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Denkmalpflege: Alt sucht Jung

Das historische Erbe braucht das Handwerk. Das Handwerk braucht Nachwuchs. Um junge Frauen und Männer für die Denkmalpflege zu begeistern, sind Ideen gefragt. Zwei Projekte könnten als Modelle für ganz Europa dienen. Ein Besuch im Schloss von Versailles und in der Kartause Mauerbach.

Im Projekt Campus Versailles können Jugendliche selbst Hand anlegen, erste Erfahrungen sammeln und Mentoren finden.
Im Projekt Campus Versailles können Jugendliche selbst Hand anlegen, erste Erfahrungen sammeln und Mentoren finden.
Die Kartause Mauerbach in Niederösterreich ist Ausbildungsstätte und zugleich Restaurierungsprojekt des Bundesdenkmalamts.
Die Kartause Mauerbach in Niederösterreich ist Ausbildungsstätte und zugleich Restaurierungsprojekt des Bundesdenkmalamts.
Im Projekt Campus Versailles können Jugendliche selbst Hand anlegen, erste Erfahrungen sammeln und Mentoren finden.
Im Projekt Campus Versailles können Jugendliche selbst Hand anlegen, erste Erfahrungen sammeln und Mentoren finden.

Der König schaut aus imposanter Höhe von 5,50 Metern weithin über den Platz. Unter den Hufen seines bronzenen Rosses wimmelt es in der Sommerhitze. Tausende Besucher haben sich trotz der fast 35 Grad aufgemacht, das Schloss und die Gärten von Versailles zu sehen. Blick und Geste richtet Louis XIV. jedoch hinüber zu jenen Bauwerken, die er für seine großen Stallungen errichten ließ. 7000 Quadratmeter davon sind dort heute einem Projekt gewidmet, das ihm gefallen hätte: als passioniertem Bauherrn, als Förderer der besten Handwerker - und als einem Menschen, der es gewohnt war, in Generationen zu denken. Robert Collona d'Istria, ehemals Kontrolleur der nationalen Monumente, fasst dazu ein noch für das 21. Jahrhundert gültiges Leitmotiv in seinem Buch "Frankreich ist nicht zu verkaufen" prägnant zusammen: "Das Kulturerbe geht alle etwas an und weist weit über die Werte des Individualismus hinaus. Es ist mehr als eine kurzfristige Einnahmequelle."

Campus Versailles: Ein Netzwerk für den Erhalt des kulturellen Erbes

Kein Ereignis hatte weltweit die Fragilität der wertvollen Güter der Vergangenheit so schonungslos vor Augen geführt wie der Brand der Kathedrale Notre-Dame 2019 in Paris. Bald stellten sich die wichtigsten Fragen für den Wiederaufbau: Wie jene Handwerker finden, die über das Spezialwissen verfügen, und wo all die Materialien auftreiben, die für die originalgetreue Restaurierung notwendig waren? In Versailles, wo unablässig Gebäude, Objekte und Gärten instand gehalten werden müssen, keimte eine Idee. Seit 2021 entsteht hier mit "Campus Versailles" ein Netzwerk der "Exzellenz". Spezialistinnen und Meister aller Sparten des Handwerks, der Restaurierung und des Gartenbaus, Fachleute der Kultureinrichtungen, Universitäten, der Luxusindustrie, der Unternehmen, die rare Werkzeuge herstellen, Menschen, die überlegen, wie denkmalpflegerische Probleme mit neuen Methoden zu lösen sind, sie alle können hier Kontakte knüpfen. Besonderes Anliegen ist es, junge Frauen und Männer anzulocken. Das Kulturerbe braucht das Handwerk und das Handwerk braucht Nachwuchs.

Wo Handwerk und Kreativität aufblühen

Anne-Claire Parize, Sprecherin des Projekts, führt die Besucherin an diesem Tag durch die Räume, in denen Workshops stattfinden. Da wird konzentriert gezeichnet, dort schleifen Finger alte Holzrahmen ab und bereiten sie für eine Schicht Blattgold vor. "Viele Jugendliche wissen nicht, welche Möglichkeiten es im Handwerk gibt. Sie können hier vieles ausprobieren. Wir schauen nicht auf die Schulnoten. Es zählen Interesse und Talent", sagt sie. "Campus Versailles" umfasst die klassische Denkmalpflege, aber auch Programme für die Gastronomie und die touristische Umsetzung.

Investitionen und Herausforderungen für Arbeitskräfte und Nachwuchstalente

Armelle Weisman leitet das Projekt: "Die Anzahl der Arbeitsplätze und der neu gegründeten Unternehmen im Bereich des künstlerischen Handwerks nimmt zu. Die Auftragsbücher sind gefüllt", sagt sie. Doch es gibt Komplikationen. "Abgesehen von den hohen Rohstoff- und Energiekosten ist der eklatante Mangel an qualifizierten, aber vor allem motivierten Arbeitskräften ein Problem. Wir haben fantastische Familienbetriebe, die seit Generationen ihr traditionelles Wissen weitergeben und gleichzeitig innovativ sind. Es ist von entscheidender Bedeutung, sie zu unterstützen. Die Sichtbarkeit dieser kleinen und mittleren Unternehmen im Wirtschaftsraum liegt weit unter dem tatsächlichen Wert, den sie erbringen", sagt sie. Der Staat dürfte dies heuer erkannt haben und investiert in den kommenden drei Jahren 340 Millionen Euro in die Förderung des Kunsthandwerks und aufstrebender Talente.

Die Unternehmen kämpfen derweilen darum, jene zu finden, die eine Lehre machen wollen. Studentinnen und Quereinsteiger aus anderen Berufen sind bereits akzeptiert. "Die Motivation ist der Schlüssel", sagt Armelle Weisman.

Die Faszination des Handwerks

Um junge Leute zu faszinieren, müsse man ihnen das Handwerk zeigen, man müsse ihnen das Gefühl für die Materialien und deren Möglichkeiten geben - so wie man den Geschmackssinn entwickeln würde. Wichtig seien die persönlichen Begegnungen, bei denen der Funke der Begeisterung überspringe. "Aber vor allem muss man aufhören, vom Handwerk als von einem Beruf von gestern zu sprechen, von einem Beruf in Formalin. Realität ist die Dynamik dieser Metiers, die interprofessionellen Kooperationen, die Vielfalt der Absatzmärkte, die Innovationen, die Verbindung zur Forschung, die Lebensqualität am Arbeitsplatz."

""Die Jugendlichen, die zu uns kommen, sind begeistert und strahlen.""
Astrid Huber-Reichl
Leiterin Kartauser Mauerbach

100 Jahre österreichisches Denkmalschutzgesetz

Seit 1913 gibt es in Frankreich ein Denkmalschutzgesetz, für das im 19. Jahrhundert die Schriftsteller Victor Hugo und Prosper Mérimée zäh gekämpft hatten. Österreich mit seinem reichen Erbe folgte 1923. Wenn in diesem Jahr das 100-Jahr-Jubiläum des österreichischen Denkmalschutzgesetzes gefeiert wird, so ist dies auch hierzulande ein Aufruf, nicht nur die historischen Preziosen und deren Verwertung im Blick zu haben, sondern sich darum zu kümmern, dass die nächsten Generationen sie erhalten können - und wollen. Petra Weiss, Fachdirektorin des Bundesdenkmalamts in Wien, stimmt dem zu: "Denkmalschutz ist ein gesellschaftliches Thema. Wir müssen so früh wie möglich Kindern kulturelle und ästhetische Werte vermitteln.

Ansätze für Weiterbildung und steuerliche Anreize in Österreich

Wir hätten ein Projekt entwickelt, das jungen Lehrerinnen und Lehrern zum Thema Baukultur und Denkmalschutz Weiterbildung anbietet. Leider war das Interesse daran vorerst gering. Wir wollen zudem, dass private Eigentümer steuerlich begünstigt werden. Etwa 39.000 Objekte stehen in Österreich unter Denkmalschutz. Ein Drittel davon befindet sich in Privatbesitz. Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Ein Studie von 2019 hat gezeigt, dass Private, Bund und Gemeinden pro Jahr rund 160 Millionen Euro in den Erhalt von Kulturerbe investieren." Österreich ist ein Vorbild. Anders als in Frankreich, wo man Jugendlichen dann zur manuellen Arbeit rät, wenn die Noten schlecht sind, genießt das Handwerk hierzulande Ansehen.

Bildungszentrum für Baudenkmalpflege in der Kartause Mauerbach

Vor den Toren Wiens liegt idyllisch im Wienerwald Mauerbach. Am Busbahnhof lädt eine Tafel dazu ein, die ältesten Baumeister, Experten für Holzbearbeitung und Dammbau, zu besichtigen: Besuchstermin bei Familie Biber. Ein paar Hundert Meter weiter befindet sich dann der Treffpunkt für zweibeinige Professionisten. In einem ehemaligen Kloster, der Kartause Mauerbach, können seit 1984 alle diejenigen, die sich mit Handwerk und Restaurierung auskennen, ihr Wissen um die Gewerke der Baudenkmalpflege vertiefen. Zudem ist die Kartause Anlaufstelle für Privatleute und Institutionen, die Informationen und historisches Baumaterial suchen. Astrid Huber-Reichl leitet das Ausbildungszentrum: "Mittlerweile bieten wir 29 Kurse mit 500 Teilnehmern an. Wir decken alle Bereiche des Bauhandwerks ab wie Steinmetzarbeiten, Ziegelherstellung, Stuck, Putze, Anstriche, Fenster, Türen, Fliesen, Schmiedearbeiten für Gitter und Beschläge. Was heute mehr denn je an Bedeutung gewinnt, vermitteln wir seit Jahren: Das Material kommt aus der Region und lässt sich wiederverwenden. Viele alte Bauweisen waren angepasst an Klima und Wetter." Ein Beispiel sind die alten Kastenfenster: Im Winter konnte ein zweites Fenster vorgehängt werden. Der Luftpolster dazwischen sorgte für Dämmung. Sommers ließ sich das Vorderfenster durch Rollläden ersetzen. "Die Dämmung ist besser als bei modernen Fenstern, die Gase enthalten, die sich nach 20 Jahren verflüchtigen", sagt Astrid Huber-Reichl.

Lebendiger Austausch und grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Es sind nicht nur solche Erkenntnisse, die junge Leute beeindrucken. Der 42-jährige Lungauer Christian Löcker, seit 2003 beim Land Salzburg für die Erhaltung von Denkmälern entlang der Straßen zuständig, hatte sich nach seiner Maurerlehre in der Kartause ausbilden lassen: "Das Schönste an der Denkmalpflege ist, dass man sich mit anderen austauscht. Man diskutiert gemeinsam, um Lösungen zu finden, und diese Lösungen müssen für jedes Detail maßgeschneidert sein", sagt er.

Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg ist selbstverständlich, hat sich doch auch das Kulturgut nicht an Schranken gehalten. Der Schatten des Sonnenkönigs reicht so bis nach Mauerbach. Zur Sammlung alter Holzböden dort gehört das von Louis XIV. für Versailles in Auftrag gegebene Tafelparkett. Die Form fand in ganz Europa Gefallen und wurde zum Vorbild für die Variation "Salzburg Versailles".