SN.AT / Leben / Karriere

Ein Handwerk, das unter die Haut geht

Vor 27 Jahren eröffnete Bernhard Leopold das erste offizielle Tattoostudio in Salzburg. Die Grundlagen für sein Metier hat er u. a. in seiner Lehre zum Porzellanmaler erlernt.

Bernhard „Leo“ Leopold bildet in seinem Studio angehende Tätowierer aus.
Bernhard „Leo“ Leopold bildet in seinem Studio angehende Tätowierer aus.

Es kratzt, es prickelt, es brennt: Tausende Nadelstiche, 120 pro Sekunde, dringen durch die Haut und drücken Tinte in die Dermis - eine ledrige Schicht, etwa ein bis drei Millimeter unter der Hautoberfläche. Das Ergebnis: einzigartige Körperkunst fürs Leben. Sich unter die Nadel zu legen kostet Mut, Zeit und Geld. Dessen ist sich Bernhard Leopold alias "Leo Salzburg" nur zu gut bewusst: "Auch wenn ich ein Motiv schon 500 Mal gestochen habe: Für die Kundin, den Kunden ist das ein ganz besonderer Moment, etwas, das man auch nicht mehr so einfach rückgängig machen kann. Deshalb arbeite ich jedes Mal mit Vorsicht und Bedacht."

Leo ist der Kopf hinter dem Studio "Naked Trust" am Müllner Hügel in der Stadt Salzburg und damit einer von aktuell 78 aktiven Tätowiererinnen und Tätowierern mit Berufsbefähigungsprüfung im Bundesland. Und er lebt seinen Beruf: Drachen und andere Fabelwesen haben sich auf seinen Armen breitgemacht, aus dem Kragen seines T-Shirts ranken schwarze Wirbel. Inzwischen ist es gut 27 Jahre her, dass der 52-Jährige das erste offizielle Tattoo- und Piercing-Studio im Bundesland eröffnet hat. "Damals war es alles andere als alltäglich, tätowiert zu sein", erinnert er sich. "Vielleicht hast du einmal irgendwelche Biker gesehen, die Tattoos hatten. Das war's. Es war kein Massenphänomen wie heute."

Leos Handwerk ist eines, das es seit mehr als 5000 Jahren gibt: Schon aus dem Alten Ägypten sind Mumienfunde mit Tätowierungen bekannt, auf der Gletschermumie Ötzi finden sich mehr als 60 feine grafische Muster. Auch andere Völker, wie die Maori aus Polynesien und Neuseeland, schmücken so seit Jahrtausenden ihre Körper.

Heute ist eine Tätowierung häufig Ausdruck des Selbst, Tagebuch des Lebens: das Sternzeichen, der Hochzeitstag, der Herzschlag des Kindes sind gängige Motive. Sie ist außerdem der sichtbare Beweis dafür, dass man bereit ist, über Grenzen, über Schmerzgrenzen zu gehen. Hierzulande trägt inzwischen jeder Fünfte Körperkunst für die Ewigkeit. Bei den 20- bis 29-Jährigen ist sogar jeder Zweite tätowiert.

Kunst im Blut

Grafiker, technische Zeichnerinnen, Drucker - jene, die sich für das Tätowieren interessieren, haben üblicherweise bereits zuvor in einem kreativen Feld gearbeitet. Auch Leos eigene Ausbildung war eine künstlerische: Er lernte Porzellanmaler bei Augarten in Wien (ein Lehrberuf, der 2009 ausgelaufen ist), war acht Jahre in dem Feld tätig. "Ich habe die Lehre angefangen, weil ich immer schon gerne zu Hause gesessen bin und gezeichnet habe", erzählt er. Tattoos seien für ihn als 15-Jährigen aber "überhaupt kein Thema" gewesen. Zum Handwerk kam er über Umwege: Er lernte einen Tattookünstler kennen, fertigte Entwürfe für ihn an und hatte schließlich zum ersten Mal eine Tätowiermaschine in der Hand: "Ich habe bei dem Drachen, den er auf der Brust hatte, die Farbe nachgestochen. Das Ergebnis war sicher furchtbar", lacht Leo. Denn das Tätowierhandwerk ist eines, das viel Übung und viel Hintergrundwissen braucht.

Einblicke in Bernhard „Leo“ Leopolds Arbeit.
Einblicke in Bernhard „Leo“ Leopolds Arbeit.

Was ein Tätowierer auf jeden Fall mitbringen sollte: eine ruhige Hand. "Du musst sehr genau und sehr sauber arbeiten können, alle Sinne beisammenhaben. Denn wenn dir beim Tätowieren ein Fehler passiert, gibt es keinen Radiergummi", gibt Leo zu bedenken. Bei größeren Tätowierungen dauern Sitzungen drei bis vier Stunden, davon meistert meist der Salzburger mit Wiener Wurzeln zwei am Tag. Dieses hochkonzentrierte, filigrane, detailverliebte Arbeiten ist seinen beiden Berufen gemein. Aus seiner Lehre als Porzellanmaler hat er freilich auch Fertigkeiten und die eine oder andere Inspiration mitgenommen. "Wir erlernten die verschiedensten Malereitechniken - von Aquarell über Acryl bis hin zu klassischer Ölmalerei. Die Motive waren ornamental-floral und teilweise aus dem chinesischen Raum", erinnert er sich. "Viele dieser Motive finden sich auch in der heutigen Tattookunst."

Das Tätowieren hat der Wahlsalzburger von Top-Artists auf der ganzen Welt gelernt: Mit einem kleinen Koffer bereiste er die Welt, suchte Orte auf, wo die permanente Körperbemalung traditionell verankert ist: Japan, Tahiti, Amerika. Der Stil des Inhabers des "Naked Trust" ist heute vor allem durch seine Reisen nach Asien beeinflusst. "Ich sehe mich allerdings nicht als traditionellen Japan-Stil-Tätowierer. Meine Drachen, Kois und Geishas sind weit weg von klassischen Vorlagen."

Kostspielige Ausbildung

Grundsätzlich kann in Österreich jeder Erwachsene Tattoo-Artist werden. Eine staatlich geregelte Lehre gibt es nicht. Was einen Beruf zu einem offiziellen Lehrberuf macht? Norbert Hemetsberger, Lehrlingsreferent der Wirtschaftskammer Salzburg (WKS), erläutert: "Um Qualitätsstandards und notwendige berufliche Fertigkeiten in ein Berufsbild zu fassen, braucht es den Bedarf aus der Wirtschaft und das Commitment aus der Branche." Das ist durchaus vorhanden: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der Tattoo-Artists laut der Daten der WKS fast vervierfacht. Tätowierer arbeiten allerdings - so wie Auszubildende in einer Pflegelehre, die seit September im Ausbildungsversuch geführt wird - am menschlichen Körper. Wer nicht volljährig ist, darf das laut Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz nur eingeschränkt tun. Das gestalte den Weg zum Lehrberuf schwierig.

Für angehende Tätowiererinnen und Tätowierer heißt das, dass sie während der Ausbildung mitunter nicht nur auf sich gestellt sind, wenn es um Fachwissen, Ausrüstung und Praxis geht, sondern auch finanziell. Und der Weg zur Berufsbefähigungsprüfung bei der Wirtschaftskammer ist ein kostspieliger: An die 20.000 Euro müsse man in die Hand nehmen, bevor man verdient, heißt es in einschlägigen Foren. Allein ein zweimonatiger Wifi-Kurs zur Vorbereitung auf die Prüfung beläuft sich auf 6300 Euro.

Einblicke in Bernhard „Leo“ Leopolds Entwurfsgalerie.
Einblicke in Bernhard „Leo“ Leopolds Entwurfsgalerie.
Einblicke in Bernhard „Leo“ Leopolds Entwurfsgalerie.
Einblicke in Bernhard „Leo“ Leopolds Entwurfsgalerie.

Um zu dieser Befähigungsprüfung antreten zu dürfen, muss man 97 Stunden Theorie und Praxis nachweisen. Für Tattoo-Artist Leo ganz eindeutig eine Schmalspurvariante: Er selbst bildet Interessierte in seinem Studio drei Jahre lang aus. "Eine Tätowierung ist ein körperlicher Eingriff, da sollte man gut Bescheid wissen, was die Hygienevorschriften angeht, wie Farbtöne auf unterschiedlichen Hauttypen wirken, wie das Motiv aussieht, wenn es verheilt ist, oder wie tief man stechen muss, damit die Farbe in der Haut bleibt. Das sind Erfahrungswerte, die man sich nur über die Jahre aneignen kann, nicht innerhalb von zwei, drei Wochen."

"Man darf nicht unterschätzen, wie intensiv der Beruf ist."
Bernhard Leopold
Tätowierer

Seine Lehrlinge sind das erste halbe Jahr damit beschäftigt, Entwürfe zu zeichnen und den Umgang mit der Kundschaft zu üben. "Die Beratung ist etwas ganz Wichtiges. Du klärst über mögliche Risiken auf, besprichst, was technisch möglich ist und in wie vielen Sitzungen ein Motiv verwirklicht werden kann." Die ersten Gehversuche mit der Tätowiermaschine machen Leos Lehrlinge üblicherweise auf Melonen, die besonders viel Übungsfläche bietet. Erst später werden per Überträgerfolie blaue Linien auf Haut aufgebracht, die Hände in schwarze Gummihandschuhen gesteckt, surrend die Maschinen geführt.

Beruf mit Trendfaktor

Leo macht die Beobachtung, dass Tätowieren immer mehr zum Modeberuf werde. "Man darf aber nicht unterschätzen, wie arbeitsintensiv der Job ist. Es geht nicht nur darum, dass du dich mit dem Kunden hinsetzt und dann gleich etwas tätowierst. Ich sitze ab und zu schon um 7 Uhr Früh im Studio und bereite die Designs vor", erzählt er. Das Tätowierhandwerk zu einem offiziellen Lehrberuf zu machen hält der Tattookünstler übrigens nicht für sinnvoll: "Du musst einem Kunden glaubhaft dein Wissen vermitteln, ihn beraten können. Wenn du 15, 16 bist, selbst keine Tätowierung haben darfst, kannst du jemandem nicht aus erster Hand erklären, mit welchen Schmerzen er rechnen muss oder wie der Verheilungsprozess verläuft." Was einen guten Tätowierer ausmacht? "Du musst auf jeden Fall einfühlsam sein, sehr gut mit Menschen umgehen können. Du bist in diesem Prozess ja immer hautnah am Kunden. Und dass du mit ihm auf einen gemeinsamen Nenner kommst, ist ab und zu ein leichter Weg und ab und zu ein steiniger", sagt Leo. Stolz ist er darauf, dass viele seiner Lehrlinge heute selbst erfolgreiche Tätowiererinnen und Tätowierer sind, zum Teil noch im "Naked Trust"-Studio, zum Teil selbstständig tätig.

Sie wollen noch weitere Geschichten rund um das Thema Karriere, Lehre und Weiterbildung lesen? Dann schauen Sie in die SN-Beilage „Karriere - Zukunft - Lehre“ – ab 18. November kostenlos im E-Paper oder in der SN-App.

Download für Tablets/Smartphones
Die App für iPad/iPhone können Sie über folgenden Link auf Ihrem Gerät installieren:


Die App für Android Tablets/Smartphones können Sie über folgenden Link auf Ihrem Gerät installieren:

Die App für Amazon Kindle Fire Tablet können Sie über folgenden Link auf Ihrem Gerät installieren: