Vielleicht liegt es daran, dass man buchstäblich alles will: Alle von Jonathan Swift beschriebene Reisen des Schiffsarztes Lemuel Gulliver, und nicht nur die bekannteste nach Lilliput, auf die Bühne zu bringen, sie für alle ab 8 bis 99 Jahren interessant zu machen ("Ideal ab 8 Jahren! Verpflichtend ab 21! Verjüngend ab 40! Freier Eintritt ab 99 Jahren!", lautet der witzige Werbespruch), und bei Ausstattung und Musik alle Register zu ziehen.
30 Matrosen auf drei Decks
Die verbindenden Passagen, für die vier Episoden eigentlich kaum von Belang, bekommen von Bühnenbildner Maximilian Lindner einen Schiffsquerschnitt mit drei Decks und 30 Matrosen. Unwillkürlich muss man dabei an jüngste Ansagen von Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann denken, das Burgtheater werde sich schon aus Solidarität mit den Kleineren dem allgemeinen Sparzwang nicht verschließen können.
Bei der Musik punktet "Gullivers Reisen" dagegen voll. Wenn schon Musical, dann aber richtig! Die sechsköpfige Band unter Leitung von Nils Strunk spielt alle Stück'ln, erinnert passagenweise an "Der König der Löwen" und "Les Miserables", und weist mit einigen Songs ("Wollt ihr die Riesen sein?") Ohrwurmqualitäten auf. Dazwischen wird viel erklärt, schließlich könnten die Schauplätze nicht unterschiedlicher sein, denn es geht nicht nur zu viel kleineren und viel größeren Menschen, sondern auch zu einer fliegenden Insel und zu sprechenden Pferden. Und natürlich hat auch Satire und Gesellschaftskritik in dieser dreistündigen Produktion ihren Platz: Die Verfasstheit des britischen Empire geben dem Herrscher der Insel Brobdingnag ebenso zu denken wie die Gepflogenheiten der Tierhaltung den edlen Pferden von Houyhnhnmsland.
Nichts wird angedeutet, alles bebildert
Wo alles gesagt wird, muss auch alles gezeigt werden: Statt etwas anzudeuten, wird das meiste bebildert. Einfache Tricks zur Variation von Größen kommen erst im zweiten Abenteuer, wenn der zuvor Riesenhafte plötzlich winzigklein wird, zur Anwendung. Der Witz, dass eben alles relativ ist, geht dabei ein wenig unter.
Die Reisen werden in eine Rahmenhandlung gepackt, bei der Stefko Hanushevsky als Theaterimpresario die Abenteuer seines Onkels Lemuel Gulliver (Martin Schwab) auf die Bühne bringt - keine zwingende Idee, und bei der Premiere auch nicht ohne Holpern umgesetzt. Souverän dagegen Gunther Eckes als Bühnen-Gulliver, der Neugier mit Sprachentalent zu vereinen versteht, sodass er sich überall bald zu verständigen versteht. Lola Klamroth, Dietmar König, Annamária Láng, Rebecca Lindauer und Markus Meyer sind in ständig wechselnden Rollen und Kostümen schwer im Einsatz, können aber den Spaß, den sie dabei haben, gut vermitteln.
Nach allen Reisen könne er, Gulliver, eines mit Gewissheit sagen: "Eine Gruppe hasse ich besonders: Menschen", versichert Martin Schwab am Ende, ehe der Chor intoniert: "Wir alle sind Sklaven, Schurken und Narren." Schon zu Jonathan Swifts Zeiten vor 300 Jahren war das nicht anders. "Gullivers Reisen" eine Irrfahrt - mit Selbsterkenntnis, aber ohne Besserung? Mag sein, aber jedenfalls nicht ohne frenetischen Schlussapplaus.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Gullivers Reisen" von Nils Strunk und Lukas Schrenk nach dem Roman von Jonathan Swift, Regie: Nils Strunk, Lukas Schrenk, Bühnenbild: Maximilian Lindner, Kostüme: Anne Buffetrille, Lara Regula, Musik: Nils Strunk, Songtexte: Lukas Schrenk, Mit Gunther Eckes, Stefko Hanushevsky, Lola Klamroth, Dietmar König, Annamária Láng, Rebecca Lindauer, Markus Meyer und Martin Schwab. Uraufführung im Burgtheater, Nächste Vorstellungen: 22.11., 1.12., www.burgtheater.at)
(Quelle: APA)
