"Ich war für Physik begeistert und habe ein Doktorat in USA oder anderswo in Erwägung gezogen", beschreibt der charismatische Intellektuelle Wakartschuk, selbst Sohn eines Physikprofessors und späteren ukrainischen Wissenschaftsministers, seine Ambitionen im Gründungsjahr von Okean Elsy 1994. Er habe damals freilich nicht daran gedacht, dass seine Band zur - so nennt sie ein nächste Woche in seiner Heimat anlaufender Dokumentarfilm - "wichtigsten Gruppe der unabhängigen Ukraine" avancieren würde.
Rockstar mit kurzen Ausflügen in Politik
Dieser Status sei freilich gleichzeitig Ehre und Bürde. "Die Menschen beginnen dich nicht nur wie einen Musiker zu behandeln, sondern wie eine Person, die für viel mehr verantwortlich ist", schilderte er. Dies sei auch der Grund für Ausflüge in die Politik gewesen, zu denen es gekommen war, ohne dass er ein Verlangen dafür gehabt habe. 2007/8 und 2019/20 hatte Wakartschuk jeweils kurz dem ukrainischen Parlament angehört, bei den letzten Wahlen 2019 mit "Holos" ("Stimme") gar für die Etablierung einer neuen rechtsliberalen Parlamentsfraktion gesorgt.
Die wichtigste Errungenschaft seiner Band bestünde darin, dass sie es 30 Jahre lang geschafft habe, erfolgreich zu bleiben. "Da wir eine politisch sehr junge Nation sind, ist das für die zeitgenössische Ukraine etwas sehr Seltenes", erläuterte er.
Düstere Lieder fehlten bei Wiener Konzert
Mit einprägsamen Liedern, die Beziehungsgeschichten behandeln und sich vielfach durch nachsingbare Melodien auszeichnen, leistete Okean Elsy auch Maßgebliches bei der Popularisierung der ukrainischen Sprache unter jungen russischsprachigen Ukrainerinnen und Ukrainern. Mit symbolträchtigen Auftritten, etwa einem Unplugged-Konzert über dem Dnipro in Kiew zwei Tage vor Beginn der russischen Invasion 2022, brachte er die Stimmungslage der jungen Nation auf den Punkt.
Zuletzt wurden seine Songs düsterer: Trugen sie früher Titel wie "Fast Frühling" oder "Stadt des Frühlings", eine Hommage an seine Heimatstadt Lwiw, sang er 2024 in "Antwort" und 2025 in "Der Februar geht nicht vorüber" offen über den laufenden Krieg. Beide Lieder fehlten am Freitag im Wiener Konzert, bei dem die Band eher Hoffnung geben wollte und mit den Hits "Umarme mich" aus dem Jahr 2013 sowie "Alles wird gut" aus dem Jahr 2007 nach mehr als zwei Stunden einen programmatischen Abschluss wählte.
Optimismus und Pessimismus für Ukraine
"Das Wichtigste ist, dass die Ukrainer sich und der Welt bewiesen haben, dass sie widerstandsfähig sind und (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) Putin nie sein Ziel erreichen wird, die Ukraine als unabhängigen Staat zu zerstören", betonte Wakartschuk im APA-Interview. Freilich sei gleichzeitig ein sehr hoher Preis zu bezahlen, der noch höher werden könne, Menschen würden weiterhin sterben und das Land weiter leiden. Er selbst habe angesichts der aktuellen Situation aber gleichermaßen Optimismus wie Pessimismus.
Mit der aktuellen #HelpForUkraineTour wolle er einerseits Geld sammeln, mit dem der Schutz von Krankenwagen vor Drohnenangriffen verbessert werden solle, und andererseits für mehr Interesse an der Ukraine sorgen, erläuterte der Rockstar. Denn Nachrichten von der Front würden nach ein paar Monaten ermüden, daher sei die Softpower von emotional wirkender Musik umso wichtiger.
Currentzis-Softpower als Feindeswaffe
Zur Frage, was er über die geplante Nominierung des in Russland tätigen und zum Krieg gegen die Ukraine schweigenden Dirigenten Teodor Currentzis in die österreichische Kurie für Kunst denke, äußerte sich der ukrainische Musiker explizit: "Das ist für mich und die meisten Ukrainer keine Frage der Kultur, sondern eine Frage des Kriegs", sagte er. Wenn ein Staat zum Feind werde, dann verwandle sich alles mit ihm in Verbindung stehende, auch "Softpower", in eine Feindeswaffe. Aus ukrainischer Sicht habe man daher das Recht, Derartiges zu canceln und man werde auch die Partner der Ukrainer überzeugen, sich so zu verhalten.
Ob konkrete Personen talentiert seien oder warum sie sich wie verhalten, wolle er dabei nicht diskutieren. Er verwende seine Energie dafür, dass die Ukraine überlebe und den Krieg gewinne oder er unter gerechten Bedingungen zu einem Ende komme. Nach Kriegsende würde man freilich über diese Fragen sprechen: "Wir haben das auch im Zweiten Weltkrieg gesehen: Eine Diskussion während des Weltkriegs und zwanzig Jahre später waren völlig unterschiedliche Dinge", betonte Wakartschuk.
(Das Gespräch führte Herwig G. Höller / APA)
