Am 18. Dezember 2008 gab der große Alfred Brendel sein Abschiedskonzert im Musikverein in Wien an der Seite der Wiener Philharmoniker unter Charles Mackerras. Der Rückzug von der Konzertbühne bedeutete für den Pianisten jedoch nicht den Rückzug ins Privatleben, war der intellektuelle Musikdeuter seither doch weltweit als Essayist und Vortragender aktiv. Am 5. Jänner feiert Alfred Brendel, der einst Armin Thurnher gar zu einem Roman inspiriert hat, seinen 90. Geburtstag.
Erste Gesamteinspielung von Beethovens Sonaten
Auch wenn er nicht mehr öffentlich am Klavier sitzt, bleiben die Verdienste der sechs Jahrzehnte währenden Karriere des Musikers unvergessen. So war Brendel mitbeteiligt an der Etablierung der Schubert-Sonaten und des Klavierkonzerts von Schönberg im internationalen Konzertrepertoire. Er war auch der erste Pianist, der das Klavierwerk Beethovens in seiner Gesamtheit auf Schallplatte aufnahm, neben Schubert und Mozart ein weiteres Steckenpferd des Vielarbeiters.
Dass er dabei als Pianist nicht immer die erste Geige spielen muss, stellte er als Liedbegleiter mit Interpreten wie Dietrich Fischer-Dieskau unter Beweis. Und nicht zuletzt machte sich der charismatische und humorvolle Musikmensch auch als Autor einen Namen, was ihm anerkennende Beinamen wie "Klavierdenker" und "Tastenphilosoph" eintrug.
Kosmopolit lebt in London
Dabei lebt Brendel seit 1971 in London - und denkt auch nicht daran, daran etwas zu ändern. "Ich bin nicht jemand, der Wurzeln sucht oder braucht. Ich möchte so kosmopolitisch wie möglich sein. Ich ziehe es vor, zahlender Gast zu sein", hatte er zu seinem 80. Geburtstag der "Westdeutschen Zeitung" beschieden.
Dieses Weltbürgertum war dem späteren Klaviervirtuosen förmlich in die Wiege gelegt, entstammt er doch einer österreichisch-deutsch-italienisch-slawischen Familie und wurde am 5. Jänner 1931 in Loučná nad Desnou (Wiesenberg) in Mähren geboren, wo er seit 2005 Ehrenbürger ist.
Studium in Zagreb und Graz
Er studierte Klavier, Komposition und Dirigieren in Zagreb, bevor er nach Graz ging und sich bei Paul Baumgartner, Edwin Fischer und Eduard Steuermann weiterbildete. 1950 kam er nach Wien und entfaltete seit dieser Zeit seine international anerkannte Tätigkeit als Pianist, die ihm in Europa, der Sowjetunion, den USA und in Japan zu großen Erfolgen verhalf.
Vier Jahrzehnte war er bei den Salzburger Festspielen zu erleben. Und seit seinem ersten Klavierabend am 12. Februar 1957 hielt er der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien die Treue, wo er oft zu Gast war. Im Frühjahr 1965 und im Winter 1982/83 spielte Brendel an jeweils sieben Abenden alle 32 Klaviersonaten von Beethoven, 1988 führte er Franz Schuberts spätes Klavierwerk in vier Konzerten zyklisch auf.
"Nachdenken über Musik"
Auch mit Fernsehsendungen und Publikationen fand Brendel international Beachtung. Eine erste Sammlung seiner musikalischen Aufsätze erschien 1977 unter dem Titel "Nachdenken über Musik", im Schubertjahr 1978 produzierte er die Fernsehserie "Alfred Brendel spielt Schubert" mit Einführungen zu den einzelnen Klaviersonaten. 1990 veröffentlichte der Künstler in London sein zweites Buch "Sounded out", dessen deutsche Fassung "Musik beim Wort genommen" seit 1992 vorliegt. Seinen Bühnenabschied reflektierte er 2010 mit dem Sammelband "Nach dem Schlussakkord". Aber auch mit literarischen Texten trat Brendel an die Öffentlichkeit. So liegen von ihm etwa die Gedichtbände "Ein Finger zuviel" und "Spiegelbild und schwarzer Spuk" vor.
Ehrendoktorate und Ehrenmitglied
Für sein Können wurden Brendel zahlreiche Ehrendoktorate verliehen. 1998 wurde er überdies Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Zudem ist er Träger des Frankfurter Musikpreises, des Kommandeurkreuzes Erster Klasse und des Goldenen Ehrenzeichens der Stadt Wien, das ihm im Jahr 2010 überreicht wurde. 2004 erhielt er den mit 150.000 Euro dotierten internationalen Ernst-von-Siemens-Musikpreis, dem 2009 der renommierte japanische Praemium Imperiale, 2014 die Goldene Mozartmedaille der Stiftung Mozarteum und 2016 der Echo Klassik für sein Lebenswerk folgten.
Und Ehrungen für den Jubilar gibt es auch in Ö1. Der Kultursender gratuliert am 1. Jänner mit "Opus", bei dem Armin Thurnher ab 22.05 Uhr zu Gast ist, der 2009 seinen ironischen Roman "Der Übergänger" als Hommage an Brendel veröffentlichte. Am 4., 5. und 7. Jänner gibt es ein Brendel-Porträt im Rahmen des morgendlichen "Radiokolleg" zu hören. Und schließlich ist am 9. Jänner dem Geburtstagskind ein "Apropos Klassik" gewidmet, bei dem vornehmlich Salzburger Aufnahmen des Pianisten im Zentrum stehen.