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Bulliparade zwischen Tradition und Innovation

Im historischen Volkswagen-Werk 2 in Hannover wird seit bald 70 Jahren der VW Bulli gebaut. Am Hauptstandort von VW Nutzfahrzeuge erlebt man Vergangenheit und Zukunft der Marke hautnah.

Vergangenheit trifft Zukunft: Bereits Anfang der 70er-Jahre baute VW einen Elektro-Bulli...
Vergangenheit trifft Zukunft: Bereits Anfang der 70er-Jahre baute VW einen Elektro-Bulli...
... Die Zukunft gehört dem ID. Buzz...
... Die Zukunft gehört dem ID. Buzz...
...Camping-Oldtimer erzielen derweil Höchstpreise...
...Camping-Oldtimer erzielen derweil Höchstpreise...

Vor fast genau 67 Jahren, am 8. März 1956, lief im Volkswagen-Werk 2 in Hannover der erste VW-Bus vom Band. Wenngleich die Erfolgsgeschichte des Bulli schon sechs Jahre zuvor in Wolfsburg begann, so gilt die niedersächsische Hauptstadt dennoch als wichtigste Pilgerstätte für VW-Bus-Freunde aus aller Welt. Mehr als neun Millionen Bullis liefen hier bisher vom Band, und jeden Tag kommen rund 700 Stück dazu. Seit dem Start des neuen Multivan und des vollelektrischen ID. Buzz laufen an jenem Ort, an dem einst Vierzylinder-Boxer zusammengeschraubt wurden, parallel Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb, Plug-in-Hybrid und Elektromotor vom Band.

In Hannover findet man das Mekka der Bulli-Freunde

Unser Besuch in der Stadt des wohl berühmtesten Nutzfahrzeugs der Welt beginnt allerdings nicht in der Produktion, sondern bei VW Nutzfahrzeuge Oldtimer in der Vahrenwalderstraße. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein herkömmliches Volkswagen-Autohaus, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als das Mekka der Bulli-Freunde.

"Unsere Geschäftsfelder sind einerseits die Restaurierung, andererseits die Vermietung unserer historischen Fahrzeuge", erklärt Marius Wehmeier, Werkstättenleiter und so etwas wie der Chefhistoriker seines kleinen Teams. Gleich zu Beginn lenkt er unsere Aufmerksamkeit auf einen unscheinbaren Bus, der in einer Ecke des lichtdurchfluteten Schauraums steht. Dabei handelt es sich um einen der ältesten VW-Busse weltweit, mit geteilter Frontscheibe und mechanischen Winkern, gebaut noch vor dem Jahr 1956, als die T1-Produktion vom Stammwerk in Wolfsburg nach Hannover übersiedelte.

Die Stars der werkseigenen Sammlung, die aktuell rund 160 Exponate umfasst, sind allerdings die vier Samba-Modelle des Urmodells T1 - für damalige Zeiten besonders luxuriös ausgestattete Varianten mit Panoramaverglasung rundherum, Zweifarbenlackierung und Stoffdach. "Die Sambas werden besonders gerne gemietet, im Sommer sind sie praktisch ohne Pause im Einsatz", so Wehmeier, der gleich auch den gesalzenen Preis für ein Wochenende im Urbulli nachschiebt: "1040 Euro von Freitag bis Montag, inklusive Sprit für 300 Kilometer." Ein Klacks, vergleicht man es mit den Kosten, die für die Restaurierung eines Oldtimerbusses fällig werden. "Allein die Lackierung kommt auf 20.000 Euro, fast die gleiche Summe wird zudem für die aufwendigen Sattlerarbeiten fällig. Den größten Brocken macht allerdings immer der Karosseriebau aus. 50.000 Euro sind dabei schnell futsch, vor allem aufgrund der unzähligen Arbeitsstunden. Je nach Modell beträgt der Wert der in Originalzustand zurückversetzten Fahrzeuge schnell zwischen 100.000 und 150.000 Euro. Geht es nach den Wiederherstellungskosten, so liegt der Betrag weit jenseits der 200.000 Euro", verrät Marius Wehmeier und scheint die ehrfürchtig-schockierten Blicke der versammelten Journalisten zu genießen.

Neben den populären Klassikern wie Sambas, frühen T2 oder dem populären T3 Synchro umfasst die Sammlung auch jede Menge Exoten, etwa rechtsgelenkte Reimporte aus Südafrika, Pritschenmodelle im Offroad-Look oder den einst für die deutsche Post gebauten VW Fridolin. Auch Skurrilitäten wie einen Brasilien-Import mit wassergekühltem Polo-Motor, Seat-Tacho und Škoda-Lenkrad. Oder einen von nur acht gebauten B32 - einen T3 Synchro mit Motor und Fahrwerk des Porsche 964. "Langfristig ist es unser Ziel, von jedem Derivat ein gut erhaltenes Exemplar zu besitzen", erklärt Marius Wehmeier. Eine echte Lebensaufgabe, wenn man bedenkt, dass das sechsköpfige Team aus Bulli-Spezialisten im Schnitt gerade einmal zwei Vollrestaurierungen pro Jahr schafft.

Drei Transportermodelle laufen parallel im VW-Nutzfahrzeuge-Werk vom Band

Szenenwechsel ins VW-Nutzfahrzeuge-Werk in Hannover-Stöcken. Äußerlich erinnert das rund 152 Fußballfelder große Werksgelände tatsächlich noch an Archivbilder aus der Pionierzeit Mitte der 1950er-Jahre: Jene charakteristischen schrägen Dachfenster sind erhalten geblieben, auch die historischen Backsteinsäulen stehen noch. Doch wo einst in Handarbeit die Grundlage für das deutsche Wirtschaftswunder gelegt wurde, dominieren heute voll automatisierte Montageroboter. Wie von Geisterhand gesteuert tauschen autonom fahrende Werkzeugwagen leere Behälter gegen solche mit neuen Bauteilen. Tritt ein Problem auf, schickt das Überwachungssystem binnen Sekunden eine Meldung an die Smartwatch des diensthabenden Produktionsleiters.

Angesichts dieses Technik-Overkills erstaunt es fast, dass am Standort Hannover immer noch 14.800 Arbeiter beschäftigt sind. Einer davon montiert gerade die Heckklappe eines ID. Buzz und verwendet dafür einen sogenannten hydraulischen Manipulator - eine Art überdimensionierte mechanische Greifhand, mit der sich metergroße Stahlelemente so kinderleicht heben und bewegen lassen wie Getränkedosen. Der Kontrast zwischen historischem Gemäuer und sensorgesteuerten und vorprogrammierten Produktionslinien wird seit vergangenem Jahr um eine weitere Besonderheit ergänzt. Erstmals in der fast 70-jährigen Geschichte des Werks 2 laufen seit einigen Monaten gleich drei Transportermodelle parallel vom Band - neben dem vollelektrischen ID. Buzz und dem neuen T7 Multivan auch noch der "alte" T6.1, dessen Grundprinzip noch auf den T5 zurückgeht, der vor 20 Jahren Premiere gefeiert hat.

Dieser "Dreiklang", wie VW-Mitarbeiter diese logistische Meisterleistung nennen, hat allerdings ein Ablaufdatum. Spätestens Mitte des Jahres 2024 wird der T6.1, auf dem aktuell auch die gleichermaßen beliebte wie teure Camping-Variante California basiert, in Rente geschickt. "Der Grund dafür sind neue gesetzliche Vorgaben, die eine Homologisierung des T6.1 nicht mehr wirtschaftlich darstellbar machen", erklärt Christian Buhlmann, Pressesprecher von Volkswagen Nutzfahrzeuge. Obwohl der ultimative Bestellschluss für das erfolgreiche Modell in Deutschland drastisch näher rückt, kann Miriam Walz, gebürtige Hannoveranerin und seit Kurzem Markenleiterin von VW Nutzfahrzeuge in Österreich, Entwarnung geben: Am heimischen Markt wird das aktuelle Volumen aus heutiger Sicht noch in den Herbst hineinreichen.

Während an der einen Stelle die Vorbereitungen für den bevorstehenden Abschied des bisherigen Bestsellers laufen, wirft anderswo bereits die Zukunft ihren Schatten voraus. Bereits im Juni wird die siebensitzige Langversion des ID. Buzz mit 25 Zentimeter längerem Radstand ihre Weltpremiere feiern. Beim dann kurzen Modell wird zudem ein Sechssitzer das Portfolio ergänzen. Bis zum avisierten Marktstart Anfang 2024 soll es zudem auch die Top-Version GTX sowie eine zusätzliche Allradvariante geben. Noch vorher wird ab Herbst der neue California auf Basis des T7 für jede Menge Fernweh unter Camping- und Outdoor-Fans sorgen. Denn eines ist klar: Die Geschichte des legendären VW-Busses ist noch lange nicht zu Ende erzählt.