Menschen im Hotel - das ist ein beliebtes Sujet, sei es im gleichnamigen Roman von Vicki Baum oder in der TV-Serie "Hallo - Hotel Sacher … Portier!", ein Straßenfeger der 1970er. Im benachbarten Luxushotel Frohner lässt die österreichische Autorin Vea Kaiser ihren neuen Roman "Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels" spielen. Im Zentrum steht die junge Buchhalterin Angelika Moser.
Auf ihre Geschichte sei sie durch einen Gerichtsprozess gegen die ehemalige Chefbuchhalterin eines Wiener Nobelhotels gekommen, die eine Million Euro vom Geschäftskonto des Hotels auf ihr Privatkonto umleitete, erzählte die Autorin unlängst im Interview mit der "Presse": Vor Gericht habe die Buchhalterin erläutert, sie habe dies für ihren Sohn getan, aus falsch verstandener Mutterliebe. "Als ich den Bericht las, war ich hochschwanger und konnte sofort nachempfinden, dass man für sein Kind kriminell wird", sagte Kaiser. Man kann "Fabula Rasa" also als Gaunerinnenkomödie, Hotelroman oder Huldigung jener Mütter lesen, die wie Löwinnen für ihren Nachwuchs alle Reserven mobilisieren. Dieser Aspekt gelingt Vea Kaiser am besten.
Die 36-jährige Autorin hatte 2012 mit "Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam" ein viel besprochenes Debüt veröffentlicht und ließ darauf 2015 "Makarionissi oder Die Insel der Seligen" und 2019 "Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger" folgen. Über den weiteren Verlauf ihres Lebens mit Mann und Kindern hielt sie ihre Fans als Kolumnistin auf dem Laufenden. Viele Erfahrungen, die ihre alleinerziehende Hauptfigur des neuen Romans mit ihrem Sohn macht, scheinen aus dem eigenen Erleben gegriffen, so plastisch werden sie beschrieben.
Die bodenständigen Seiten eines Lebens, bei dem der alkohol- und drogensüchtige sowie notorisch unzuverlässige Kindsvater und die demente, zu derben Ausfälligkeiten neigende Mutter, die sich gegen ihre Pensionierung als Hausmeisterin wehrt, wichtige Nebenfiguren sind, werden in grellen Farben ausgemalt. Aber sie bleiben eine Kulisse, in die man als Leser nicht hineingezogen wird. Dass zwischen den Kapiteln Besuche der Autorin in der Justizvollzugsanstalt eingeschoben werden, bei denen quasi als Beglaubigung des Beschriebenen die verurteilte Betrügerin selbst zu Wort kommt, schafft mehr Distanz als Nähe.
Gut nachvollziehbar ist dagegen, wie leicht die lebenslustige, aber an sich gewissenhafte und gesetzestreue Frau auf die schiefe Bahn gerät: Der Chef des Grand Hotel Frohner, das alle Anstrengungen unternimmt, dem Hotel Sacher den Rang abzulaufen, aber auch der Eigentümerfamilie ein Leben in Saus und Braus ermöglicht, bittet Angelika Moser um kreative Buchführung - erst, um die Finanzlage des Hotels gegenüber einer angeblichen bevorstehenden Übernahme schlechter darzustellen, als sie ist, dann auch, um privaten Luxus als Betriebsausgaben zu verrechnen. Je mehr die Buchhalterin Vertrauen genießt und Kontrolle kaum mehr befürchten muss, desto mehr gerät sie in Versuchung, ihr eigenes Leben und das Fortkommen ihres Sohnes durch selbst bewilligte "Kredite" ein wenig abzusichern.
Vea Kaiser unternimmt alles, damit zumindest die Leser ihrer Protagonistin nicht böse sein können. Das bittere Ende kommt eh' bestimmt, ein wenig Träumen wird doch noch erlaubt sein?
Lesung:23. 10., Salzburg, Literaturhaus, 19.30 Uhr