, die dämonengleich den Film durchzieht. Die Französin legt mit "Alpha" ihren bis dato schwersten und abgeklärtesten Film vor, der mit eindringlichen Bildern (Kamera: Ruben Impens) und starken Schauspielleistungen eine hohe emotionale Intensität erzeugt. Dieser Stoff verblüfft und lässt nicht so schnell wieder los.

(Von Lukas Wodicka/APA)

(S E R V I C E - Im Rahmen der 63. Viennale am 26. Oktober um 20.30 Uhr im Gartenbaukino und am 27. Oktober um 17 Uhr im Stadtkino zu sehen. www.viennale.at/)

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