Schluck. Oje. Hoffentlich geht das gut. Das sind in etwa die ersten Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, als wir am Fuße der Drachenwand stehen. Nach einer kurzen Strecke des Wanderns geht es schon ans Eingemachte: Das Klettersteigset gezückt gilt es, sich selbst entlang der fix installierten Stahlseile zu sichern.
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste
Allerdings, ermahnte mich ein Freund am Tag vorher: "Fail is no option!" Sprich: Riskante Klettermanöver auf gut Glück ausprobieren und sich im Zweifelsfall einfach in die Sicherung hineinfallen lassen - wie ich es aus dem Sportklettern kenne - ist nicht zu empfehlen. Denn beim Klettersteig sind es doch einige Meter, die man im Zweifelsfall in die Tiefe stürzt. Verletzungen, womöglich sogar schwere, sind dann programmiert. Zwar dankbar für diesen Hinweis, erleichtert er den Zugang zu meinem ersten Klettersteig jedoch mitnichten, vielmehr steigert er meine Nervosität. Mein Lebensgefährte und eine gute Freundin dicht hinter mir, die mir im Vorfeld versichern, dass ich dieser Tour gewachsen bin, traue ich mich dann aber doch. Nach ein paar Stellen am Anfang, die mich ein wenig zittern lassen, komme ich bald in einen Flow-Zustand. Es ist wie beim Klettern: Alles dreht sich darum, sich den bestmöglichen nächsten Schritt zu überlegen. Wo steige ich mit dem Fuß als Nächstes hin, wo halte ich mich fest, um mich hochzuziehen, was ist von hier aus der sicherste nächste Schritt? Die Kombination aus Bewegung, Koordination und Nachdenken, die mich schon am Klettersport fasziniert, zieht mich auch an der Drachenwand schnell in ihren Bann. Geradezu meditativ fühlt es sich an, sich völlig konzentriert vorzuarbeiten und an nichts anderes zu denken als an die nächste sinnvolle Bewegung.
Auch Warten gehört beim Klettersteig dazu
Was allerdings bei dieser Meditation stört: Wir können uns nicht so rasch fortbewegen, wie wir es gerne würden. Das liegt an den vielen Menschen, die heute ebenfalls die Idee hatten, die Drachenwand zu besteigen. Sie ist längst kein Geheimtipp mehr, nicht bei urlaubenden Familien und Paaren und schon gar nicht unter den Einheimischen. Eilig sollte man es daher nicht haben, möchte man die Tour im Sommer zu einer halbwegs christlichen Uhrzeit absolvieren. Denn Überholen ist bei einem Klettersteig nur an bestimmten Stellen möglich.

Dass sich der Berg bei St. Lorenz an den Ufern des Mondsees so herumgesprochen hat, ist nachvollziehbar. Der Ausblick, der einen bei der Tour begleitet, ist schlichtweg traumhaft: die Berge des Salzburger Seenlands im satten Grün und der fast schon surreal blau glitzernde Mondsee. Auch deswegen ist es für uns nicht schlimm, dass wir immer wieder warten müssen, bis wir den Klettersteigerinnen und -steigern vor uns folgen dürfen. Auf die Pausen mit verträumten Blicken in die Ferne und die bezaubernde Kulisse folgt die Klettersteigrealität, die mich doch immer wieder in meinem Können und vor allem auch Mut fordert. Es gilt mitunter auch, Wände hinaufzusteigen, die steil emporragen. Diese sind zwar - so versichern mir Lebensgefährte und Freundin - technisch nicht allzu schwierig, dennoch aber besser ohne Blick nach unten zu bewältigen.
Hängebrücke mit tiefem Abgrund
Eines der Highlights sowie häufig fotografiertes Motiv ist die Hängebrücke, die eine Felswand mit der anderen verbindet und auf der Tour unumgänglich überquert werden muss. Sie sei hervorragend gesichert und im Grunde sei es bei ihr auch noch am besten, wenn man hinunterfalle - schließlich stoße man sich an keinem Felsen, sondern baumle nur in der Luft, sagt der Lebensgefährte mit einem Augenzwinkern. Dieses Argument überzeugt mich nur bedingt, in der Luft von einer Hängebrücke zu baumeln scheint mir doch auch ein gewisses Traumapotenzial in sich zu bergen. Tatsächlich habe ich aber Vertrauen in das Material der Hängebrücke sowie in die Sicherung und mache mir überraschend wenig Sorgen, als ich mich über die Holzbretter bewege.
In Begleitung einer atemberaubenden Umgebung
Es ist schlichtweg auch die herrliche Landschaft, die mich immer wieder beruhigt und belohnt. Für so einen Ausblick kann man sich schon einmal ein Herz fassen. Faszinierend auch das sogenannte Drachenloch: Ein Gesteinsmassiv wölbt sich in einem Bogen nach oben, mit einem großen Loch in der Mitte, und rahmt so einen Ausschnitt des Mondsees ein. Wie ein gewaltiger Bilderrahmen oder ein majestätisches Guckloch.
Juhu, nach drei Stunden des Steigens, Schwitzens und Staunens sind wir am Gipfel angekommen. Von hier oben genießen wir die Aussicht noch einmal in vollen Zügen und klopfen uns gedanklich auf die Schultern. Ich ahne zu dem Zeitpunkt nicht, dass uns auf dem Rückweg noch etwas Hinterhältiges begegnen wird: ein Gegenanstieg.
Auch der Rückweg erfordert Energie und Konzentration
Die Beine, die sich schon sehr darüber gefreut hatten, nun nicht mehr bergauf steigen zu müssen, nehmen nur ungern hin, dass es auf dem Weg nach unten noch einmal ein - wenn auch kurzes - Stück hinaufgeht. Überhaupt darf der Rückweg, auch wenn es sich dabei nicht um einen Klettersteig, sondern um einen normalen Wanderweg handelt, keineswegs unterschätzt werden. Konzentration und Trittsicherheit sind auch hier erforderlich. Als wir schließlich wieder am Ausgangspunkt unserer Tour ankommen, haben wir noch zwei Punkte auf unserem Programm. Erstens: einen Radler im sympathischen Biergarten direkt bei der Drachenwand. Und zweitens: einen Sprung in den Mondsee, der uns die ganze Zeit über verheißungsvoll zugeglitzert hat. Der perfekte Abschluss eines Sommertags am Berg.
Die Drachenwand
Die Drachenwand ist eine Felswand mit 1176 Metern Höhe in den Salzkammergut-Bergen. Attraktiv am Westufer des Mondsees gelegen, ist sie ein beliebtes Ausflugsziel. Ihre bewaldete südliche Seite weist nur eine geringe Steigung auf, nach Norden jedoch bildet sie eine eindrucksvolle, etwa 700 Meter hohe, fast senkrechte Felswand.
Auf die imposante Wand führt ein alpiner Steig, welcher teilweise mit Seilversicherungen und Leitern versehen ist. Im Jahr 2008 wurde entlang des Ostgrats ein Klettersteig mit den Schwierigkeitsstufen C und Variante C/D auf den Vorgipfel der Drachenwand errichtet. Den Namen hat die Wand von einer Sage: In einer Höhle soll ein Drache gehaust haben, der die Menschen bedrohte und erst durch einen Ritter besiegt werden konnte.