Starkes Bühnenbild öffnet Möglichkeitsräume
Mira König hat mit einem sechseckigen, aufklappbaren Turm ein viele Möglichkeitsräume entfaltendes Bühnenbild geschaffen, das den zahlreichen Deutungsebenen des Textes mehr als gerecht wird. Schauplatz ist eine Fabrik, in der Frauen Knöpfe sortieren. Die Außenhülle des Turms, hinter dem sich die Fabrik befindet, ist in schlichtem Grau gehalten, die Wände setzen sich aus zahlreichen als Schubladen getarnten Klappen zusammen, durch die die Frauen mit der Außenwelt kommunizieren können. Aus dem Inneren schimmert es golden. Im Laufe des Abends werden die Wände sich immer weiter öffnen und die kleine Welt der Frauen sich in den goldenen Spiegeln ins Unendliche vervielfachen.
So geht es nämlich auch den Frauen, die sich nicht nur in Männerbekanntschaften verstricken, sondern nach und nach verschwinden und sich in Knöpfe verwandeln, die über die ganze Welt verstreut werden, während die Zurückgebliebenen sich ihrer erinnern, indem sie neue Knöpfe nach den Verschwundenen benennen. Wie viel Bedeutung hat Aichinger in dieses Bild gelegt, ohne je konkret zu werden! Bald denkt man an die unter dem Nazi-Regime verschwindenden Menschen, aber auch an die Entindividualisierung des Menschen im industriellen Arbeitskontext. Wer kennt - damals wie heute - schon die Namen jener, die unsere Kleidung herstellen? Und wie wichtig ist es 80 Jahre nach Kriegsende, die Opfer des Nationalsozialismus nicht zu vergessen? Sowohl der Text als auch die Inszenierung entziehen sich eindeutigen Interpretationen.
Tiefer in den Aichinger-Kosmos eintauchen
Auch Kapitalismuskritik schwingt in so mancher Zeile mit: "Wenn ein Knopf eine Farbe hat, so hat er doch die anderen Farben alle auch. Und einer von ihnen kostet mehr als mein Wochenlohn", heißt es an einer Stelle. Aichinger selbst hat übrigens im Jahr 1947 im Rahmen eines Besuchs bei ihrer Zwillingsschwester Helga in London in einer Knopffabrik gearbeitet. Das Ensemble (Lukas Gander, Ivana Nikolic, Christoph Radakovits, Melanie Baljeet Kaur Sidhu und Johanna Wolff) trägt den 90-minütigen Abend mit großer sprachlicher Präzision und huldigt damit einem Text, der in dieser österreichischen Erstaufführung einer Wiederentdeckung gleicht.
In den kommenden Wochen wird der Aichinger-Kosmos noch weiter aufgespannt: Am 13. Oktober steht eine konzertante Lesung ihres großen Romans "Die größere Hoffnung" in einer Fassung von Anne Bennent, Otto Lechner und Peter Rosmanith auf dem Programm, am 19. Oktober folgt die literarische Matinee "So fremd wie das Bekannte kann das Unbekannte nie werden". Und bereits am 12. Oktober steht das "Un-Sagbare" im Zentrum der Gesprächsreihe "reden über...".
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Knöpfe" von Ilse Aichinger im Theater Nestroyhof Hamakom. Regie: Bérénice Hebenstreit, Bühne und Kostüm: Mira König. Mit Lukas Gander, Ivana Nikolic, Christoph Radakovits, Melanie Baljeet Kaur Sidhu und Johanna Wolff. Weitere Termine: 26. September, 1., 3., 4., 9., 10., 11., 15., 16., 17., 21. und 23. Oktober, jeweils 20 Uhr. www.hamakom.at)