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Gauß, Knecht, Präauer: Prominente Autoren küren ihre Kandidaten für den Literaturnobelpreis

Einen Nobelpreis für Literatur gibt es heuer nicht. Das ist aber kein Grund, nicht ein bisschen herumzufragen, wer dringend einen bekommen sollte.

Der Autor Kazuo Ishiguro erhielt im Jahr 2017 den Literaturnobelpreis.
Der Autor Kazuo Ishiguro erhielt im Jahr 2017 den Literaturnobelpreis.

Eine Shortlist mit fünf möglichen Preisträgern hatte sich die Jury für den Literaturnobelpreis 2018 wohl schon zurechtgelegt. Dann erschütterte ein Skandal die Schwedische Akademie. Vorwürfe von sexuellen Übergriffen in 18 Fällen, Korruption und Machtmissbrauch wurden gegen Jean-Claude Arnault, Ehemann eines Akademiemitglieds, erhoben. Nach internem Streit und Rücktritten mehrerer Mitglieder setzte die Akademie die Verleihung des Literaturnobelpreises für 2018 aus. Arnault wurde mittlerweile wegen Vergewaltigung verurteilt. 2019 soll es einen Neubeginn für den Literaturnobelpreis geben. Die bislang letzten Preisträger waren Kazuo Ishiguro (2017) und Bob Dylan (2016).

Die SN-Kulturredakteure Bernhard Flieher und Clemens Panagl haben sich bei österreichischen Autorengrößen umgehört, wem sie einen Literaturnobelpreis verleihen würden.

Ilija Trojanow

Ich wähle Nuruddin Farah. In nunmehr 14 Romanen erhält er ein ganzes Land narrativ am Leben, seine einstige Heimat Somalia. Er umkreist die Themen Patriarchat, Diktatur und religiöser Wahn, somit zentrale Fragen unserer Gegenwart. Sein Blick ist psychologisch-intim wie auch politisch-weitsichtig.


Doris Knecht

Ich fürchte, ich werde in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren nicht darüber hinwegkommen, dass Philip Roth sterben musste, ohne je mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden zu sein. Das betretene Schweigejahr heuer ist auch insofern mehr als gerechtfertigt. Dementsprechend drängt es sich auf, jetzt sofort Schriftstellerinnen in Stellung zu bringen, die noch jung genug für eine intakte Chance sind, ihn irgendwann tatsächlich zu bekommen. Ich empfehle Chimamanda Ngozi Adichie.


Angelika Reitzer

Dass wir kurz vor der Frankfurter Buchmesse statt einiger immergleicher potenzieller Namen ein Gerichtsurteil lesen, nämlich zwei Jahre wegen Vergewaltigung für einen Mann der Schwedischen Akademie, sagt so viel aus über den Kunst-, Kultur- oder zumindest Literaturbetrieb, den globalen nämlich - gibt's sowas? Ich fürchte schon! Es ist das Jahr, in dem zumindest begonnen wurde, Missbrauch, chauvinistische Freundchenwirtschaft und strukturelle Gewalt nicht mehr zu dulden. Und in der Literatur? Die nächsten Nobelpreise können an große, poetische, mutige Schriftstellerinnen gehen, die viel über den Zustand der Welt und uns zu sagen haben und dies auf originäre Art und Weise tun - etwa an Marie NDiaye, die sich aus der französischen Provinz aufgemacht hat, um mit jedem ihrer Bücher weiter und wieder ins Herz der Finsternis vorzudringen. Oder an A. L. Kennedy: Oft hyperrealistisch, komisch und ernst, hart und zart, verbindet sie das gesellschaftliche Bewusstsein mit derart poetischer Kraft, dass man lange noch Kennedy-Sätze oder Kennedy-Geschichten, Konstellationen, Weltsicht mit sich trägt. Ihre Literatur ist eigentlich immer unberechenbar und anders/eigen, ob dies Metaphern betrifft oder die Kühnheit ihres weiten assoziativen Feldes - und kann auch nach vielen Büchern Misstrauen schüren.



Jochen Jung

Natürlich schaut man sich bei solcher Frage zunächst mal in der eigenen Umgebung um, und da wähle ich Florjan Lipuš. Er ist als slowenischsprachiger österreichischer Autor ein ausgezeichnetes Beispiel für den Blick der Betroffenen auf wesentliche Themen der europäischen Geschichte. Zudem ist er ein Meister konkreter Lebensschilderung und Perspektivenfülle. Spannung kommt bei ihm nicht aus dem sogenannten Plot, sondern aus dem Drama des Umgangs der Menschen miteinander und der wachen und lebendigen Sprache, die er dafür hat, auf Slowenisch ebenso wie in der Übersetzung.


Teresa Präauer

Ich beteilige mich nicht an öffentlichen Literaturpreisspekulationen, aber den Preis und die süße Mühe des Lesens zahlte ich zum Beispiel sehr gern für "Das große Heft" von Ágota Kristóf, das, bereits 1986 erschienen ist, doch kein Geheimtipp bleiben muss. Daher meine unzulässige Nominierung für eine Autorin, posthum und für nur ein Buch.


Klaus Zeyringer

Ein großartiger Humanist, Gelehrter und Erzähler ist Dževad Kara- hasan. In seinem umfangreichen Werk versteht er es, ungemein tiefgreifend die Welten des Orients und des Okzidents zu verbinden und darzustellen, indem er den Spannungsbogen seiner Sprachkunst über viele Jahrhunderte ausbreitet. Zugleich vermittelt er, auf welch schwankendem Boden Erinnerung und Erzählen stehen. Zuletzt erschien sein Roman "Der Trost des Nachthimmels" - gewiss ein Hauptwerk der Weltliteratur.


Sigrid Löffler

Meine Wahl fällt auf David Gross- man. Keiner hat sich tiefgründiger und wahrhaftiger mit Israel als einem seit je gefährdeten "work in progress" auseinandergesetzt als dieser israelische Autor - immer ausgehend von einem friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern.

Ferdinand Schmatz

Die Dichtung von Elke Erb entkleidet und verkleidet die Dinge und Wesen der Welt in sprachlich logischen wie geheimnisvollen Verzweigungen, die auf soziale, geschichtliche und ökonomische Verhältnisse der Gegenwart verweisen, sie unmittelbar darstellen und deren geschichtliche Wurzeln aufdecken.


Karl-Markus Gauß

Vielleicht wäre der Nobelpreis noch zu retten, wenn er endlich an Ngũgĩ wa Thiong'o verliehen würde. In der Gegenwartsliteratur gibt es bekanntlich nicht viel zu lachen; wer die Romane des 1938 geborenen Kenianers liest, kann aber gar nicht anders, als in das große Gelächter einzustimmen, mit dem er die europäischen Schurken und ihre afrikanischen Wiedergänger in die Flucht schlägt. Leichthin verbindet Ngũgĩ wa Thiong'o die Romankunst der westlichen Moderne mit dem mündlich weitergegebenen Erzählgut seiner Heimat, und da die Bewohner der reichen Hemisphäre das Lachen verlernt haben, sollten sie die Chance nutzen, es bei diesem Spracherotiker aus Afrika neu zu erlernen.

Gerhard Roth

Alle Autoren wünschen sich im Geheimen, dass sie selbst den Nobelpreis bekommen, da bin ich keine Ausnahme. Das ist nicht unangemessen, sondern ehrlich. Derzeit gibt es weltweit keinen überragenden Autor, niemanden, der oder die sich für diese Auszeichnung aufdrängen würde. Durch das Aussetzen leiden am meisten die Verlage und Buchhändler. In den vergangenen Jahren war die Vergabe eine Lotterie, das Lotteriebüro hat heuer geschlossen: Die Spieler müssen ein Jahr warten, bis sie wieder auf einen Pegasus setzen dürfen.

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