Im polnischen Kattowitz wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Zeche ein neues Konzerthaus errichtet und Anfang Oktober vergangenen Jahres eröffnet. Und in Paris wurde kürzlich die neue Philharmonie, ein Gebäude von Jean Nouvel, feierlich eingeweiht. Neben der Architektur wurde auch jeweils die ausgezeichnete Akustik gelobt. Eben das ist ein Problem des fast 30 Jahre alten, größten Konzertsaals in München, der Philharmonie im Kulturzentrum Gasteig. Seit Jahren gibt es Initiativen für die Errichtung eines neuen Konzerthauses in der bayerischen Hauptstadt. Allen voran machte sich der Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons, stark dafür. Er wollte sogar das Preisgeld des Siemens-Musikpreises, immerhin 250.000 Euro, spenden, um die Realisierung eines Neubaus zu beschleunigen."Ein neuer, akustisch optimierter Saal"Umso bitterer muss es für Jansons und auch andere engagierte Musikerpersönlichkeiten wie Anne-Sophie Mutter sein, dass sich die bayerische Politik jetzt offensichtlich definitiv für eine mutlose Variante entschieden hat. Stadt München und Freistaat Bayern planen einen "neuen, akustisch optimierten Saal" in der alten Hülle der Philharmonie. Dies sagten Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Montag. Bei SPD, Grünen und Freien Wählern im Rathaus stieß die Entscheidung ebenso auf Kritik wie beim Bayerischen Rundfunk. BR-Intendant Ulrich Wilhelm sprach von einem schweren Schlag für die Orchesterkultur Bayerns. "Wir haben schon heute zu wenig Kapazität für große Orchestermusik in München, die Umbauzeit wird eine zusätzliche Lücke ins Konzertleben reißen."
Während sich Mariss Jansons bisher in Schweigen hüllt, äußerten sich der Bariton Christian Gerhaher oder die Weltklassegeigerin Anne-Sophie Mutter kämpferisch. "Ein Umbau ist kein neuer Konzertsaal", sagte Mutter am Donnerstag. "Zweifellos ist Seehofer wortbrüchig geworden." Die bloße Adaptierung der Philharmonie Gasteig wäre eine "katastrophale Fehlentscheidung".Das Versprechen Seehofers Gerhaher erinnerte Ministerpräsident Seehofer an sein mehrfach gegebenes Versprechen, einen echten neuen Konzertsaal zu bauen. Der Umbau des Gasteig sei Augenwischerei und kein neuer Konzertsaal. Besonders sorgt sich der Bariton um die Münchner Orchester. Wenn den Orchestern ausreichende Auftrittsmöglichkeiten fehlten, könnten sie ihre Abonnenten nicht mehr bedienen. Sinkende Einnahmen könnten dazu führen, dass die Politik letztlich die Orchester wegen mangelnder Rentabilität infrage stelle. Als Folge würden Musiker von Weltrang München verlassen, befürchtet Christian Gerhaher, der in München lebt.
Auch Medien wie die "Süddeutsche Zeitung" gingen mit der "Visionslosigkeit" und der "Großen Koalition der Kleingeistigkeit" der Politiker hart ins Gericht. "Deutschland: ein Oberjammergau", hieß es da. Andere Medien wie die Münchner "Abendzeitung", die erst scharf geschossen hatte, ruderten allerdings schon wieder dezent zurück. "Ist das der Untergang des Abendlandes?", wird polemisch gefragt. "Es ist besser, auf dem Teppich zu bleiben und nach vorn zu blicken. Und es kommt darauf an, wie der Beschluss umgesetzt wird."
Eben das ist eine bisher unbeantwortete Frage, welche die Sache zusätzlich aufheizt. Abgesehen von der mehrjährigen Sperre wären durch die Baumaßnahmen ebenso viele Bäume zu fällen wie bei einem von den Initiatoren herbeigesehnten Neubau eines Konzertsaals am Finanzgarten, sagen Insider. Es bestehe zudem die Befürchtung, man werde beim "Entkernen" zur Erkenntnis gelangen, das gesamte Gebäude abreißen zu müssen.Raten, die noch lange abezahlt werden müssenDas Gebäude ist im Besitz einer Leasing-GmbH. Die Stadt München muss noch jahrelang Raten abstottern, wobei es auch politische Verflechtungen mit der Stadtsparkasse als Hauptgeldgeber gibt. Und es geht um viel Geld, so oder so. Mit jährlich rund 750.000 Besuchern allein in den Veranstaltungssälen ist das Haus derzeit einer der erfolgreichsten Kulturbetriebe Deutschlands und beherbergt verschiedene Institutionen wie das Richard-Strauss-Konservatorium, das sich ebenso mit einem Aufschrei in die Diskussion einbrachte, die Volkshochschule oder die Stadtbibliothek. Und natürlich die Münchner Philharmoniker, die alternierend mit dem BR-Symphonieorchester Konzerte geben.
Seit der Errichtung vor 30 Jahren hält die Kritik an der im Vergleich unzureichenden Akustik an. Wobei das zu relativieren sei, sagt der Experte Karlheinz Müller, der als Akustiker die Herausforderungen an vielen Konzertstätten der Welt gemeistert hat. Für große Orchester mit großen Werken, etwa von Mahler oder Bruckner, sei die Philharmonie tadellos, für kleinere Ensembles mit vorklassischer Musik, Solisten oder Kammermusik sei die Akustik "ärgerlich". Es gebe viele gute Plätze, optisch sei man den Musikern nahe, akustisch aber weit weg, beschreibt Müller das Phänomen. Allerdings betont der Münchner, dass das Gebäude aus seiner Sicht "die beste Mehrzweckhalle der Welt" sei. Ein "Mini-Gasteig" daraus zu machen sei falsch.
