Zur Frage, wie rasch sich Wissen verdoppelt, gibt es verschiedene Angaben. So richtig weiß das niemand. Aber eigentlich ist die Antwort unerheblich, Fakt ist, dass unser verfügbares Wissen sämtliche Rahmen sprengt. Jeden Tag reihen sich neue Themen in den Kanon, über den man reden, Bescheid wissen oder von dem man zumindest schon gehört haben sollte. Wissen wird beliebig konsumiert und interpretiert. Und es wird leidenschaftlich darüber gestritten.
Britta Albegger und Geza Horvat stellen in ihrem Buch "Schwebedialoge" neue Möglichkeiten vor, wie man in diesen inhaltlich komplexen Zeiten bessere Dialoge führen kann.
Vor allem eines orten sie in einer Welt mit einer unüberschaubaren Menge an Wissen und Meinungen, die gesellschaftliche Gruppen immer stärker auseinanderdriften lässt: die Suche nach Vertrauen und das Gefühl der Verbundenheit. Je komplexer Themen werden, desto mehr sind Menschen bestrebt, einfache Antworten zu finden, die ihren Standpunkt untermauern. Man sucht also nach Informationen, die das Wohlbefinden aufrecht halten. Im schlimmsten Fall werden dabei die Meinungen der anderen abgewertet, und die Personen gleich mit.
Wer redet schon mit Andersdenkenden?
Im Universum der sozialen Medien findet jeder Mensch Denk- und Handlungsanleitungen zu seinen individuellen Befindlichkeiten. Über Suchfunktion oder ChatGPT führt das Internet direkt zu Inhalten, die die eigene Meinung stützen. Dabei wäre die gegenteilige Frage interessant, finden die beiden Buchautoren: Wie oft sucht man gezielt nach Informationen, die dem eigenen Weltbild nicht entsprechen, sondern ihm widersprechen? Die eigene Bubble, der geschützte Raum mit Gleichgesinnten, in den man sich begibt, beeinflusst unser Denken und wird innerhalb der Echokammern sogar verstärkt.
Was dabei jedoch selten berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass auch die Welt außerhalb der eigenen Blase aktiv und lebendig ist, ebenso dynamisch und vernetzt. Die Antworten kommen von dort genauso laut zurück, wie man sie selbst hinausposaunt hat. Neue Argumente müssen also her, die die eigene Position stützen. Die Polarisierung ist im Gange, die Spirale einer guten Kommunikation dreht sich nach unten, wenn eine Seite der anderen vorwirft, Opfer von "Fake News" oder Manipulation geworden zu sein. Dabei lässt sich vor allem eines nicht mehr feststellen: wer in diesem Dilemma recht hat.
Empathie entsteht im Kontakt mit Menschen
Ohne den Kontakt zu Menschen mit anderen Ansichten zu pflegen, verlieren wir die Fähigkeit, Empathie zu entwickeln und unterschiedliche Perspektiven zu verstehen, schreiben die Autoren in ihrem Buch. Isolation in einer Bubble könne uns gegenüber "den Anderen" gleichgültig oder sogar feindselig werden lassen.
Das wird letztlich befeuert durch den Algorithmus der sozialen Medien, der Inhalte so anbietet, um Menschen in ihrer Blase zu halten. Was gänzlich fehlt, ist ehrlicher Kontakt. Und in solchen verfahrenen Situationen sollte man danach trachten, wieder Brücken zu bauen, ohne andere bekehren zu wollen. Vielleicht sollte man sogar einen Schritt weitergehen und bewusst auf Andersdenkende zugehen, Fragen stellen und zuhören, finden die Buchautoren.
Und hier kommen die "Schwebedialoge" ins Spiel. Bei dieser bewussten Form des Zuhörens werden keine Lösungen gesucht, auch sollte niemand von der Meinung des anderen überzeugt werden. Das Format dient in erster Linie dazu, die eigene Sicht auf die Dinge darzustellen, während die anderen kommentarlos zuhören.
Einfach nur zuhören und nicht urteilen
Gute Gespräche brauchen Struktur. Dazu drückt zunächst der Redner im Schwebedialog seine Gedanken und Bedürfnisse aus, es sind keine Zwischenfragen vorgesehen. In diesem Dialog sollen alle Gedanken und Gefühle Platz haben dürfen. Die Tatsache, dass die anderen nur zuhören, schafft beim Redner die Freiheit, offen und ohne Druck Themen und Befindlichkeiten aussprechen zu können. Auf das Gesagte sind keine direkten Reaktionen oder Gegenargumente vorgesehen, die Worte der Person sollten wirken dürfen.
Das wertvolle Ergebnis eines solchen Schwebedialogs sei der Erkenntnisgewinn, schreiben die Autoren. Durch die offene und respektvolle Kommunikation würde automatisch eine authentischere Form der Verbindung entstehen, die einen anderen Blick auf Themen ermöglicht. Das Ganze vor allem ohne den Zwang, Probleme gleich auch lösen zu wollen oder widersprüchliche Bedürfnisse unter einen Hut bringen zu müssen.
Es sei wichtig, schreiben Albegger und Horvat, zu verstehen, dass jede Bubble dem Zweck diene, die Welt im Sinne ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Das wiederum sorgt in der vielschichtigen Gegenwart für Orientierung, Halt und ist eine verlässliche Bestätigung unserer Identität. Denn beim Verteidigen dessen, was uns wichtig erscheint, handle es sich nicht einfach nur um Meinungen, sondern um unser geistiges und physisches Überleben. Wolle man ein Klima des Austauschs erreichen, werde es unumgänglich sein, den Andersdenkenden zuzuhören, ohne sie abzuwerten und auf Abwehr zu schalten.
Ehrlich versuchen, den anderen zu verstehen
Albegger und Horvat sehen solche Schwebedialoge als ersten Schritt zu einer besseren Verständigung, diese Methode müsse jedoch geübt werden. Nicht erwarten dürfe man, dass damit alle gesellschaftlichen Herausforderungen wie Polarisierung oder Extremismus zu lösen seien. Ohne den ehrlichen Versuch, einander zuzuhören, blieben aber alle Lösungen oberflächlich und unvollständig.
Die Autoren plädieren, in der Kommunikation mutig zu sein und neue Wege zu gehen. Das befreit auch vom inneren Druck, immer eine Antwort oder eine Lösung bereithaben zu müssen. Was in der heterogenen Gesellschaft mit dem offensichtlichen Zuviel an Wissen gar nicht möglich sei.