Die Sonne brennt auf die Wiener Innenstadt. Erst neun Uhr früh und schon hat es 25 Grad. Hunderte Touristen suchen Schutz im Schatten der kleinen Cafés. Dort sitzt auch Mehmed Basic und schaut sehnsüchtig zum kühlen Mineral auf dem Nachbartisch. Er hat Durst. Doch Basic wird an diesem Morgen kein Mineral bestellen, obwohl ihn der Kellner schon drei Mal gefragt hat. Denn es ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime.
Vor fünf Stunden, kurz vor Sonnenaufgang, hat der 27-Jährige den letzten Bissen gegessen und den letzten Schluck getrunken. Erst nach Sonnenuntergang, gegen zehn Uhr abends, wird er das Fasten brechen. Während der 18 Stunden dazwischen muss er auf Essen, Trinken, Zigaretten und sonstige Genussmittel verzichten.
Der Fastenmonat Ramadan geht heuer vom 9. Juli bis zum 10. August und ist im islamischen Kalender der neunte Monat. Laut islamischem Glauben ist das jener Monat, in dem der Koran den Menschen gesandt wurde. Das Einhalten des Fastens gehört zu den fünf Säulen des Islams und sollte von jedem gesunden und volljährigen Muslim eingehalten werden.
Bei Temperaturen um die 30 Grad stößt vor allem der Verzicht auf Wasser häufig auf Unverständnis: "Nichtmuslime fragen immer wieder, wie man das aushalten kann?" Für Basic ist die Zeit des Verzichts trotzdem keine Qual: "Man wird sich durch den Verzicht bewusst, wie unnötig viele Dinge sind." Obwohl er sich selbst nicht als strenggläubig bezeichnet, fastet er, um sich in den vier Wochen weitgehend vom Alltag auszuklinken. Er lese viel, schlafe viel, ordne den Kopf. "Ich bin Student und kann mir das erlauben, weil Ferien sind. Wenn ich einen Job habe, weiß ich nicht, ob das noch geht", erklärt Basic.
Wie viele Muslime in Österreich fasten, lässt sich nur schätzen. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich spricht davon, dass etwa 80 Prozent der ungefähr 500.000 Muslime, die hier leben, den Ramadan begehen. Laut dem Religionssoziologen Paul Zulehner spielt das Fasten auch bei säkularen Muslimen eine große Rolle: "Hier hat das Fasten weniger religiöse Bedeutung, sondern dient dem kulturellen Zusammenhalt", erklärt der Soziologe. Auch unter Jugendlichen stehe der Verzicht auf Essen und Trinken immer mehr im Trend.
Einige Gassen weiter schwitzt Ahmet D. in seiner kleinen Imbissbude. Auch er fastet. Obwohl er den ganzen Tag mit Essen zu tun hat, fällt es ihm jetzt, zur Halbzeit des Ramadans, nicht mehr schwer. "Die ersten Tage sind am schlimmsten. Dann gewöhnt sich der Körper daran." In seiner Familie sei der Ramadan mehr Tradition als Religion: "Nur meine Mutter und ich fasten, mein Vater arbeitet am Bau und muss wegen der Hitze etwas trinken, meine Geschwister fasten gar nicht." Seine jüngeren Schwestern hielten davon nichts. "Sie wollen rebellieren. Meine Eltern sehen das nicht so streng. Beim Fastenbrechen sitzen trotzdem alle zusammen", sagt er, während er eine Pizza in den Ofen schiebt.
Es ist neun Uhr am Abend. Der Sonnenuntergang taucht Wien in ein glühendes Rot, ein langer Sommertag geht zu Ende. In einer kleinen bosnischen Moschee im zehnten Wiener Gemeindebezirk versammeln sich heute junge Muslime, um gemeinsam das Fasten zu brechen. Es ist angenehm kühl und ruhig in dem Gewölbe. Verstreut sitzt man im Gebetsraum, liest den Koran oder bereitet das Fastenbrechen (Iftar genannt) vor.
Um 21.47 Uhr ist es so weit. Die Sonne ist verschwunden, es darf wieder gegessen und getrunken werden. Traditionell gibt es ein Glas Wasser und eine Dattel. Muhamed Beganovic steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben: "Wasser hat noch nie so gut geschmeckt", sagt der 24-Jährige und leert den zweiten Becher. Nach dem Abendgebet wird gegessen. Es gibt Linsensuppe, Salate und Hühnerspieße. Laut Beganovic müsse jeder selbst wissen, wie er faste: "Es gibt viele Abstufungen. Ich verzichte zum Beispiel auch auf Musik."
Anita Causevic kaut gerade genüsslich den ersten Bissen nach dem Sonnenuntergang. Sie kann das Fasten jedem empfehlen: "Es ist Urlaub für die Sinne und es ist leichter zu schaffen, als man denkt", erklärt die 26-Jährige. Gerade in einer Zeit, in der unsere Sinne durch neue Medien, permanente Verfügbarkeit und Fast Food strapaziert würden, könne jeder eine solche Pause gut gebrauchen, sagt Causevic.