Auch die Liebe kommt in die Jahre. Ihr zu lauschen, ihr dabei Freiheiten zu gewähren und ihr dennoch ein Zuhause zu bieten, darin besteht die gemeinsame Aufgabe eines Paares. Wie das gelingen kann, darüber sprach der deutsche Paartherapeut Hans Jellouschek anlässlich der 28. Goldegger Dialoge, die von 10. bis 13. Juni stattfanden. In seinem Vortrag zeigte er die Entwicklungsphasen, Krisen und Chancen der Paarbeziehung im Lebenszyklus auf. Und schon nach wenigen Minuten wurde dem Zuhörer klar: Die Liebe auf Dauer ist eine Kunst, die es bis zum Lebensende einzuüben gilt. Die Basis für das Gelingen der Liebe bilden die beiden Grundbedürfnisse nach Autonomie und Bindung. "Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handle sich um Gegensätze. Tatsächlich aber bedingen sie einander", sagte Hans Jellouschek. Zu viel Bindung führt zur Selbstaufgabe und dem Ich-Verlust, bei zu viel Autonomie drohen Einsamkeit und Isolation. Der wiederkehrende Prozess, den ein Paar auf dem Weg in eine reife Beziehung zurücklegt, ist geprägt von Loslassen und Annähern.
Vier Lebenszyklen einer Paarbeziehung nennt Hans Jellouschek, und sie alle erfordern das Wechselspiel von Bindung und Autonomie. "Schon in der symbiotischen Beziehung der ersten Verliebtheitsphase muss jeder der Partner den Weg in die Autonomie antreten und für sich selbst ein Lebenskonzept entwickeln", erklärte Hans Jellouschek. In der Familienphase verändert sich die Paarbeziehung durch den Nachwuchs. In der Elternschaft verlieren sich Mann und Frau nicht selten als Liebespaar aus den Augen. "Das Paar ist angehalten, sich Inseln im Strom des Alltags zu schaffen für Gespräche, Sexualität und gemeinsame Unternehmungen", rät der Paartherapeut.
Schwierig wird es für Paare, die sich während der Familienphase aus den Augen verloren haben, wenn sie sich mit dem Selbstständigwerden der Kinder gegenüberstehen und einander nichts mehr zu sagen haben. "In dieser Nachfamilienphase ist der Schritt in die Autonomie notwendig, um die Beziehung wieder zu beleben. Für beide Partner ist die berufliche Verwirklichung besonders wichtig", sagte Hans Jellouschek. Doch auch hier gelte es wieder das Gemeinsame zu finden und zu pflegen. Nicht selten verhindern nicht aufgearbeitete Kränkungen und Verletzungen der vorangegangenen Zeit eine Neubelebung der Paarbeziehung: Hans Jellouschek rät dazu, einander zu verzeihen und bei Bedarf auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
In der vierten Phase der Liebesbeziehung ist das Paar damit konfrontiert, dass eingespielte Beziehungsmuster durcheinandergeraten: Der Mann geht in Rente und ist die meiste Zeit zuhause, die Frau wird pflegebedürftig und der Partner übernimmt die Pflege, neue Freundschaften müssen wieder aktiviert werden. Erneut geht es darum, Autonomie und Bindung auszutarieren. Wer als Paar gelernt hat, die gemeinsame Vergangenheit wie einen Schatz zu hüten, hat einen Schlüssel gefunden, um die Beziehung bis zum Schluss lebendig zu halten.