SN.AT / Leben

Das Salz im Fluss, in dem sich Kultur bewegt

Salzkammergut. Ein knappes halbes Jahr alt ist die Kulturhauptstadt Europas "Bad Ischl - Salzkammergut 2024": Zeit zu schauen, was läuft und was noch kommen wird.

„Räumliche Maßnahme“ heißt ein Werk von Nicole Six und Paul Petritsch in der Ausstellung „sudhaus - kunst mit salz & wasser“ in Bad Ischl.
„Räumliche Maßnahme“ heißt ein Werk von Nicole Six und Paul Petritsch in der Ausstellung „sudhaus - kunst mit salz & wasser“ in Bad Ischl.

"Die Große Pose" heißt eine der vielen Kunstaktionen, zu denen sich heuer noch ins Salzkammergut reisen lässt. "Große Pose" - das passt in mancher Hinsicht gut zu dem riesigen Unterfangen, das die Kulturhauptstadt Europas "Bad Ischl - Salzkammergut 2024" als Projekt darstellt. Die Kunstaktion unter diesem Titel fokussiert ein Thema, das sich in vieler Hinsicht wie ein roter Faden durch Kulturjahr zwischen Vorchdorf und Obertraun, zwischen Unterach und Bad Mitterndorf zieht.

Die Kulturhauptstadt Europas "Bad Ischl - Salzkammergut 2024" war im Jänner als erste der drei für 2024 ausgewählten Kulturhauptstädte, zu denen noch Tartu in Estland und Bodø in Norwegen gehören, in ihr Programm gestartet. Nun, nach einem knappen halben Jahr, sind einige Programmpunkte erledigt. Einige laufen noch länger und vieles gibt es, dass in den Sommermonaten starten wird.

Rund 300 Veranstaltungen, eigene Projekte und auch assoziierte mit anderen Kulturträgern oder Festivals gibt es insgesamt im Programm von "Bad Ischl - Salzkammergut 2024". In vier große Linien ist dieses Programm in den 23 teilnehmenden Salzkammergut-Gemeinden aufgeteilt. "Macht und Tradition" betrachtet die Basis der lokalen Identität. "Kultur im Fluss" hinterfragt diese Identitäten. "Globalokal - Building the New" will regionale Strategien für globale Herausforderungen entwickeln und bei "Sharing Salzkammergut - Die Kunst des Reisens" widmet man sich einem Blick in die Gegenwart und die Zukunft, den Hoffnungen, aber auch den Belastungen durch den Tourismus, der im Salzkammergut eine bedeutende Rolle spielt. Geschaffen werden sollen dann Erinnerungslandschaften ebenso, wie man Leerstände für künftige kulturelle Nutzungen entdecken will. Also baute man in Bad Mitterndorf an zwei Wochenenden "Das vermutliche beste Hotel der Welt". In der Ausstellung "Art Your Village" in Obertraum werden "forschende künstlerische Blicke von außen" auf lokale Gemeinschaften, Traditionen und Rituale geworfen. Wer durch die Kulturhauptstadt reist, bewegen sich stets auf den Gleisen zwischen außen und drinnen und oft auf einem Grat zwischen "wir und die anderen", der bei genauer Analyse auch recht schnell verschwinden kann.

Dass die so schöne Region eine finstere Vergangenheit hat, ergibt auch einen starken inhaltlichen Schwerpunkt. Dazu muss man für einen Höhepunkt des Programm die eigentliche Kulturstadtregion verlassen und nach Linz reisen. Im Lentos läuft die Ausstellung "Die Reise der Bilder" geben, die sich mit von den Nazis geraubter, in Salzstollen versteckter und schließlich geretteter Kunst befasst. Zu dem Themenkomplex gibt es mehrere Programmpunkte - etwa auch die Ausstellung "Wolfgang Gurlitt. Kunsthändler und Profiteur in Bad Aussee" sowie die Ausstellung "Verborgen im Fels. Der Berg, das Salz und die Kunst" des Comiczeichners Simon Schwartz. Dazu kommt auch die Schau "Das Leben der Dinge. Geraubt - verschleppt - gerettet" in Lauffen, bei der zeitgenössische Kunst sich mit Raub, Verschleppung, Restitution und Rekonstruktion auseinandersetzt. Lauffen wird auch im Sommer aber auch zum Ort eines überraschenden, wohl unterhaltsamen Theaterprojektes. "Das weiße Rössel von Lauffen" - die "wahre Geschichte um die weltbekannte Operette" - entsteht dann unter professioneller Regie mit Einbindung der Bevölkerung.

Es gibt neben Einzelevents - etwa einer "Fete de la Musique" in allen teilnehmenden Gemeinden am 21. Juni - auch viele Projekte, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, oder solche, die entwickelt wurden, um im Idealfall zu bleiben oder zumindest den Anstoß zur Veränderung zu geben. In Gmunden soll auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei etwa das "KunstQuartier" ein Ort für zeitgenössische Kunst und Stadtentwicklung sein.

Zwei andere, sehr lohnenswerte Projekte zur Entdeckung der Region lassen sich ohne Terminzwang und ganz allen erleben - man braucht dazu nur ein Smartphone und ein Rad oder ein Zugticket.

Das sind einerseits die fünf Radtouren, mit denen man der Partisanengruppe Willy-Fred folgen kann. Deren Widerstand gegen die Nazis basiert vor allem auf dem Mut einiger Frauen der Region. an kann auch auf "Wegen des Widerstands" wandern gehen. Während man bei diesen Touren mit eigener Kraft unterwegs ist, kann man bei "Regional Express" gemütlich sitzen. Es ist ein audiovisuelles Erlebnis auf der regionalen Bahnstrecke zwischen Traunsee und Steiermark. Dabei begibt man sich auf eine Reise von der Vergangenheit in die Zukunft. Während der Fahrt hören die Fahrgäste die Gespräche des Zuges, des Berges und der Traunsee-Nixe. Dazu gibt es Interviews mit Leuten aus der Region. Erinnerungen von Menschen und Nicht-Menschen. Gestalterin Petra Ardai schuf diese "Doku-Fiction-Erzählung". Sie stellte wichtige Fragen: Welche Mächte formten Strukturen, die bis heute Bestand haben? Welchen Platz hat die Tradition in der Zukunft? Zusteigen kann man in Gmunden, Ebensee, Bad Ischl, Hallstatt und Bad Aussee. Und weil, wer durch Raum und Zeit reist, auch Kräftigung braucht, gibt es gleich mehrere Termine, die sich um die Zukunft des Wirtshauses kümmern. Man wolle da "einen Impuls zur Wiederbelebung der verschwindenden Wirtshauskultur leisten", sagt Wirt und Projekt-Mastermind Christoph "Krauli" Held. Dazu werden zwischen Gastronomie und Kunst Stammtische zu verschiedenen Themen angeboten. Mit Schülerinnen und Schülern aus Tourismus- und Berufsschulen entstehen so "Wirtshauslabore". Eigens entwickelt für die Kulturhauptstadt entwickelt hat das künstlerisch-performativ arbeitende Kochkollektiv Health Healthy Boy Band - bestehend aus Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn - das "Hot especially Box Building". Diese mobile Installation verbindet an verschiedenen Orten Kulinarik mit Performances. Reisend (und vielleicht auch essend) kommt man dann der Region, ihren Eigenheiten und Menschen näher - kann quasi alles erleben, was eine Kulturhauptstadt bieten kann in einer Region, in der im Prinzip in jedem Ort alles ein bisschen anders funktioniert.

Ach ja, fast vergessen: "Die Große Pose"! Sie gibt eine Art unterhaltsam-theoretischen Unterbau für viele Fragen, um die das Programm kreist. Dafür wird unter der künstlerischen Leitung des Journalisten und Buchautors Tarek Leitner in Bad Goisern Ende Juni ein "Boulevardstück" entstehen, ein "überraschendes Straßenspektakel", das Fragen aufwerfen soll nach dem Authentischen, dem Originalen oder eben dem, was man sich darunter gern vorstellen möchte, ob als Tourist oder Einheimischer.

Beeindruckend emotional in harter Umgebung: Chiharu Shiotas Installation „Wo sind wir jetzt“ im KZ Gedenkstollen in Ebensee.
Beeindruckend emotional in harter Umgebung: Chiharu Shiotas Installation „Wo sind wir jetzt“ im KZ Gedenkstollen in Ebensee.

Kulturhauptstadt
Vier Tipps für den Sommer

CEIJA STOIKA
"Hoffnung - das war, was uns stärkte" ist der Titel der Ausstellung von Arbeiten der 1933 in der Steiermark geborenen und 2013 verstorbenen Ceija Stoika. Im Museum Ebensee geht es dabei um die Bezüge im Leben und Werk der Künstlerin mit der Geschichte des Nationalsozialismus. In dieser multi-disziplinären Schau werden Einblicke möglich in das bildnerische Schaffen der international renommierten Künstlerin. In Kombination mit ihren Tagebüchern lassen sich dabei aufschlussreiche Blicke in die Zeitgesichte werfen.
Museum Ebensee, ab 6. Juli

UNGEAHNTE KRÄFTE
Auf die Spuren unbekannter Frauen begibt sich in dem Projekt "Ungeahnte Kräfte - Starke Frauen hinter den Kulissen Bad Ischls". Man kann dies ganz selbststädig mittels eines interaktiv gestalteten Audiowalk tun. Entlang der Route begegnet man bedeutsamen, in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentierter Frauenfiguren. Darunter sind etwa Mileva Nákó, Jenny Gross, Sophie Lehár oder Resi Pesendorfer. Derr Spaziergang macht die enorme Tragweite weiblichen Wirkens trotz starker gesellschaftlich und politisch bedingter Einschränkungen erfahrbar. Den Audiowalk wird es am 23. Juni auch als Livekonzert zu erleben geben.

BRUCKNERS SALZ
Freilich kommt auch das Kulturhauptstadt-Programm nicht an Anton Bruckners 200. Geburtstag vorbei. Dieser wird mit einem Großkonzert in der Saline in Ebensee gefeiert. Sie sei, so meinen die Programmmacher, ein ganz besonderer Ort, um auf den Geschmack der kristallinen Grundstrukturen von Bruckners Musik zu kommen. In der Weitläufigkeit einer Produktionshalle werden sich einige Chöre Oberösterreichs und das Bruckner Orchester Linz auf neuen Wegen zwischen Motetten und Sinfonie-Teilen, Improvisierten und Unerwartetem bewegen.
Saline Ebensee, 15. Juni

BRANDUNGEN
Die Austrofaschisten versenkten in den 1930er Jahren große Teile der Arbeiterbibliothek Ebensee. Bücher zerstört man bekanntlich durch Feuer. Für die nahe am Ufer gelegene Bibliothek bot sich jedoch der See an. Wurden die Bücher dann tatsächlich zurück ans Ufer gespült oder gehört ist das bloß eine Sage? Zum 90. Geburtstag des Ereignisses lassen Ana de Almeida, Jakub Vrba und Christian Wimplinger die Kraft des Wassers und sein widerspenstiges Gedächtnis hochleben mit einem "Installations-Essay"den den See als Archiv spiegelt.
Altmünster, im ganzen Juli 2024

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