Während Michelle Klump in Villach im Homeoffice sitzt, arbeitet Andrea Simic vom Salzburger Büro aus: Beide sind sogenannte Telefonengel bei Global Office Österreich, einem Dienstleister, der Firmen beim telefonischen Dialog mit Kundinnen und Kunden unter die Arme greift. Andrea Simic und Michelle Klump vergeben zum Beispiel Termine in der Werkstatt, wenn das Telefon im Autohaus läutet, dort aber gerade keine Kapazitäten für ein Gespräch frei sind. Zwei Drittel der knapp 70 Telefonengel arbeiten aus dem Homeoffice, Tendenz steigend. Sie sind vom Bodensee bis zum Neusiedler See in ganz Österreich verstreut: "Remote Work gehört immer schon zu unserer DNA. Unsere Arbeitsplätze sind bewusst in ganz Österreich verfügbar, weil das die Möglichkeiten beim Recruiting enorm erweitert. Nur so können wir die besten Köpfe für uns gewinnen", weiß Alexandra Kral, die das Telefonengel-Team anführt. Kral arbeitet selbst in der Global-Office-Zentrale in Salzburg: "Mir geht es nicht darum, alles von oben herab zu diktieren. Ich will mein Team inspirieren und die Werte des Unternehmens weitergeben. Meine Rolle ist es, Strukturen zu schaffen, innerhalb derer sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich entwickeln können."
Vertrauen und Nähe als Grundzutaten
Hat Führung nach Befehl damit ausgedient? "Das hat sie sowieso, egal ob Teams virtuell miteinander arbeiten oder nicht", erklärt Martin Seibt, Führungskräftecoach beim Institut für Emotional Intelligente Unternehmensführung. Die Pandemie habe Remote Work salonfähig gemacht und damit automatisch wieder wesentliche Werte in den Mittelpunkt gerückt: Vertrauen, Kontakt und Nähe. "Wenn wir einander immer nur als Kacheln auf Bildschirmen sehen, dann möchte unser Gehirn die fehlenden Reize ständig ausgleichen, Cortisol wird ausgeschüttet und wir sind automatisch auf der Hut. Dieser Alarmmodus stresst und ermüdet uns. Langfristig ist das nicht gesund. Um Cortisol wieder abzubauen, brauchen wir Oxytocin und Serotonin, Bindungshormone, die erzeugt werden, wenn wir in gutem Kontakt miteinander sind. Für Teams, die virtuell arbeiten, heißt das, dass viel mehr investiert werden muss, um die notwendige emotionale Nähe zu erzeugen. Das sollte die eigentliche Aufgabe von guter Führung sein, ob virtuell oder nicht."
Reden, reden und nochmals reden
Diese Nähe wird bei Global Office durch intensiven Austausch erzeugt, sei es in Videokonferenzen, im Chat oder - ganz wichtig - im persönlichen und ganz absichtslosen Telefongespräch. "Ich möchte, dass jeder versteht, warum wir tun, was wir tun, und welche Bedeutung der oder die Einzelne für das große Ganze hat", so Dialogcenter-Leiterin Kral. Es entstehe ein Wir-Gefühl, das das Team stärke. Aktives Zuhören sei ihr dabei wichtig: "Durch den ständigen Kontakt entwickelt man ein feines Gespür und merkt rechtzeitig, wenn etwas nicht passt. Probleme werden angesprochen, bevor die Situation unlösbar wird."
Für alle Anliegen ein offenes Ohr zu haben, das kann für Alexandra Kral bei der schnell wachsenden Zahl der Telefonengel zeitlich herausfordernd sein. Deshalb entwickelt sich jetzt die Organisationsstruktur weiter: Aktuell werden vier Telefonengel zu Team-Coaches ausgebildet, die dann für bis zu 15 Kolleginnen und Kollegen die Ansprechperson sind. "Sie durchlaufen ein fünfmonatiges Programm, in dem sie etwa lernen, wie man richtig Feedback gibt oder Konflikte löst."
Klare Spielregeln wichtig
Gerade das Feedbackgeben oder Konfliktelösen sei virtuell besonders sensibel, weiß Michael Berger, Vice President Human Resources bei Palfinger. Speziell wenn noch kulturelle Unterschiede wie etwa mit asiatischen Kolleginnen und Kollegen hinzukommen. Ungefähr 12.600 Mitarbeitende zählt der Bergheimer Kranhersteller weltweit, seit 2019 ist das länderübergreifende Arbeiten in der Matrixorganisation gängiger Standard: "Viele Tätigkeiten kann man remote gut erledigen, etwa ein Viertel unserer Mitarbeiter arbeitet dezentral." Doch die informelle Ebene spiele eine wichtige Rolle: "Menschen zeigen vor der Kamera nur, was sie zeigen wollen. Ich habe deshalb noch nie jemanden eingestellt, den ich nicht auch irgendwann persönlich getroffen habe."
Ob das Führen aus der Ferne gelingt oder nicht, hängt für Berger zum einen an der Kommunikation. Gleichzeitig braucht es auch eindeutige Regeln: Wer ist wann und wie erreichbar? Wie wird Berufliches von Privatem getrennt? Wie viel Ansprache braucht jemand, um sich nicht alleingelassen oder zu kontrolliert zu fühlen?
Klare Erwartungen und gut kommunizierte Spielregeln helfen auch den Telefonengeln enorm: "Es gibt zwar Kontrollinstrumente, über die wir Dauer und Qualität der Telefonate einsehen können, wir nutzen das aber eher, um zu motivieren oder besondere Leistungen zu belohnen." Zudem werde sichtbar, wenn Kolleginnen und Kollegen Aufgaben überdurchschnittlich gut oder schnell lösen: "Wir sprechen sie dann darauf an und fragen, ob sie Lust haben, ihr Know-how an andere weiterzugeben. So fördern wir wiederum den Austausch untereinander."