Bescheidenheit zählt gemeinhin nicht zu den Grundtugenden großer Künstler. Friedrich Cerha war anders. "Ich rede nicht gern und lasse lieber die anderen reden", sagte er im SN-Interview anlässlich seines 90. Geburtstags. Als er auf seine schönsten Erinnerungen an Salzburg angesprochen wurde, verwies der Komponist weder auf die Festspielschwerpunkte zu seinen runden Jubiläen noch auf die Uraufführung seiner Oper "Baal" im Kleinen Festspielhaus, sondern auf das Jahr 1983: "Da haben wir mit der Unterstützung von Hans Landesmann ein Webern-Fest gemacht. Das war der 100. Geburtstag von Anton Webern, das war sehr schön."
Sinnlichkeit und Hintersinn waren Konstanten in seinem Schaffen
Den gebürtigen Wiener Friedrich Cerha verband mit der Zweiten Wiener Schule eine enge Beziehung. Als ein Schlüsselmoment der jüngeren Musikgeschichte gilt der 24. Februar 1979: In Paris wurde Alban Bergs Oper "Lulu" in ihrer vollständigen Gestalt zur Uraufführung gebracht. Eine vollständige Orchesterpartitur lag nur von den ersten beiden Akten vor. Cerha hatte sich nach dem Besuch einer Aufführung des Opernfragments 1962 zur Fertigstellung des dritten Akts nach Alban Bergs Particell entschlossen. "Was bringt die Vervollständigung an Gewinn?", formulierte Cerha die Kernfrage seiner Arbeit, deren Antrieb der Wille nach Authentizität bildete.

Der dramaturgische Gewinn von Cerhas Instrumentierung war unter anderem 2010 bei den Salzburger Festspielen und 2017 an der Wiener Staatsoper zu erleben. Die dramatische Linie und die Sogwirkung dieser Oper erschließen sich erst in der endgültigen Gestalt, von Cerha mit untrüglichem Sinn für Klangwirkungen verfeinert. Sinnlichkeit und Hintersinn sind Konstanten seines reichhaltigen Schaffens.
Cerha unterlag keinen Dogmen
Friedrich Cerha unterlag nie Dogmen, er nutzte Serialität oder Zwölftonkomposition im Sinne des jeweiligen Werks. Seine Opern bildeten Marksteine des Musiktheaters unserer Zeit, die - wie die umjubelte Uraufführung des "Baal" 1981 zeigte - auch Akzeptanz abseits elitärer Neue-Musik-Zirkel fanden. Ebenso bedeutend ist der groß besetzte Orchester-Zyklus "Spiegel", der im Vorjahr sechs Jahrzehnte nach seiner Entstehung auch in Salzburg zu hören war.
Eine Zentralfigur der österreichischen Musikszene der Nachkriegszeit
Eine Zentralfigur der österreichischen Musikszene der Nachkriegszeit war Cerha nicht nur als Komponist, sondern auch als Gründer des Ensembles "die reihe". Die Formation brachte die Werke der "verfemten" Tonschöpfer Schönberg, Berg und Webern ab 1958 zurück auf die Bühnen Wiens und konfrontierte unter Cerhas Leitung auch das Festspielpublikum regelmäßig mit dieser faszinierenden Musik.
In die Laufbahn des Komponisten sei er geschlittert, sagte Cerha einmal. Schöpferisch tätig blieb er bis ins hohe Alter - und hellwach. Nachdenklich stimme ihn, sagte der Komponist 2011 bei der Verleihung des Musikpreis Salzburg, "dass ich vor 55 Jahren mit meinen neuen Ideen auf Ablehnung gestoßen bin, und ein halbes Jahrhundert später bekomme ich Ehrungen und Aufträge - zu einem Zeitpunkt, wo ich das gar nicht mehr brauche".
Am Dienstag ist Friedrich Cerha kurz vor seinem 97. Geburtstag in einem Wiener Spital gestorben.