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75 Jahre Lucky Luke: Ein einsamer Cowboy wirft große Schatten

Lucky Luke hat Generationen von Comiclesern den Wilden Westen nähergebracht. Eine angemessen gelassene Würdigung zum 75. Geburtstag.

Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten, wird 75.
Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten, wird 75.
Album Nummer 100 vereint den frühen und den uns bekannten Lucky Luke.
Album Nummer 100 vereint den frühen und den uns bekannten Lucky Luke.
Comicstrip aus einem frühen „Lucky Luke“-Abenteuer.
Comicstrip aus einem frühen „Lucky Luke“-Abenteuer.

Lucky Luke oder Asterix? Diese Grundsatzfrage stellt sich wahren Liebhabern nie. Denn die Sprachkunst des Texters René Goscinny ist das verbindende Element der ungleichen Comichelden. Und das heißt in den meisten Fällen: Unterhaltung mit hohem Anspruch. Während die Abenteuer des kleinen Galliers quer durch Europa führen, uns den Kontinent und seine Geschichte näherbringen, reitet der Leser mit dem einsamen Cowboy durch die Weiten des Wilden Westens, Sehnsuchtsort jenseits des Atlantiks. Während sich Asterix mit der zornigen Energie des Widerstandskämpfers aus brenzligen Situationen befreit, ist Lucky Lukes größte Waffe die Gelassenheit. Und natürlich die schnelle Hand am Colt.

Am 14. November 1946 tauchte Lucky Luke erstmals in der belgischen Zeitschrift "Spirou" auf. "Arizona 1880" heißt das erste längere Comicabenteuer des Westernhelden, geschaffen vom Zeichner Maurice de Bévère, heute bekannt als Morris. Wie sehr sich die Figur von ihrer heutigen Gestalt unterschieden hat, lässt sich nicht nur an zwei fehlenden Fingern abzählen. Im 100. Album, das heuer zum 75. Geburtstag erschien, begegnet uns der Ur-Cowboy aus den ersten Abenteuern - ein glubschäugiger, pausbäckiger Typ ohne markante Haartolle. Nur das Outfit stimmt: gelbes Hemd, rotes Halstuch, weißer Hut.

"Ich hatte damals keinen Stil", sagte Morris über seine frühen Arbeiten, die von Disney-Figuren und Popeye beeinflusst worden seien. Doch Joseph Gillain, der Morris zu "Spirou" gelotst hatte, nahm sich des Talents an und unternahm mit ihm 1948 eine Reise durch die USA. Die Einflüsse, die Morris aufsog, bildeten die Basis seiner Comics. Den Cowboy sah er nicht als Karikatur, sondern als Synthese der Westernhelden: "Sehr groß, schlank, ein bisschen schlaksig, einsam."

Morris blieb in New York und lernte dort René Goscinny kennen. Ab 1955 schuf das Duo eine Wildwestwelt, die Generationen von Lesern mit einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten im Aufbruch vertraut machte. Aus erster Reihe konnte man die Erschließung der Vereinigten Staaten mit Eisenbahnschienen oder den großen Goldrausch beobachten - Geschichte, verpackt in unterhaltsame Geschichten. Morris und Goscinny bauten reale Figuren wie Buffalo Bill, Abraham Lincoln oder Mark Twain, aber auch Karikaturen von Schauspielern wie Jack Palance oder Lee Van Cleef in ihre Abenteuer ein.

Die Comics beziehen ihre Anziehungskraft aber auch aus Lucky Lukes Wegbegleitern. Jolly Jumper etwa, sein loyales Pferd, das mit erstaunlichen Fähigkeiten gesegnet ist und immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort steht. Oder Rantanplan, dieser herrlich törichte Hund, der sich Befehlen hingebungsvoll und in unbeirrbarer Gewissheit, das Richtige zu tun, widersetzt. Mit diesem tierischen Hofnarren konterkarierte Morris die Figur des treuen Begleiters, der seinem Herrchen bei der Bewältigung von Widerständen hilft - ob nun Tims Struppi oder Obelix' Idefix. Wiederkehrende Antagonisten findet Lucky Luke in den vier Dalton-Brüdern, die mit Zornbinkel Joe und Dumpfbacke Averall selbst ein starkes Gegensatzpaar enthalten. Kaum ein Bösewicht kann sich so liebenswert über die Vereitlung seiner Pläne ärgern wie Joe Dalton.

Lucky Luke gehört mit 300 Millionen verkauften Alben und diversen Animations- und Realverfilmungen längst zur Popkultur. Freilich wurde kein Darsteller - ob Terence Hill oder Til Schweiger - dieser Figur gerecht. Dieses Schicksal teilt Lucky Luke mit Asterix. Und ein weiteres: Nach dem Tod von René Goscinny 1977 konnte kein Nachfolger dessen sprachlich feine Klinge, dessen Witz erreichen.

Doch Lucky Luke ist nicht umzubringen. Er lebt, obwohl sein geliebter Glimmstängel 1983 durch einen Grashalm ersetzt worden ist, und er wird auch ein Jubiläums-Kochbuch und zeitgeistige Hommagen an die Zeichenkunst des 2001 verstorbenen Morris überstehen. Am Ende bleibt immer der Ritt in den Sonnenuntergang: "I'm a poor lonesome cowboy."

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