Wecker: Sie brennt lichterloh, genauso ist es. Das Interessante - und das vielleicht ganz Neue in der Gesichte der Menschheit ist aber: Es interessiert keinen, es regt niemanden auf - zumindest nicht hier bei uns. In Spanien oder Griechenland, in Portugal oder Irland schon. Aber hier bei uns interessiert es ganz wenige Leute. Es wird einfach ausgeblendet.
SN: Was ist denn der Zündstoff, der Sie wütend macht?
Erstaunlicherweise ruft es keinen Schrecken hervor, dass nur ein Prozent der Bevölkerung so viel besitzt wie der ganze Rest. Und dass wir dabei sind, die Erde und alles, was auf ihr kreucht und fleucht, zu vernichten. Das ist doch unglaublich, dass sich darüber niemand aufregt.
SN: Worin sehen Sie dafür den Grund?
Zum Beispiel tourt ja gerade Helene Fischer. Sie füllt in jeder Stadt zwei Mal riesige Stadien, bricht damit Rekorde. Das sagt ja alles: Die Masse sehnt sich offenbar nach inhaltlosem Ablenkungskram. Wenn man im Rückblick etwa die Ideen von 1968 als Revolution ansieht, dann hat ungefähr 20 Jahre danach die Konterrevolution in Form des Neoliberalismus gesiegt. Da wurde ganzen Generationen zielsicher eingeredet, dass alles politische Engagement uncool und unsexy ist. Stattdessen geht es darum, gut auszusehen, sich gut anzuziehen, in Einkaufszentren herumzustreunen. Und das hat bestens funktioniert.
SN: Warum konnte das funktionieren?
Die Politik hat es versäumt, das System zu zügeln. Und dieses System ist nun ein komplett hemmungsloser Kapitalismus, das Primat der Ökonomie über die Politik. Wir und unsere Politiker haben zugelassen, dass sich dieses System absolut verselbstständigt.
SN: Und warum wehrt sich keiner?
Nun es gäbe schon Feinde, gegen die es sich zu kämpfen lohnt. Stattdessen aber werden die Ärmsten zu Feinden gemacht. Das zeigen ja auch in Österreich die Wahlergebnisse. Da ist der Feind dann eben der Flüchtling, der Ausländer. Und alles Fremde wird als Gefahr gesehen. Klassische Xenophobie anstatt humanistischer Vernunft.
SN: Es muss - singen Sie - eine Revolution geben, weil das System "abgewrackt und korrupt" sei und das System nichts ändern könne, weil es "selbst das Problem ist"
Wir müssen zurückschlagen. Ich will mich da gern als Revolutionär anbieten in dem Sinn, wie es im Lied besungen ist: ohne Führer, ohne Gewalt, mit einem anderen Bewusstsein. Es geht mir in meiner Kritik vor allem um ein System, dass anscheinend alles andere auffrisst. Ich bin sicher, dass die Revolution kommt, dass es einen Aufstand geben muss. Aber er darf nicht von rechts kommen, von den völkischen Dumpfbacken und den Rassisten. Dagegen muss man antreten, da muss man aufklären, auch als Dichter und Sänger.
SN: Deprimiert Sie, einen ewigen Kämpfer für Gerechtigkeit und Ungehorsam, der Zustand?
Ja, mittlerweile hat das auch etwas Deprimierendes da. Aber es weckt auch den Kampfgeist. Es macht wütender. Ich merke, dass ich wie auch verschiedene meiner politischen Vaterfiguren - etwa Kabarettist Dieter Hildebrandt - weit entfernt bin von jeder Altersmilde. Sicher könnte man fragen: Was hast du denn erreicht nach 40 Jahren? Was hast du bewirkt? Aber ich denke, man muss da umgekehrt fragen: Wenn es diese einzelnen Widerstände nicht gegeben hätte, wie sähe es dann erst aus?
SN: Ihre Waffe ist die Poesie. Sie sagen, wir sollten "Träumer" sein. Aber wie geht das zusammen, ein Lied für Novalis und dann gleich ein Song über Krieg, die totale Romantik und die brutale Realität?
Für mich ist es die einzige Möglichkeit. Novalis sprach von der "Poetisierung der Welt" - ein wunderschöner Ausdruck. Und die Frühromantiker wollten eigentlich eine Art Revolution hervorrufen. Sie standen für freie Liebe, Freiheit der Frauen, Freiheit des Geistes und sie wollten dafür als Poeten kämpfen. Ich wollte immer Poet sein, niemals Politiker, da bin ich nicht begabt. Aber ein politisch denkender Mensch bin und bleibe ich, einer, der unter Poesie auch Mitmenschlichkeit, Empathie versteht und auch Spiritualität. So bin ich für eine Revolution der Vernunft, des Bewusstseins und des Verstands.
SN: Zwei Elemente prägen Ihr neues Album: Wut, aber auch eine innere Ruhe. Wie passen die zusammen?
Ich weiß nicht, ob es tatsächlich eine innere Ruhe ist, aber jedenfalls ist es die Sicht eines älteren Mannes. Ich habe damals im Alter von 30 Jahren "Genug ist nicht genug" geschrieben und mein Ego war mir heilig.
SN: Hat ja auch lang gut funktioniert . .
Ja, das hat's. Und der Song ist auch ein guter Song für einen 30-Jährigen und ich singe ihn auch immer noch gern auf der Bühne, aber schreiben würde ich ihn nicht mehr so. Ich nehme mich selbst nicht mehr so ernst, ohne die Sache zu verraten.
SN: Sie gelten als Genussmensch, aber ein Blick auf Tourplan oder Homepage zeigt, dass Sie sehr viel arbeiten
Das mag sein. Es ist viel zu tun, und doch wundere ich mich immer wieder, dass in dieser Biografie so viel herausgekommen ist. Ich habe wohl viel gearbeitet, aber gleichzeitig sehr intensiv gelebt. Anscheinend habe ich gearbeitet, ohne es als Arbeit zu empfinden. Die Lieder für dieses Album habe ich in innerhalb von fünf Tagen geschrieben. Das war eine sehr intensive Zeit, ein Flow, wie man das Neudeutsch sagt.
SN: Klingt wie die Beschreibung eines Hochgefühls . .
Das ist es. Da fließt etwas auf mich ein, es ging etwas durch mich durch, das ich nicht im Griff habe. Diese Momente, diese Tage der kreativen Anfälle - das ist etwas, das ich nie voraussagen kann. Ich kann mich auch nicht hinsetzen und sagen: Jetzt will ich ein Gedicht schreiben. Das hat nie funktioniert.
SN: Wie passiert das sonst?
Es schreibt sich von selbst.
SN: Das heißt also, dass Sie sich ganz naiv auf den Prozess einlassen, eine Naivität, die Sie sich ja auch beim Blick auf die Welt erlauben
Mein Vater, der, je älter ich werde, immer wunderbarer erscheint, dieser sanfte, nicht patriarchale, nie autoritäre Mensch, sagte kurz vor seinem Tod zu mir: "Konstantin, wie kann man eigentlich das Leben überstehen, ohne naiv zu sein?" Das war wunderschön und immer mehr wird mir klar: Wir brauchen diese Naivität.
SN: Warum denn?
Naivität ist leider ein Schimpfwort geworden, das gilt heute als Weicheitum, so wie auch Pazifismus ein Schimpfwort geworden ist und verunglimpft wird. Wir brauchen die Naivität aber, um etwas zulassen zu können, dass größer ist als wir und das uns allen innewohnt. Wäre ich religiöser, würde ich von Gott sprechen. Aber da gilt für mich Krischnamurtis Credo: Allein schon zu sagen ich bin Hindu oder Christ ist eine Kriegserklärung. Es gibt etwas, das unsere Ratio nicht erfassen kann. Das ist eine Quelle, aus der Künstler immer geschöpft haben.
SN: Und Sie denken, die Menschen haben das verloren?
Die Naivität, diese Idee von etwas Größerem wurde uns ausgetrieben von einem System, das alles bloß auf die merkantile Verwertbarkeit ausrichtet. Es existiert aber auch etwas anderes, etwas, das ohne jedes Warum, ohne jeden bestimmten Zweck passiert. Darum heißt auch mein Album "Ohne Warum". Es geht darum, etwas zu tun, ohne zuerst gleich zu fragen: Hat es einen Nutzen? Bringt es mir etwas, einen Vorteil, vielleicht sogar finanziellen Gewinn. So verstehe ich Kunst: Wenn sie entsteht, kommt sie ohne Grund. Erst dann gehe ich auf die Bühne und will auch etwas bewirken.
SN: Was denn?
Ich will die Herzen meines Publikums erreichen. Aber zunächst einmal gibt es den Antrieb, dieses "Ohne Warum". Ich singe, weil ich ein Lied hab.
Zur Person: Konstantin Wecker, geboren 1947 in München, schreibt Gedichte. Vor gut 40 Jahren fing er damit an, diese Gedichte zu vertonen, weil er erkannt hatte, dass er so mehr Menschen erreichen kann. 1973 - er hatte schon diverse Musikengagements und Schauspielauftritte hinter sich - erschien sein erstes Album "Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker". Fortan gehörte der Vielarbeiter zur Elite der Liedermacherei. Seine Kunst - Lieder, Bücher, Schauspielerei, Kabarett - nutzte er stets auch dazu, eine Art schlechtes Gewissen einer ungerechten Welt zu sein. Vor wenigen Tagen erschien sein neues Studioalbum "Ohne Warum". Er ist derzeit auch auf Tournee u. a. am 19. Juli in Laufen bei Oberndorf (Schloss Triebenbach) und Anfang August in der Burgarena Finkenstein, am Linzer Domplatz, in Graz und Tulln.