Wie viele Kinder wünschen sich schon ein Mathematikbuch vom Christkind? Wahrscheinlich ist die Anzahl überschaubar. Zur Freude von Matthias Pleschinger lag einst tatsächlich besagtes Buch unter dem Christbaum. Dass sich Matthias' Interessen von denen Gleichaltriger unterscheiden, zeigte sich schon früh. Statt mit Duplo spielte er als Zweieinhalbjähriger lieber mit Lego-Technik. Mit fünf Jahren programmierte er seinen Lego-Technik-Roboter auf einer grafischen Oberfläche. Dann nahm er sich erst den Laptop seiner Mutter und später den eigenen vor, um herauszufinden, wie die Geräte funktionieren. "Bei meinem ersten richtigen Programmierversuch, an den ich mich erinnern kann, war ich sechs Jahre alt", erzählt der heute 15-jährige Schleedorfer. Im Volksschulalter brachte er sich selbst Basic, Java, C, C++ und weitere Programmiersprachen bei. "Die Logik hinter den verschiedenen Programmiersprachen ist gleich", stellt Matthias nüchtern fest.
Apropos Volksschule: In die wollte Matthias nur gehen, um endlich lesen zu lernen. Somit konnte er Dinge googeln oder in Büchern nachschlagen. Davor agierte er nach dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip. In den einzelnen Fächern war er stets weiter als seine Mitschülerinnen und Mitschüler. Während des Matheunterrichts durfte er deshalb zum Beispiel auf der Couch sitzen und lesen - Fach-, Sach- und Abenteuerbücher. "Seine Lehrerin hat Matthias mit seinen Stärken und Schwächen akzeptiert", sagt seine Mutter Monika Pleschinger. Der Lehrerin habe ihr Sohn viel zu verdanken.
Informatik-Bachelorstudium ab der fünften Klasse
Wie geht man mit einem Kind um, das so wissbegierig ist und sich vor allem für Naturwissenschaften und Technik interessiert? "Wir haben rasch gemerkt, Matthias braucht Hirnfutter. Dann läuft er rund", schildert seine Mutter. Sie suchte deshalb Angebote, die den Neigungen ihres Sohns entsprachen, denn Matthias sollte das, was er sich selbst beigebracht hatte, auch nutzen können. Auf ihre Initiative hin besuchte Matthias zum Beispiel das Schülerforschungszentrum in Berchtesgaden, den Coding Club Salzburg, der kostenfreie IT-Workshops anbietet, und das FH-Programm "Junior Students" für an Technik interessierte Kinder und Jugendliche.
Mit dem Wechsel von der Volksschule auf das Herz-Jesu-Gymnasium in Salzburg tat sich für Matthias eine neue Welt auf. Das Gymnasium war Partnerschule von Go4IT, einer Initiative von Wolfgang Pree, Informatikprofessor an der Universität Salzburg. Mit diesem inzwischen eingestellten Programm konnten Schülerinnen und Schüler ab der fünften Klasse Gymnasium ein Informatik-Bachelorstudium beginnen. In den Lehrveranstaltungen wurden Kenntnisse über Informatik, Programmieren und künstliche Intelligenz vermittelt. Einsemestrige Veranstaltungen, die die Teilnehmer außerhalb der Schulzeit besuchten, wurden auf zwei Semester gestreckt. Matthias nahm ab dem Wintersemester 2018 an Go4IT teil. Als damals Elfjähriger schrieb er sich als außerordentlicher Student an der Uni Salzburg ein und ist seitdem Inhaber eines Studentenausweises. Zum Einstieg druckte er einen 100-seitigen Code aus. Professor Pree war so beeindruckt von Matthias' Talent, dass er ihn gleich ins zweite Semester schickte.
Seit dem Wintersemester 2019 besucht Matthias reguläre Vorlesungen, Proseminare und Übungen mit erwachsenen Studierenden. Im aktuellen Wintersemester hat er
101 ECTS-Punkte erreicht und somit mehr als die Hälfte seines Studiums absolviert. Für seinen Bachelor braucht er 180 ECTS-Punkte. Jeden Montag und Mittwochnachmittag ist Matthias an der Uni. Er und seine Eltern sind seiner Schule sehr dankbar, dass sie ihn auf seinem Weg unterstützt. "Ich darf während der Schulzeit die Uni besuchen", erzählt der 15-Jährige. Seine Mutter fügt hinzu, dass aber weder Schule noch Universität ihrem Sohn etwas schenken würden. "Leistungen muss er dieselben erbringen, allerdings muss Matthias für die Schule sehr wenig Zeit investieren und ist trotzdem gut", stellt seine Mutter fest. Was jahrelang auf der Hand lag, ist inzwischen attestiert: Matthias ist hochbegabt - in allen Bereichen. Das führte letztlich dazu, dass er die vierte Klasse AHS übersprungen hat.
Für seine Eltern waren das Überspringen der Klasse und das Studium große Entscheidungen. Sie mussten abwägen, was das Beste für ihren Sohn ist. Matthias war natürlich in den Prozess einbezogen. "Er ist sehr willensstark. Er hat immer das gemacht, was er wollte", sagt seine Mutter. "Man kann ihn nicht überfordern."
Für Wolfgang Pree ist es ein Glücksfall, das "Ausnahmetalent" Matthias entdeckt zu haben und früh fördern zu können. Er bescheinigt dem Teenager eine extrem schnelle Auffassungsgabe, knifflige Aufgaben anzugehen und zu lösen. Diese Eigenschaft kam Matthias heuer im August bei der IT-Olympiade für Schülerinnen und Schüler in Yogyakarta, Indonesien, zugute. Dort holte er eine Bronzemedaille. Matthias war Teil des vierköpfigen österreichischen Teams und trat gegen 350 Informatiktalente aus 90 Nationen an. Bei einer Aufgabe musste er eine Route zwischen maximal 100.000 Inseln mit maximal 200.000 Kanus so planen, dass auf jeder Insel ein neues Kanu bestiegen werden muss und am Ende der Reise alle Kanus wieder an ihrem Ursprungsort sind. "Die größte Herausforderung ist dabei das Zeitlimit. Man muss in der vorgegebenen Zeit einen Algorithmus finden, der die Aufgabe möglichst effizient löst", erklärt Matthias.
"Matthias ist ein Ausnahmetalent, das sich aber null darauf einbildet"
Erfolgreich war er im November auch beim jüngsten Classic Cloudflight Coding Contest. Bei mehr als 1200 Teilnehmern weltweit ist der Schleedorfer unter die Top Ten gekommen. Laut Pree nehmen daran in der Regel Programmierer mit langjähriger Erfahrung teil. "Matthias hat alle sieben Teilaufgaben korrekt programmiert - etwas, das bei diesem und allen bisherigen Programmierwettbewerben meines Wissens noch kein einziger unserer Informatikstudierenden geschafft hat", berichtet Pree stolz und resümiert: "Matthias ist ein Ausnahmetalent, das sich aber null darauf einbildet." Matthias, er beschreibt sich selbst als introvertierten Menschen, sagt zu den Wettbewerben und seinen Erfolgen nur so viel: "Ich mache meine Projekte und möchte meinen Spaß haben."
Die nach dem Cloudflight Coding Contest erhaltenen Jobangebote hat er abgelehnt. Erst macht er im Frühjahr 2024 seine Matura und ein Jahr später seinen Bachelor. Der Master ist ebenfalls ein Ziel. Beruflich stehen ihm alle Wege offen. Den Gang in die Forschung schließt er derzeit aus, wobei Wolfgang Pree ihn genau dort sieht: "Er braucht die maximale Freiheit und keine Vorgaben."