Zunächst tritt die Regisseurin als berittene Fee der Vergänglichkeit auf und prüft das Raimund-Wissen der Besucher. Das Premierenpublikum kennt nicht nur die Klassiker, sondern auch den "Barometermacher auf der Zauberinsel" oder "Moisasurs Zauberfluch". Das Kindertheater-Feeling hält an, als der Vorhang aufgeht und sich Tanja Maderners poppige Ausstattung offenbart: ein bunter "Blumenfachhandel", in dem es Zauberrosen und Zaubertulpen gibt und die beiden Musiker Clemens Sainitzer und Alexander Yannilos in Blumenkostümen, die man zuletzt vom Kindergarten-Fasching in Erinnerung hat, an ihren Instrumenten sitzen. Willkommen im Flower Power Musical!
Schönes Paar mit 206 Jahren Altersunterschied
In diesem Ambiente, in dem der "Zauberer von Oz" ebenso spielen könnte wie "Alice im Wunderland", treffen Ferdinand Raimund und Anna Marboe aufeinander. Ein schönes Paar, ein streitbares Paar. Wenn nicht die 206 Jahre Altersunterschied wären. "Aber das hier wäre kein Raimundstück, / wenn sich unlösbare Probleme nicht in Luft auflösen ließen / durch das galante Fingerschnippen / einer Fee." Und ab geht es in eine irre Liebesgeschichte, in der die Hemmnisse, die die Liebespaare in Raimunds Stücken überwinden müssen, eingearbeitet sind.
Es geht um große Gefühle und große Literaturambitionen. Dass man sich nicht nur ein wenig lustig über Figuren und Feen oder über Raimunds Reime machen, sondern die Plots seiner Stücke auch in jeweils einem einzigen Satz zusammenfassen kann, beweist man erst gegen Ende. Nur an der "Unheilbringenden Zauberkrone" aus 1829 scheitert man, die "ist auch ohne Verfremdung wild genug". Da braucht man ein Flipchart, um gemeinsam alle Unklarheiten zu beseitigen.
Raimund rockt
Die Bühnenfigur Anna Marboe wird nicht von der Regisseurin selbst gespielt, die reiht sich neben ihren Kurzauftritten als Fee als Anna Mabo unter die Musiker ein und gibt mit eingebauten eigenen Songs sowie Hommagen an die berühmtesten Raimund-Lieder dem mitunter etwas wirren Geschehen ein musikalisches Rückgrat, das Haltung zeigt: Kein Grund zum Verbiegen! Das Altwiener Zauberspiel verträgt rockige Soundzutaten.
Co-Autor Vincent Sauer spielt die Anna mit mehreren Portionen Pathos, Schmalz und Queerness und wird in seiner Bühnenpräsenz und Wandlungsfähigkeit nur noch von Isabella Knöll übertroffen, die man aus ihrer Zeit am Volkstheater Wien in allerbester Erinnerung hat. Sie spielt Ferdinand Raimund, den ebenso verzweifelt Dichtenden wie Liebenden, der beim Poetry Slam in der Rhyme Time stets jämmerlich versagt. Sie holt aber auch die Trophäe für das schrägste Kostüm des Abends: Während Sauer als Jugend im gelben Bärenpelz fette Punkte macht, räumt Knöll als singender und tanzender Shrimps, eine kleine Huldigung an die Postdramatik, noch stärker ab. Nur der ihm zuvor versprochene Cowboyhut fehlte. Den herzuzaubern, dafür sollte sich in den kommenden Vorstellungen noch eine Fee finden lassen. Ansonsten darf man aber sagen: Chapeau! Das Unmögliche ist geglückt.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Ferdinand Raimund - Der Ganze. Das Musical - Eine Liebesgeschichte" von Anna Marboe und Vincent Sauer, Regie: Anna Marboe, Musik: Anna Mabo, Clemens Sainitzer und Alexander Yannilos, Ausstattung: Tanja Maderner. Mit: Isabella Knöll und Vincent Sauer, Koproduktion mit dem Schauspielhaus Salzburg im Rabenhof, Wien 3, Rabengasse 3. Uraufführung. Nächste Aufführungen: 9., 10., 21., 22.10., https://www.rabenhoftheater.com )