Elf Grad minus, die Haube sitzt, der Körper schlottert. Elke Ludewig zeigt sich von der Kälte und dem eiskalten Wind auf 3100 Metern Seehöhe relativ unbeeindruckt. Die Leiterin des Observatoriums auf dem Hohen Sonnblick erklärt bei strahlend blauem Himmel und überwältigendem Panorama, das vom Großglockner überragt wird, was es mit den einzelnen Messgeräten auf der Terrasse auf sich hat, was sie messen und was die Daten über die Luft und die Wolken verraten, die uns umgeben. Und darüber weiß man längst nicht alles.
Die Begeisterung ist der 38-jährigen Klimaforscherin ins Gesicht geschrieben, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Das Observatorium ist das älteste der Welt in dieser Höhenlage, seit 1886 werden dort Klimadaten erhoben. Seither beobachtet man die Gletscherentwicklung, in den 1950er-Jahren starteten Messungen zur optischen Strahlung, 1983/84 installierte man einen Geigerzähler. 1989, drei Jahre nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, kam zur Messung von Radioaktivität jene von radioaktiven Aerosolen, in den Neunzigerjahren reihten sich Ozon und UV ein, in den 2000ern die Treibhausgase. Die Luft hält viele Informationen bereit, während der Saharastaub oft sichtbar ist, lassen sich aus den unsichtbaren Aerosolen auch weltpolitische Ereignisse ableiten, der Ukraine-Krieg beispielsweise.
Daten für die ganze Welt
Auf dieser Seehöhe herrschen optimale Bedingungen, um der Natur respektive der Luft auf den Grund zu gehen. Weltweit gibt es keine Messstation mit derartigen Voraussetzungen, denn jeder Mensch, der sich um die Station bewegt, verfälscht die Ergebnisse. Auf dem Hohen Sonnblick herrscht nur wenig touristische Frequenz im Vergleich zu anderen Messstationen, etwa jener auf dem Jungfraujoch in der Schweiz. Elke Ludewig zeigt auf ein Messgerät, dessen Filter vom Saharastaub gelb ist. "Sobald draußen ein Hubschrauber vorbeifliegt, wird der Filter schwarz", sagt sie. Derzeit sind auf dem Sonnblick rund 25 Forschungseinrichtungen mit 43 Projekten aktiv.
Gemessen wird, was technisch möglich ist und als relevant erscheint, um daraus größere Zusammenhänge abzuleiten. "Oft beginnt man mit dem Monitoring, um zu sehen, welches Wissen man daraus generieren kann, ohne sich vorher die gesamte Wirkungskette überlegt zu haben", sagt die Forscherin. Und dann trifft man ins Schwarze und die Daten liefern Ergebnisse, die gesellschaftlich bedeutend sind und mitunter politisch zum Handeln zwingen. So stellte man vor wenigen Jahren anhand von Regen- und Schneeproben fest, dass Plastikpartikel nicht nur die Ozeane belasten, sondern auch die Luft.
Eine wichtige Basis für andere Disziplinen
Diese Messungen werden weltweit durchgeführt, wissenschaftlich verglichen und interpretiert. Mit der Datenbasis wird weitergearbeitet. Die Kunststoffindustrie kann sie zur Optimierung ihrer Produkte nutzen, denn die Plastikpartikel in der Luft stammen in erster Linie vom Abrieb der Autoreifen oder der Kleidung. Biologen erforschen mit den Ergebnissen in ihren Einrichtungen die Auswirkungen von Mikroplastik auf den natürlichen Kreislauf, die Medizin wiederum widmet sich den biochemischen Vorgängen, die Plastikpartikel im menschlichen Körper verursachen.
Ein junger Forschungsbereich im Observatorium ist die Messung von Bioaerosolen, die über die Pollentätigkeit Auskunft geben kann. Hierzu ist bereits künstliche Intelligenz im Einsatz, die trainiert wird, um die verschiedenen Pollenarten unterscheiden zu können. Auch mit den Herstellern technischer Geräte ist das Team des Sonnblick-Observatoriums in Kontakt, um Lösungen zu finden, wie Daten erfasst werden können, die man benötigen würde.
Vom Kindheitstraum zur Realität
So geradlinig und klar Elke Ludewig die Technik am Observatorium erklärt, so zeigt sich beim Interview im warmen Mitarbeiterraum ihr Lebenslauf. In einer Zeit groß geworden, in der man noch durch Atlanten blätterte, fand sie auf einer Weltkarte die große weiße Fläche im Süden des Planeten, die Antarktis. "Dort will ich einmal hin", sagte sie zur Mutter. Diesen Wunsch verlor sie nie aus den Augen. Das Studium der Meteorologie führte sie an die Universität Hamburg, die im Bereich der Klimaforschung damals schon einen guten Ruf hatte. Im nahen Bremerhaven befindet sich zudem das Alfred-Wegener-Institut (AWI), das eine Forschungsstation in der Antarktis betreibt.
Elke Ludewig nahm auf ihrem wissenschaftlichen Ausbildungsweg mit, was sie für die Arbeit am Südpol benötigen würde: Neben der Meteorologie waren das die Bereiche Ozeanografie und Geophysik, sie beschäftigte sich mit höherer Mathematik, Quantenphysik, theoretischer Physik und mit Informatik. "Technik hat mich schon immer interessiert, es war viel zu lernen, aber ich bin ein Zahlenmensch. Bei Sprachen hingegen musste ich Vokabeln büffeln, um in der wissenschaftlichen Sprache Englisch zu kommunizieren. Aber ich bin sehr ehrgeizig", sagt sie.
Lernen für die Abgeschiedenheit
Nach Abschluss des Diplomstudiums überlegte die Wissenschafterin, ob sie sich gleich für die Antarktis-Forschungsstation bewerben oder vorher noch das Doktorat in Angriff nehmen sollte. Sie entschloss sich für Letzteres, erforschte die Auswirkungen von Offshore-Windparks auf die Natur, konkret die Ost- und Nordsee, um sich als promovierte Dr. Ludewig für die Antarktis-Mission zu bewerben. Und das klappte auf Anhieb.
Die Vorbereitung auf die Forschungsreise war aufwendig und dauerte mehrere Monate. Das Team erhielt eine Löschzug-Ausbildung bei der Feuerwehr und lernte Basiswissen für chirurgische Operationen. Elke Ludewig kann seither die Ketten von Schneeraupen wechseln und Skidoos reparieren. Sie weiß, wie ein Blockheizkraftwerk funktioniert oder eine Kläranlage. Die Notfallmaßnahmen müssen bekannt sein, denn das neun- bis elfköpfige Team ist in der Antarktis weitgehend auf sich gestellt. Zwischen Februar und November können dort oft wetterbedingt keine Flugzeuge landen.
Dennoch wird auf der Station nichts dem Zufall überlassen, so besteht eine Datenverbindung mit dem Krankenhaus in Bremerhaven, wo Ärzte etwa bei EKG-Messungen diagnostisch eingreifen können. "Es ist schon ratsam, wenn man bei Antritt der Mission keine Weisheitszähne oder keinen Blinddarm mehr hat", sagt die Wissenschafterin und schmunzelt.
Forschen auf dem Schelfeis
Die antarktische Forschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts, Neumayer III, befindet sich auf Schelfeis, das pro Jahr etwa 157 Meter ins offene Meer treibt. Die Anreise erfolgte über Südafrika, der Weiterflug wird nur unter besten Flugbedingungen genehmigt. Elke Ludewig erinnert sich noch gern an ihre Ankunft, die grenzenlose Natur, die Pinguine, 24 Stunden Taghelle, aber auch die Begeisterung über die technische Ausrüstung.
Das Team auf Neumayer III bestand aus vier Wissenschaftern aus den Bereichen Meteorologie, Luftchemie, zwei Forschende kamen aus der Geophysik, zum Team gehörten zudem eine Ärztin, ein Koch, ein Elektriker, ein IT-Experte und ein Ingenieur. Alle Teilnehmenden sind in der Regel nur eine Saison mit dabei, das sei taktisch klug, sagt die Wissenschafterin, weil sich die Teams so besser formierten, wenn alle denselben Wissens- und Erfahrungsstand hätten.
Konzentriertes Arbeiten und Wachsamsein
Als Abenteuer will Elke Ludewig ihren Forschungsaufenthalt nicht verstanden wissen, "es war ein kalkulierbares Risiko", sagt sie. Das Wissen um die Abgeschiedenheit bestimme den Alltag mit, "man lernt, besonders konzentriert zu arbeiten". Die erhöhte Aufmerksamkeit zieht sich durch den ganzen Tag auf der Polarstation, man wird wachsam, was Geräusche betrifft. Stets im Blick habe man das Wetter, gerade sie als Meteorologin. Dennoch erlebte die Forscherin eine brenzlige Situation. Bei einem Aufenthalt im Freien überraschte sie ein "Whiteout", ein Schneesturm, sie verlor kurzzeitig die Orientierung, GPS und Funk halfen nicht mehr. Die Forscherin fand über die Geräusche der Windräder den Weg zurück zur Station. Fährt das Team zu mehreren Stunden dauernden Messungen in die endlos weiße Landschaft, ist stets eine Notfallkiste dabei. Ohne Vaseline verlässt niemand die Station, um sogenannte Eisverbrennungen zu vermeiden.
Mit der Kälte kam Elke Ludewig gut zurecht, obwohl die Temperaturen im Schnitt bei minus 20 Grad lagen. "Man kann sich entsprechend anziehen, zudem ist die Kälte in der Antarktis sehr trocken." Gegen Ende ihres Forschungsaufenthalts waren Stürme der Grund, dass das Versorgungsflugzeug, das frische Lebensmittel bringen sollte, nicht wie geplant landen konnte.
Bewerbung mit Hindernissen
Während der letzten Wochen auf der Forschungsstation stieß sie auf die Stellenausschreibung des Sonnblick-Observatoriums. Der Bewerbungsprozess war herausfordernd, denn die Datenleitungen von der Forschungsstation zum Rest der Welt waren damals träge und reserviert für wissenschaftliche Daten. Elke Ludewig bekam nachts einen Slot, um ihre Bewerbungsunterlagen nach Wien mailen zu können. Nur wenige Tage nach ihrer Rückkehr aus der Antarktis fuhr sie zum Bewerbungsgespräch und wurde genommen. Seit 2016 leitet Elke Ludewig nun das Department Sonnblick-Observatorium der Geosphere Austria.
Aufruf zum Klimaschutz an Schulen
"Egal ob Sonnblick-Observatorium oder Neumayer-Station III in der Antarktis: Es ist unglaublich, was diese Stationen leisten, damit wir erfahren, wie das Klima und die Ökosysteme funktionieren", resümiert die Klimaforscherin. "Wir sehen, wie vulnerabel gewisse Ökosysteme reagieren, aber auch, wie resistent die Systeme auf der anderen Seite sind. Für uns Menschen bedeutet das, wesentlich mehr zu tun, um Entwicklungen wie den Klimawandel aufzuhalten", sagt Elke Ludewig.
Österreich habe finanzielle Mittel, man könne und müsse Maßnahmen setzen und sich auf notwendige Prozesse für den Klimaschutz einlassen, damit letzten Endes unsere Erde lebenswert bleibt. Die große Nachfrage nach Balkonkraftwerken zeige, dass es für jeden möglich sei, den eigenen Teil beizutragen, findet die Forscherin. "Solche Reaktionsketten sind unglaublich wichtig."
Elke Ludewig ist deshalb auch an Schulen unterwegs, um über Forschungsergebnisse und ihre tägliche Arbeit zu berichten, in der Hoffnung, dass diese Informationen auch die Eltern erreichen. Denn jeder könne einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, "und sei es nur die Erkenntnis, dass man Kinder mit dem Rad oder zu Fuß in die Schule begleiten kann und nicht mit dem Auto fahren muss".