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Medizin denkt beim Wachkoma um

Der Salzburger Psychologe Manuel Schabus geht davon aus, dass das Bewusstsein bei Wachkomapatienten oft unterschätzt wird.

Medizin denkt beim Wachkoma um
Medizin denkt beim Wachkoma um


In Österreich leben etwa 800 bis 1000 Menschen im Wachkoma. Die Patienten haben schwerste Schädigungen des Gehirns. Verschiedene Ursachen wie etwa Schädel-Hirn-Verletzungen infolge eines Unfalles oder ein Sauerstoffmangel über längere Zeit können dieses neurologische Krankheitsbild auslösen. Der Patient bleibt in einem komaähnlichen Zustand mit zeitweise geöffneten Augen. Er ist aber nur beschränkt in der Lage, Reize und Informationen aus der Umwelt aufzunehmen und darauf zu reagieren. Der Zustand des Wachkomas kann viele Jahre lang anhalten. Höchstdotierte Förderung für Jungforscher Manuel Schabus vom Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg erforscht seit mehr als zehn Jahren Bewusstsein, Schlaf und Gedächtnis. Für sein neues Projekt "Bewusstsein auf dem Prüfstand. Gehirnforschung zwischen Schlaf und Wachkoma" erhielt er einen START-Preis. Das ist die mit 1,2 Millionen Euro höchstdotierte Förderung für Jungforscher in Österreich. "Wachkomaforschung ist wichtig, weil mehr Menschen als früher Schlaganfalle und Schädel-Hirn-Traumata überleben und es kaum spezialisierte Kliniken für diese Patienten gibt. Das Ziel ist, zu erforschen, was Bewusstsein ausmacht und ob man im Wachkoma noch teilweise bewusst ist", sagt er. Er geht davon aus, dass das Bewusstsein bei Menschen im Wachkoma oft unterschätzt wird.

Kann frühzeitig festgestellt werden, ob der Wachkomapatient mehr oder weniger Bewusstsein hat und wie die weitere Prognose für ihn ist, könnte die Therapie besser darauf eingestellt werden. "Es gibt ein Umdenken in der Medizin. Doch vieles passiert derzeit nur in der Forschung, nicht im klinischen Alltag. In der Klinik wird für die Diagnose hauptsächlich Verhalten getestet. Gehirnwellenaktivitäten und Sauerstoffumsatz in Gehirn werden nicht gemessen", stellt Manuel Schabus fest. Im Kernspintomographen ist es etwa möglich, Gehirnaktivitäten zu messen, während man dem Patienten einfache Fragen stellt, die er mit Ja oder Nein beantworten muss. Sie sollen zeigen, ob der Betroffene sich noch konzentrieren kann. Manuel Schabus und sein Team nutzen für ihre Untersuchungen die Elektroenzephalographie (EEG), mit deren Hilfe die elektrische Aktivität des Gehirn gemessen wird. Hat der Patient Chancen, aufzuwachen? Bestimmte Gehirnmuster zeigen, ob der Patient Chancen hat, aufzuwachen. "Wir sehen auch, ob er noch einen Schlaf- und Wachrhythmus hat. Fehlen Schlaf-Wach-Rhythmen und spezifische Gehirnmuster, so ist die Prognose schlecht", sagt Manuel Schabus. Den Schlaf-Wach-Rhythmus festzustellen ist auch deshalb wichtig, weil er bei Wachkomapatienten meist gestört ist. Sie sind dann in der Nacht wach und dösen am Tag. Bei einer Testung oder dem Besuch eines Angehörigen wird der Patient daher weniger reagieren. Durch den fehlenden Schlaf kann sich zudem das Gehirn nur unzureichend regenerieren. Die Forscher setzen dafür Hormonmessungen ein. Sie untersuchen im Speichel oder Urin alle zwei bis drei Stunden den Melatoninspiegel. Melatonin ist ein Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers beeinflusst. Der Patient bekommt am Abend Melatonin, damit er schläft, und in der Früh eine Dosis helles Licht, damit er wach ist. Spezielle Tests zeigen dann, ob dadurch die Reaktionsfähigkeit gesteigert werden kann. Geordnete Wach- und Schlafphasen könnten Teil einer Therapie werden, sie würden zur Regeneration des Gehirns und zur Wiederherstellung von Funktionen beitragen sowie das Immunsystem verbessern, sagt Manuel Schabus. Er wünscht sich für die Behandlung von Wachkomapatienten einheitliche Strategien und auch eine sachliche öffentliche Diskussion darüber, zu welchem eitpunkt etwa künstliche Ernährung eingestellt oder Maschinen abgestellt werden sollten. Mit dem START-Programm des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF kann er mit intensiver Wachkomaforschung beginnen.