Frank Staiger ist übersiedelt. Mit Freundin und Rennrad zog er nach Freiburg. An Mariä Himmelfahrt machte er sich auf zu einem Radtreff. Durch eine Zeitungsanzeige eines Radvereins wurde er aufmerksam. "Auch Nichtmitglieder willkommen", stand da. Gelegenheit also, in der neuen Fremde Brüder und Schwestern im Geist des Pedalrittertums zu finden. So harmlos beginnt Joachim Zelter seinen Roman "Im Feld".
Zunächst geht es um Feinheiten des Radfahrens. Um Trikots und das Verhalten in einer Gruppe. Um Tempo. Höhenmeter. Übersetzung. Um ein Peloton, das einem Ziel zustrebt. Um Windschatten. Es geht um die wenigen Worte, die bei einer solchen Ausfahrt schon als Kennenlernen gelten. Es geht ums Abchecken der Beinmuskulatur der anderen, weil man nur daran deren Stärke abschätzen kann. "Wiederaufrücken. Wind. Zurückfallen lassen." Darum geht es. Sonst müsste man absteigen. Aber es wird nicht abgestiegen. Auch nicht, als Landauer kommt und die Führung übernimmt. Joachim Zelter kennt sich aus im Feld. Er weiß, wie eine Radgruppe funktioniert. Er kennt die Spielchen. Er weiß, wann der Schmerz kommt. Und er weiß, wie man über den Schmerz hinausfährt, wie man alle Qual wegtritt. Und Zelter hat einen wachen Blick auf die Gesellschaft, auf die Anonymisierung, auf die Macht der Masse, auf diese eigenartige Lust nach einem starken Führer.
Zunächst ist Landauer, der die Gruppe später in eine Irrsinnsanstrengung führt, gar nicht da. Ein Mythos ist er. Es kursieren Gerüchte über seine Ausdauer, seinen unbeugsamen Willen, seine Lust, jeden Berg mitzunehmen. Sogar eine steile Rampe, der brutalste Aufstieg weit und breit, trägt seinen Namen. Wo andere absteigen, gibt er Gas. Ein Geist ist Landauer und als er - unbemerkt angekommen - die Ausfahrt anführt, beginnt eine Höllenfahrt hinter einem, dem plötzlich alle blindlings vertrauen, egal wie hart und schwer, ja brutal, es dahingeht.
Das Sausen des Feldes und das Surren der Ketten lassen sich da schnell als Getöse der Welt lesen. Autor Zelter verlässt mit seinem Protagonisten Frank Staiger als Ich-Erzähler flott das reine Radfahrfeld.
Sein Roman entwickelt sich zu einer Parabel über eine Gegenwart zwischen Leistungsdruck und blinder Obrigkeitshörigkeit. Landauer sei "ein Mann für Menschen, die ihr sonstiges Leben hassen". So folgt ihm das Feld bedingungslos, weil es ja scheinbar nichts zu verlieren gibt. Aber zu gewinnen gibt es bei solchen Ausfahrten außer Selbsterkenntnis auch nichts. Aber oft kommt die erst, wenn die Muskeln brennen und der Kopf leergefahren ist. Im Lauf der vielen Kilometer wird klar, dass Zelter kein Radbuch geschrieben hat, sondern eines, das mit der akribischen Kenntnis über das Radfahren einen Zustand der Welt erklärt, in dem in kollektiver Ohnmacht gern ein Führer verehrt wird. Dass Zelter als Autor für die Bühne und auch für Hörspiele perfekt mit der Dramatisierung von Texten umgehen kann, dass er die Dynamik einer Radgruppe aus eigener Leidenschaft genau kennt und sie in Worte übersetzen kann, macht seine Prosa enorm lebhaft, ja so spannend, dass man jeden Kilometer mit Vergnügen schluckt.
Am Ende sind es 345 Kilometer und 4367 Höhenmeter. Und es war "ein Himmelfahrtskommando". Und, so viel sei verraten, Landauer ist verschwunden.
Buch: Joachim Zelter, "Im Feld - Roman einer Obsession", Roman, Klöpfer & Meyer, Tübingen 2018.