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Premiere in Linz: Eichmann am Ort seiner Jugend vor Gericht

Am Anfang stand der Raum: Da im Linzer Schauspielhaus an der Promenade umgebaut wird, hat das Landesgericht den Schwurgerichtssaal als Ausweichquartier angeboten. Und angesichts der Location entwickelte das Landestheater ein Dokumentarstück über den Eichmann-Prozess in Jerusalem. Ein beklemmender Premieren-Abend, an dessen Ende das Publikum selbst entscheiden kann, ob das Böse nun banal oder doch eher von narzisstisch-feiger Verantwortungslosigkeit ist.

Sebastian Hufschmidt als Adolf Eichmann auf der Anklagebank
Sebastian Hufschmidt als Adolf Eichmann auf der Anklagebank

Als Leiter des sogenannten "Judenreferats" des Nazi-Regimes organisierte Adolf Eichmann, der einen großen Teil seiner Jugend in Linz verbrachte, die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Jüdinnen und Juden. Er war maßgeblich an der Wannseekonferenz 1942 beteiligt, in der die "Endlösung der Judenfrage" koordiniert wurde, die letztlich zur Ermordung von sechs Millionen Menschen führte. Nach Kriegsende entkam er über die "Rattenlinie" nach Argentinien, von wo er vom Mossad nach Israel entführt wurde. 1962 wurde er in Jerusalem vor Gericht gestellt und zum Tod verurteilt.

Originale Prozessakten als Basis

Das Stück "Eichmann vor Gericht", das am Sonntag Premiere hatte, basiert auf den originalen Prozessakten. Wiebke Melle und Andreas Erdmann - Dramaturgen des Linzer Landestheaters - und Regisseur Peter Wittenberg haben die zigtausenden Aktenseiten auf ein Zwei-Stunden-Stück eingedampft. Als wissenschaftlicher Berater fungierte der Historiker und Autor Doron Rabinovici.

Gerichtsfeeling stellt sich schon ein, wenn das Publikum vor der Vorstellung einzeln die Sicherheitsschleuse passieren muss. Die Ausstattung ist sparsam, der Saal wurde kaum verändert, abgesehen von einem hebräischen Schriftzug und dem Glaskäfig für den Angeklagten unterscheidet ihn nichts vom üblichen Betrieb. Das hat auch technische Gründe, denn am nächsten Morgen wird hier wieder im Namen der Republik Österreich Recht gesprochen, ein großer Umbau war da nicht drin. Zudem ist das Ambiente authentisch.

Eichmann spielte Rolle seines Lebens

Eichmanns Anwalt stellt gleich einmal in den Raum, dass das Gericht befangen sein könnte, schließlich könnte ja jemand Angehörige im Holocaust verloren haben - ein Einspruch, der bei einem Genozid an Zynismus schwer zu überbieten ist. Eichmann (Sebastian Hufschmidt) selbst spielte in dem Prozess die Rolle seines Lebens, stets auf seine Wirkung bedacht, eitel und von sich überzeugt, stellt er sich als kleines Rädchen im Getriebe dar, als jemanden, der doch nur getan hat, was ihm befohlen wurde. In umständlichem Bürokratensprech weicht er den beiden Staatsanwälten (Klaus Müller-Beck und Theresa Palfi) und damit der Konfrontation mit den eigenen Taten immer wieder aus.

Mithilfe eines Erzählers straffen Melle, Erdmann und Wittenberg die Handlung von 121 Verhandlungstagen und greifen eine Handvoll Zeugen heraus. Eine wichtige Rolle spielen die sogenannten Sassen-Dokumente: Eichmann hatte dem NS-Propagandisten Willem Sassen 1957 in Argentinien ein ausführliches Interview gegeben. Da die Staatsanwälte nur Transkripte vorlegen konnten, wurde vor Gericht nur ein kleiner Teil zugelassen. Die zugehörigen Tonaufnahmen tauchten erst Jahrzehnte nach dem Prozess auf.

Kurzer Blitz aus der Vergangenheit

Darin zeichnete Eichmann von sich ein ganz anderes Bild: Er sei kein kleiner Befehlsempfänger gewesen, sondern ein leidenschaftlicher Antisemit und aktiv an der Vernichtung der Juden beteiligt, so der Sukkus. Wie ein kurzer Flash aus der Vergangenheit wird ein knapper Satz daraus im Stück im Originalton eingespielt. Ein Satz, in dem Eichmann klarmacht, dass er zufriedener gewesen wäre, wenn zehn statt sechs Millionen Juden ermordet worden wären.

Hannah Arendt, die den Prozess 1961 verfolgt hatte, prägte angesichts von Eichmanns umständlich formulierten Ausflüchten und seiner Verantwortung als kleines Rädchen im Getriebe den Begriff der "Banalität des Bösen". Das Stück bemüht sich zu zeigen: Das Böse ist weit mehr als banal, es ist narzisstisch und scheut vor jeder Verantwortungsübernahme zurück.

(Von Verena Leiss/APA)

(S E R V I C E - "Eichmann vor Gericht", Dokumentartheater nach den historischen Prozessunterlagen in einer Fassung von Wiebke Melle, Andreas Erdmann und Peter Wittenberg. Inszenierung: Peter Wittenberg, Beratung: Doron Rabinovici, Kostüme: Marie-Luise Lichtenthal, Rauminstallation: Florian Parbs. Mit u.a.: Sebastian Hufschmidt (Adolf Eichmann), Katharina Hofmann (Moshe Landau, Vorsitzender Richter), Lutz Zeidler (Dr. Robert Servatius, Verteidiger), Klaus Müller-Beck (Gideon Hausner, Generalstaatsanwalt), Theresa Palfi (Gabriel Bach, stellvertretender Staatsanwalt). Weitere Vorstellungen am 24., 26., 27., 28., 29. September im Landesgericht Linz, Schwurgerichtssaal, www.landestheater-linz.at)

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