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"Cinderella" am Landestheater Linz: Sie träumt vom Tanz

"Cinderella" leuchtet in Linz in grellen Neonfarben. Aschenputtel sehnt als Frau von heute die große Ballettkarriere herbei, der Prinz ist Beiwerk.

Kayla May Corbin als Cinderella von heute

Wer braucht schon ein Leben an der Seite eines Traumprinzen? Die Frau von heute will sich verwirklichen, im Idealfall lässt sich Familie mit Karriereplanung vereinbaren. Auch die Cinderella, die uns am Landestheater Linz begegnet, hat seit ihrer Kindheit selbstbestimmte Vorbilder: Vater und Mutter haben Ballettkarriere gemacht. Und auch die Tochter will sich ihren Traum von einer Laufbahn als Tänzerin erfüllen - bis der frühe Tod der Mutter ihr Leben verändert.

Entspricht die Botschaft eines Märchens der Gebrüder Grimm noch unserer Lebenswelt? Die Linzer Tanzspartenleiterin Mei Hong Lin gibt eine klare Antwort. Sie treibt dem Aschenputtel-Stoff von Beginn an antiquierte Rollenbilder aus. Die Interpretation von "Cinderella" als Wunschtraum von der Tänzerkarriere ist nicht neu, die Wahl der Stilmittel dafür umso kompromissloser. Die Taiwanesin orientiert sich in ihrem Tanzabend an den grellen Klangwelten, die Sergej Prokofjew in seiner markanten Ballettmusik von "Cinderella" entwirft.

Die Stiefmutter und ihre Töchter werden überzeichnet wie in einem Manga-Comic: Mireia González Fernández, Rie Akiyama und Julie Endo nehmen die Energie der Musik in hektischen Bewegungskombinationen auf. Die Expressivität dieser Buffo-Figuren spiegelt sich in punkigen Bizarr-Kostümen von Ausstatter Dirk Hofacker, der die Bühne in einen clubbigen Darkroom mit Neonelementen in Bauhausmanier verwandelt.

Das technisch hochgerüstete Linzer Musiktheater ermöglicht dabei nicht nur Szenenwechsel im Minutentakt, es bietet auch Platz für einen groß dimensionierten Klangkörper: Marc Reibel fächert am Pult des Bruckner Orchesters die pulsierende Musik Prokofjews mit all ihren Haken und Ösen stilsicher auf.

Rasantes Tempo und Stilmittel der Groteske färben auch auf die Charakterzeichnung der Fee ab, die Cinderella einen Ausblick auf die Zukunft gibt: Selten sieht man ein Corps de ballet in Bikini und Badehose. Núria Giménez Villaroya tanzt diese verhaltensauffällige Fee und zuvor Cinderellas Mutter in einer psychologisch sinnfälligen Doppelrolle.

Überschlagen sich im fulminanten ersten Teil des Balletts die Ereignisse, kommt der kompakte 105 Minuten lange Abend nach der Pause zur Ruhe. Kayla May Corbin übernimmt anstelle von Lara Bonnel Almonem die Titelrolle. Ihre Cinderella begegnet nicht einem Prinzen in dessen Schloss, sondern einem Startänzer auf einer Bühne. Einem Pas de deux im konventionellen Sinn misstraut Mei Hong Lin aber, die individuelle Freiheit der Protagonistin hat für die Choreografin bis zuletzt Priorität.

Klassische Schrittkombinationen tanzt Shang-Jen Yuan als Tanz-Prinz nur in einer Ballett-im-Ballett-Szene. Dieses Pas de deux verschafft ein Wiedersehen mit Cristina Uta, die in Salzburg 20 Jahre lang die großen Rollen getanzt hat - und an der neuen Wirkungsstätte in Linz am Samstag Szenenapplaus für ihre brillante Balletteinlage erhielt.

Die Ästhetik von Mei Hong Lin ist hingegen an den Tanztheaterformen der Gegenwart geschult. Ihr unsentimentaler Ansatz passt ideal in die Stahlstadt und deren modernes Opernhaus.

Tanz: "Cinderella" von Mei Hong Lin. Linz, Musiktheater, bis 19. Juni.

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