Zu dumm aber auch, dass sich die Stäbe des Korsetts unter dem Stoff ihres Abendkleids abzeichneten. Einfach unmöglich! Deshalb schneiderte sich Mary Phelps Jacob (1891-1970), eine junge Dame der New Yorker Gesellschaft, aus zwei seidenen Taschentüchern und rosa Bändern den Prototyp des heutigen Büstenhalters. 1914 meldete sie ihre Erfindung, die sich anfangs gut verkaufte, zum Patent an, das ihr im November 1914 auch gewährt wurde. Wirtschaftlichen Erfolg hatte sie mit ihrem Büstenhalter allerdings nicht - erfolgreicher war Jacob als Schriftstellerin unter dem Namen Caresse Crosby -, weshalb sie ihr Patent für 1500 US-Dollar an die Warner Brothers Corset Company verkaufte. Dann kam der Krieg. Alles wurde knapp. In den USA wurden Frauen aufgefordert, keine Korsetts mehr zu tragen, weil das darin verarbeitete Metall für die Rüstung benötigt wurde. Der Siegeszug des Büstenhalters begann.
Gegeben hat es ihn ja schon früher. In der Antike trugen Frauen eine Art Büstenhalter, eine Stoffbinde unter, beim Sport auch über der Brust. Archäologische Funde - eine Unterhose sowie vier spitzenbesetzte BH - auf Schloss Lengberg in Osttirol haben belegt, dass der Büstenhalter auch im späten Mittelalter bekannt war. Abgelöst wurde er im 16. Jahrhundert vom Korsett, das den Frauen dann jahrhundertelang die Luft abschnüren sollte.
Wer genau den Büstenhalter, wie wir ihn heute kennen, erfunden hat, ist auch nicht ganz eindeutig. Das älteste bekannte BH-Patent stammt aus dem Jahr 1859. Henry S. Lesher aus New York erhielt es für seine "combined breast pads" (kombinierte Brustpolster) aus Gummi, Stoff und Metall. 1884 meldete Mortimer Clarke in Amerika ein Patent für einen Büstenhalter, der den heutigen Sport-BHs glich, an. In Frankreich war es Herminie Cadolle, die aus Protest gegen den Korsettzwang eine filigranere, "den Busen haltende Konstruktion" entwarf und ihren Entwurf 1889 schützen ließ. In Deutschland entwarf die Dresdnerin Christine Hardt ein "Frauenleibchen als Brustträger", das sie 1895 eintragen ließ. Aber erst Mary Phelps Jacobs Erfindung war zur rechten Zeit am rechten Ort und wurde zum Star. Der Büstenhalter hat, als Alternative zum Korsett, die Damenunterwäsche revolutioniert. Denn auf stützende und die Brust verhüllende Wäsche konnten und wollten die Frauen nicht verzichten. Keinen BH zu tragen galt als höchst unanständig, das wurde erst 1968 modern.
Die Mode bestimmt seit jeher die Form des weiblichen Körpers, also auch die Erscheinungsform der Brüste. In den 1920er-Jahren mussten, weil die knabenhafte Garçonne chic war, Büstenhalter die Brüste flach drücken. Die 1930er-Jahre verlangten nach mütterlichen Frauen mit praller Oberweite, in den 1950er-Jahren standen Filmgöttinnen wie Sophia Loren für ein Schönheitsideal, das üppige Formen, eine schmale Taille und einen großen Busen favorisierte. Mit dabei an vorderster Front: der Büstenhalter.
Anfang der 1930er-Jahre wurden Standardgrößen für BHs eingeführt. 1941 entwarf der legendäre Howard Hughes den ersten trägerlosen BH für Jane Russell. Elastische Stoffe, verstellbare Träger und einfachere Schnitte, auch BHs mit Metallbügeln, Innovationen hielten das Interesse am BH hoch, das erst 1968 - im Jahr großer gesellschaftlicher Umbrüche - jäh gestoppt wurde. Der Büstenhalter, der die Frauen zuvor befreit hatte, verwandelte sich zum Symbol männlicher Unterdrückung. Davon ist in den 80er- und 90er-Jahren keine Rede mehr. Denn: Die Gesellschaft huldigt dem Körperkult. 1994 wird der Wonderbra, die Mutter aller Push-up-BHs, erfunden. Der perfekte Körper wird zum Statussymbol, optisch makellose Brüste inklusive. Und heute? Heute ist der Büstenhalter ein ganz normales Kleidungsstück. Frauen müssen sich nicht einmal mehr entscheiden, ob ihr Büstenhalter nur ein praktisches Kleidungsstück oder doch lieber ein erotisches Accessoire sein soll. Denn meistens ist er beides.
Gut zu wissen
Obwohl er die Frauen seit 100 Jahren begleitet, trägt kaum eine Frau einen Büstenhalter, der auch wirklich passt. Ungefähr die Hälfte aller Frauen greift laut Umfragen nicht zur richtigen Größe. Das liegt daran, dass die BHs verschiedener Hersteller oft unterschiedlich geschnitten sind. Und es liegt daran, dass viele Frauen ihre genaue Büstenhaltergröße nicht kennen. Davon abgesehen, dass der BH dann schlecht sitzt, kann das auch Rücken- und Schulterbeschwerden oder zu Kopfschmerzen führen.
Um die BH-Größe zu berechnen, muss an zwei Stellen mit dem Maßband abgemessen werden. Der Unterbrustumfang (direkt am Körper unter den Brüsten) bestimmt die Zahl der Größe (z.B. 75). Auf- und abgerundet wird in Schritten von 2 cm. Wer also einen Unterbrustumfang von 78 cm hat, greift zu BH-Größe 80. Und zweitens der Brustumfang, der an der höchsten Stelle gemessen wird. Die Differenz zwischen Brustumfang und Unterbrustumfang ergibt die Cup-Größe.
Perfekt ist ein BH, wenn die Träger an den Schultern nicht einschneiden, wenn die Bügel nicht drücken oder weh tun. Da sich mit zunehmendem Alter auch die Brustform verändern kann, sollte der Brustumfang in regelmäßigen Abständen überprüft werden, um sicher zu gehen, dass die BH-Größe noch passt. Und: Beim Sport sollte immer ein Sport-BH getragen werden. Er sieht zwar nicht besonders aufregend auf, besitzt aber eine zusätzliche Stützfunktion, damit die Brust schön bleibt.










