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"Beim Surfen auf der Almwelle schöpfe ich neue Kraft"

Eigentlich war das Riversurfen für Petra Meraner eine Notlösung. Daraus entwickelt hat sich eine heißblütige Leidenschaft zur kalten Welle im Almkanal.

Petra Meraner macht das Riversurfen glücklich.
Petra Meraner macht das Riversurfen glücklich.

Wenn Petra Meraner auf der Welle ist, fühlt sie sich glücklich. Sie wird eins mit dem Wasser des Almkanals, surft elegant hindurch. Mit gebeugten Knien und gestreckten Armen bewegen sich die Hüften im Rhythmus der Welle, fast wie eine Art Tanz. So bewegt sie sich mit Wenden von einer Seite zur anderen und wieder zurück - im Fachjargon Turns genannt.

„Ich bin älter als der Durchschnitt hier. Aber das macht mir nichts aus. “
Petra Meraner, Riversurferin

Petra Meraner ist Riversurferin, und das mit 57 Jahren. In dem Sport, in dem manche vielleicht eher junge Erwachsene vermuten würden, fühlt sich die gebürtige Salzburgerin pudelwohl. "Ich bin definitiv älter als der Durchschnitt hier", sagt Meraner, der man ihr Alter aufgrund ihres jungen Aussehens kaum glauben mag. "Aber das macht mir nichts und den anderen hier zum Glück auch nicht."

Es sei eine tolle Gemeinschaft, die sich hier bei der Welle am Almkanal, im Salzburger Stadtteil Gneis, zusammenfinde. Jede und jeder von ihnen bringt ein Brett mit, das speziell für das Reiten von Flusswellen konstruiert ist.

Manche platzieren das Brett vorsichtig im Wasser, während sie sich am Geländer festhalten, um draufzusteigen. Andere werfen das Brett gar ins Wasser und hüpfen ihm hinterher, um treffsicher zu landen und loszusurfen.

Dabei reiten die Wellenbegeisterten in einem geschichtsträchtigen Kanal. Urkunden dokumentieren, dass es den Almkanal mit seinen in den Berg geschlagenen Wasserleitungsstollen bereits seit dem 12. Jahrhundert gibt. Damit gilt er als eines der ältesten Wasser- und Energieversorgungssysteme in Mitteleuropa. Bis heute bringt er den Menschen in Salzburg Energie, Wasser und dient auch als Entwässerungssystem. Viele Jahrhunderte nach seiner Konstruktion waren es Kajakbegeisterte, die sportliches Potenzial im Almkanal sahen: Mit einer Stufe wäre es möglich, darin eine Welle zu schaffen. Doch für die Kajakfahrerinnen und -fahrer zeigte sich die Welle, die 2010 eingerichtet wurde, als nicht optimal: Die Fließgeschwindigkeit und der begrenzte Platz machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. So kamen Surffans ins Spiel, die das Ziel verfolgten, die Welle mit ihrem Brett zu reiten. Als Vorbild diente dabei unter anderem der Eisbach in München, wo bereits seit 40 Jahren gesurft wird. Nach vielen Umbauarbeiten und Feinschliffen war die Welle schließlich perfekt geeignet, um auf dem Brett stehen und sie reiten zu können.

Die Pandemie war es, die Petra Meraner und ihren Mann Robert auf die Idee brachte, der Almkanalwelle im Sommer 2020 einen Besuch abzustatten. Seit vielen Jahren begeisterte Kitesurfer, fuhr das Paar, Eltern von zwei erwachsenen Söhnen und Großeltern von einem Enkerl, jedes Jahr nach Brasilien. Dort seien die Bedingungen für das Kitesurfen besonders gut, erzählt Petra Meraner. Nachdem der Urlaub jedoch aus bekannten Gründen ins Wasser fiel, suchte das Paar nach einer guten Alternative. "Wir haben uns ein Brett ausgeliehen und es einfach einmal am Almkanal ausprobiert", sagt Petra Meraner. "Und wir waren sofort begeistert!" Kurzerhand machen sich die beiden auf und decken sich mit der kompletten Ausrüstung für den Surfsport auf der Welle ein: dünner Neoprenanzug für den Sommer, dicker für den Winter, Neoprenhaube und -schuhe, ein Wassersporthelm - und natürlich ein Brett. Ein Brett für zwei reiche beim Riversurfen, "schließlich kann eh immer nur einer auf der Welle sein".

Voller Enthusiasmus frönen die Meraners dem neu entdeckten Sport. Dieser kann besonders am Anfang seine Tücken zeigen und einiges an Frustrationstoleranz abverlangen: Immer wieder stürzt man, kaum steht man auf dem Brett, fällt man schon wieder ins Wasser. Bald kristallisiert sich heraus: Es ist besonders Petra, die gar nicht mehr genug bekommen kann. "Als ich dann das erste Mal wirklich auf der Welle gestanden und sie mehrere Sekunden gesurft bin, habe ich gejubelt", erinnert sich die Junggebliebene. Sie lacht und ihre Augen leuchten, als sie diesen Moment vor ihrem inneren Auge Revue passieren lässt. Die Sozialarbeiterin ist in der Kinder- und Jugendhilfe tätig. "Dabei erlebe ich viele Dinge, die mich sehr zum Nachdenken bringen. Da tut es unheimlich gut, einmal abzuschalten, sich vollständig auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren." Beim Surfen gehe das ganz besonders gut. "Ich genieße den Flow der Welle und tanke dabei Energie, schöpfe neue Kraft und bekomme ein dickes Grinsen im Gesicht."

„Beim Surfen höre ich auf zu grübeln, bin voll und ganz im Hier und Jetzt.“
Petra Meraner, Riversurferin

Petra Meraner will mit dem Surfen gar nicht mehr aufhören - doch es kommt anders. Im Dezember 2020 fällt sie vom Brett herunter. Und landet dabei nicht, so wie es sonst allen Surferinnen und Surfern der Welle ständig passiert, einfach verletzungsfrei im Wasser. Sondern schlägt sich mit ihrem Bein am Spoiler, also der Klappe, die die Welle erzeugt, an. Unter Schmerzen humpelt Meraner noch zum Auto, beim Arzt lautet die Diagnose: gebrochenes Sprunggelenk. Sechs Monate muss Petra Meraner aussetzen. Für die Sportlerin, die nicht nur surft, sondern sich auch sonst leidenschaftlich gern beim Klettern, Radfahren, Yogamachen, Berggehen und Laufen bewegt, ein herber Schlag. Immer wieder besucht sie die Welle auch während ihrer Pause - und freut sich, die anderen surfen zu sehen. "Natürlich hat es auch mich in den Fingern gejuckt", erzählt sie. Sie berichtet anderen Surferinnen und Surfern von ihrem Unfall und trifft dabei auf Mitgefühl. Und auf Staunen. "Sie haben mich gefragt: Wie hast du denn das geschafft? Es ist selten, dass sich jemand so beim Riversurfen verletzt", sagt Meraner.

Als die Pause im Sommer 2021 endlich vorbei ist, fackelt Meraner nicht lang: Sie packt ihr Brett und fährt zur Welle. Zuerst schlottern ihr die Knie, "ich habe gehofft, dass mir so ein Unfall nicht noch mal passiert, habe mich gefragt: Wie kann ich das vermeiden?", erzählt sie. Die Unsicherheiten und Sorgen zum einen und die lange Pause zum anderen gestalten den Anfang nicht leicht. "Ich musste gefühlt wieder bei null anfangen." Als sie schließlich wieder auf dem strömenden Wasser des Almkanals steht, ist es jedoch ein großartiges Gefühl.

Längst hat Meraner Freundinnen und Freunde in der Riversurf-Gemeinschaft gefunden. Mit ihnen verabredet sich die Sportlerin zum gemeinsamen Anstehen bei der Welle. Besonders im Zeitraum außerhalb des Sommers sei das wichtig. "Im Sommer ist hier viel los und man trifft sowieso viele, da ist Hauptsaison", erzählt die Surferin. "Doch sobald es kälter wird, sind es deutlich weniger Menschen." Kein Wunder, benötigt man doch für die kalten Temperaturen eine spezielle Ausrüstung wie einen Anzug aus dickerem Neopren und eine Neoprenhaube - und auch eine große Portion mehr Überwindung, sich in kalte Fluten zu stürzen. Im Vergleich zum "Halligalli", das im Sommer am Almkanal los ist, sei es eine geradezu unheimliche Stille, die einen an der Almwelle im Winter erwarte. Und hier kommen die wichtigen Verabredungen ins Spiel. "Wassersport sollte man grundsätzlich nicht allein machen. Es kann immer etwas sein - dann kann der oder die andere helfen."

In der "Community", so im Jargon, sei es üblich, nicht nur gleichförmig auf der Welle zu surfen, sondern sich auch Tricks anzueignen, erzählt Meraner. Das sei ihre Sache nicht, sie surfe lieber ganz entspannt und sei dabei ganz im Fluss mit sich und der Welle. Ähnlich wie bei der Zen-Meditation, die sie jeden Morgen nach dem Aufstehen betreibt. Es sei ein Detail, das sie von vielen anderen Surferinnen und Surfern unterscheide. Denn coole Tricks sind die Währung der Welle - für gelungene Stunts gibt es ein reges Klopfen auf Bretter. Es seien allerdings eher Männer, die Meraners Trickverweigern nicht verstehen können. "Frauen muss ich es meist nicht erklären." Überhaupt sei es eine ganz besondere Solidarität unter Surferinnen. "Ich bin froh, dass es mittlerweile so viele sind. Manchmal sind es sogar mehr Frauen als Männer, die für die Welle anstehen, dann schreie ich: Girls Power Day!" In jedem Fall sei die Gemeinschaft jedoch eine sehr freundliche, hilfsbereite, unterstützende und motivierende. "Es bekommen auch die Applaus, die es schaffen, das erste Mal auf dem Brett zu stehen oder zum ersten Mal einen Turn zu fahren. Und keiner ist genervt, wenn ein Anfänger etwas länger braucht."

Zwei bis drei Mal die Woche steht Meraner auf der Welle. Abwechslung sei dabei immer garantiert - denn die Welle sei durch den veränderten Wasserpegel und Fließgeschwindigkeit an keinem Tag gleich. Es sei, als würde die Welle zu Meraner sprechen und ihr sagen, wie sie am besten auf sie reagieren könne: "Ich muss einfach nur zuhören und auf sie eingehen." Wenn sie dann das letzte Mal vom Brett absteigt - längst muss sie nicht mehr ins Wasser fallen, sondern schafft es ebenso abzusteigen, wie sie eingestiegen ist - und sich mit dem Brett unter dem Arm auf den Heimweg macht, hat sie das Panorama des Untersbergs im Blick. "Ich fühle mich dann, als hätte ich gerade Urlaub gemacht."

Sie wollen mehr zu dem Thema erfahren? Dann lesen Sie weitere Artikel in der Beilage „Lebenszeit“ – ab 9. November kostenlos in der SN-App.

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