Das Verbrennen duftender Essenzen war einst nur dafür gedacht, zornige Götter zu besänftigen. Ein paar Jahrtausende später - archäologische Funde lassen auf eine Duftkultur um 3000 vor Christi Geburt schließen - ist aus dem Wohlgeruch für ganz spezielle Gelegenheiten eine Industrie geworden. Die Jahr für Jahr Hunderte (mehr oder weniger) neue Düfte auf den Markt wirft, sodass es immer schwieriger wird, den Überblick zu bewahren. Und Kunden immer öfter die Nase voll haben vom - nur wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel - ewig Gleichen.
Aber: Es geht auch anders. Neben Düften, die in jeder Parfümerie zu finden sind, etabliert sich ein Bereich, der zu den Wurzeln des traditionellen Handwerks der Parfumherstellung zurückkehrt. Hier ist die Kreation eines Parfums tatsächlich ein künstlerischer Akt, der künstlerische Freiheit voraussetzt. Nischendüfte nennt die Branche solche Kreationen, deren Zahl unabhängig von der wenig charmanten Bezeichnung beständig steigt.
Eigensinnig & exklusiv
Obwohl kein Duft wie der andere ist, haben sie Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel, dass sie oft in Manufakturen und in kleinen Mengen hergestellt werden. Dass die Kreation in keinem starren Marketingkorsett steckt, dass an Duftstoffen verwendet wird, was nötig ist, auch wenn es teuer ist. Dass sie auf den Markt gebracht werden, wenn die Zeit reif dafür ist. Nicht früher, nicht später. Also nicht nur im Frühling, wenn Neuheiten für gewöhnlich den Markt fluten, weil Mutter- und Vatertag anstehen, und im Herbst, wenn der Weihnachtsrummel losgeht.
In der Regel sparen sich Hersteller von Nischendüften auch die Kosten für Hollywoodstars und andere Celebrities, die für gutes Geld einem Duft ihr Gesicht leihen. Nischendüfte haben das nicht nötig, sie haben selbst ein Gesicht, besser: Sie haben Charakter. Eine handverlesene, sehr selektive Distribution - inhabergeführte Parfümerien, Concept Stores, bei großen internationalen Modemarken die eigenen Boutiquen - versteht sich da beinahe schon von selbst. Man muss sich doch ein klein wenig anstrengen, um an die Raritäten zu gelangen. Eine für manche völlig neue Erfahrung in unserer schnelllebigen Zeit, wo eigentlich nichts - und erst recht nichts, was mit Konsum zu tun hat - Aufschub duldet.
Geschichte & Geschichten
Was diese Düfte noch gemeinsam haben, ist, dass sie Geschichten erzählen und Geschichte illustrieren. Egal ob sie aus traditionellem Haus stammen oder gänzlich neu sind. Chanel, ein Gigant im Duftgeschäft, leistet sich mit Les Exclusifs eine Duftlinie, die mit jeder Kreation ein Kapitel des außergewöhnlichen Lebens von Coco Chanel erzählt. Giorgio Armani, auch nicht unbedeutend im Business, hat mit Armani Privé gleich vier Haute-Couture-Duftlinien (Les Eaux, La Collection, Les Terres Précieuses und Des Mille Et Une Nuits) geschaffen. Seit 2016 gibt es, nachdem das Haus zwischen 1927 und 1946 drei Parfums lancierte und danach Funkstille herrschte, wieder Düfte von Louis Vuitton, kreiert vom Meisterparfümeur Jacques Cavallier Belletrud. Freie Hand haben große Parfümeure wie Pierre Bourdon, Jean-Claude Ellena, Olivia Giacobetti oder Ralf Schwieger bei den Editions de Parfums von Frédéric Malle. Ziel ist eine stringente Komposition, die einen Eindruck oder eine Note besonders betont. Weit weg von den Attributen "gefällig" oder "nett" sind auch die Düfte von Comme des Garçons, Serge Lutens und Dries Van Noten. Echte Avantgarde. Große Kunst im Flakon. Wie ein Bild, das den einen so fasziniert, dass er kaum den Blick (hier: die Nase) abwenden kann, während es einen anderen kaltlässt. Entweder oder - kein Platz für Kompromisse.
Vergangenes & Neues
Duft geht oft seltsame Wege. Paul-Anton Esterházy, Gründer der Marke Estoras, hat als Hommage an seinen Großvater Prinz Antal Esterházy den Duft "Antal Chasing the Horizon" auf den Markt gebracht. Das Eau de Parfum folgt den Spuren dieses Gentleman-Abenteurers auf einer Reise durch die Sahara, die er mit Graf László Almásy - bekannt aus dem Film "Der englische Patient" - vor fast 100 Jahren unternommen hat. Antal starb am 31. Dezember 1944 in einem Lazarett. Als Paul, heute 35 Jahre alt, in England studierte, besuchte er mit einem Freund einen Parfumkurs. Und erinnerte sich an den Flakon aus dem Nachlass des Großvaters. Daraus ist "Antal" entstanden. Holzig, würzig, unisex mit Bergamotte und Pfeffer in der Kopf-, Rose, Geranie, Weihrauch und Ho-Holz in der Herz- sowie Vetiver, Patschuli, Zedernholz, Amber, Tabak, Moschus, Iso E Super und Leder in der Basisnote. Eine wilde Mischung. Perfekt für moderne Abenteurer.