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Spiegel der Gegenwart: "Nie wieder Friede" in Graz

Als der deutsche Schriftsteller und linke Revolutionär Ernst Toller Mitte der 1930er-Jahre die verbitterte Bühnenkomödie "Nie wieder Friede" schrieb, standen die Zeichen in Europa bereits auf Krieg. Die ungarische Regisseurin und Puppenspezialistin Helga Lázár hat das selten gespielte Stück exklusiv für den steirischen Herbst als Hybrid aus Körper- und Materialtheater auf die Bühne des Grazer Orpheums gebracht. Am Freitag fand die erste von nur zwei Aufführungen statt.

'Nie wieder Friede': Ein Puppenspiel mit Parabel auf die Gegenwart
'Nie wieder Friede': Ein Puppenspiel mit Parabel auf die Gegenwart

Napoleon und Franz von Assisi (gespielt von Moritz Ilmer und und Lilith Maxion) sitzen im Himmel, beziehungsweise im Olymp, und fadisieren sich. Über die friedliche oder kriegerische Disposition des Menschen streitend, beschließen sie, an der kleinen, friedlichen Bergrepublik Dunkelstein - wer denkt da nicht zumindest auch an Österreich? - ein Experiment durchzuführen, indem sie per Luftpost ein Telegramm mit einer anonymen Kriegserklärung dorthin schicken.

Friede bricht zusammen

Postwendend bricht dort der quasi zur Staatsdoktrin erklärte Frieden in sich zusammen, die Machthaber setzen sich angesichts drohender Gefahr ab, der als Liebhaber verschmähte Dichter Emil erklärt sich zum Diktator. Obwohl nicht einmal klar ist, gegen wen oder was Krieg geführt werden soll, wird sofort eine totalitär organisierte Gewalt- und Unterdrückungsmaschinerie angeworfen, in deren Räder auch ein eben noch gefeiertes Liebespaar gerät. Rahel, die Tochter des Fabrikanten Laban, hatte sich noch vor Eintreffen des ominösen Telegramms mit dem "Brasilianer" Jakobo verlobt, gegen den sich nun die missgünstige Aggression Emils und auch des neuen Regimes richtet.

Die gesamte Handlung in Dunkelstein lässt Lázár von Puppen bestreiten, die von den Darstellern manipuliert werden. Ilmer und Maxion werden ergänzt durch die in der olympischen Welt als eine Art göttliche Sekretärin eingeführte Hanik Soleimani. Die Regie verlangt ihnen als Puppenspielerinnen höchstes Können ab, kommen doch unterschiedlichste Techniken - Hand-, Finger- Klappmaul- und Kopfpuppen - zum Einsatz.

Explizites mit Puppen

Den Puppen bleibt es vorbehalten, zwischendurch recht explizit zu werden, etwa in einer Gefängnis-Liebesszene zwischen Rahel und Jakobo, in der es genüsslich zur Sache geht. Auch grausame Verstümmelung müssen die textilen Avatare aushalten - nicht umsonst ist die Inszenierung "ab 14".

Dann schicken die beiden olympischen Streithanseln ein zweites Telegramm, mit dem Inhalt, das mit dem Krieg sei ein bloßer Irrtum gewesen, es habe jetzt wieder Friede zu herrschen. Zu spät - am Ende fliegen alle Heldinnen, Bösewichter, Mitläufer und sogar der sich Mitleid erregend durch das ganze Stück schleppende Bettler und Kriegsveteran Noah in den Höllenschlund eines Massengrabs.

Parallelen in der Gegenwart

Natürlich atmet "Nie wieder Friede" auch in dieser modernisiert-entrückten Neufassung durch und durch die historische Atmosphäre des Europa vor dem Zweiten Weltkrieg - die von Petra Szászi geschickt übersetzte Bühnenmusik von Hanns Eisler tut ein Übriges. Andererseits erzählt das Stück von den scheinbar ewig gleich bleibenden Mechanismen, die eine friedliche und demokratische Welt jederzeit gefährden und eine totalitäre Kriegsgesellschaft verwandeln können. Parallelen in der Tagesweltpolitik muss man nicht lange suchen.

Helga Lázár ist mit dem Titelstück des diesjährigen steirischen herbst ein beklemmender und gleichzeitig in seiner Gesamtheit - auch das effizient-klare Bühnenbild von Justyna Koeke sei hier noch erwähnt - überaus stimmiger Gegenwartspiegel gelungen.

(von Andreas Stangl/APA)

(S E R V I C E - steirischer herbst vom 18. September bis 12. Oktober; "Nie wieder Friede" von Helga Lázár nach Ernst Toller. Zweite und letzte Vorstellung: 27.9., 20.00 Uhr, Orpheum Graz. www.steirischerherbst.at)

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