Der Technologie-Trendforscher, Keynote-Speaker und Bestseller-Autor ("Das Silicon Valley Mindset", "Future Angst") Mario Herger beschäftigt sich s hauptberuflich mit den Themen autonomes Fahren und künstliche Intelligenz. Der gebürtige Österreich lebt und arbeitet seit 2001 in Kalifornien.
Herr Herger, eines Ihrer erfolgreichsten Bücher mit dem Titel "Der letzte Führerscheinneuling" haben Sie 2017 veröffentlich. Was hat sich seither geändert? Mario Herger: Als das Buch auf den Markt kam, war noch nicht klar, ob sich die E-Mobilität in der heutigen Form durchsetzen würde. Damals musste ich häufig noch erklären, wer Elon Musk ist. Bei den deutschen Premium-Herstellern herrschte die Meinung vor, um Tesla müsse man sich nicht groß kümmern, weil man ohnehin bald zum Dieselmotor zurückkehren würde. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass am Elektroauto kein Weg vorbeiführt. Nur im deutschsprachigen Raum wird darüber immer noch diskutiert. Das ist sehr gefährlich für die deutsche Autoindustrie. Nicht nur, weil die Investitionen nur halbherzig getätigt wurden, sondern vor allem, weil man sich den eigenen Markt damit zerstört. Dazu kommt, dass man zwischenzeitlich auch in China, dem wichtigsten Automarkt der Welt, viel weniger verkauft.
Der Titel des Buches bezieht sich ja auf das autonome Fahren. Wie ist hier der Status quo? Mittlerweile haben wir in den USA eine große Flotto von Robotaxis des Anbieters Waymo, die pro Woche 250.000 bezahlte fahrerlose Kundenfahrten absolvieren. In Summe bedeutet das mehr als 160 Millionen absolvierte Kilometer - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Aktuell wird das Service in fünf Metropolregionen angeboten, in mehr als einem Dutzend weiterer Regionen werden die Fahrzeuge aktuell getestet. Und Waymo ist quasi die Vorhut, ein halbes Dutzend weiterer Hersteller aus den USA warten nur darauf, nach Europa zu kommen.
Volkswagen hat kürzlich seinen autonomes ID. Buzz AD vorgestellt. Wie beurteilen Sie dieses Projekt? Grundsätzlich finde ich es sehr positiv, dass VW seine Pläne zum autonomen Fahren weiterverfolgt. Mit dem Ende der Zusammenarbeit mit der Firma Argo AI, wo man gemeinsam mit Ford insgesamt dreieinhalb Milliarden investiert hat, hat man aus meiner Sicht leider einen strategischen Fehler begangen. Damals hatte man die Kerntechnologien, die für die Entwicklung des autonomen Fahren essenziell sind, im eigenen Haus. Heute muss einen Drittanbieter dafür bezahlen, nämlich Mobileye, ein Tochterunternehmen von Intel. Das eigentliche Risiko besteht aber darin, dass sich der ehemalige Microchip-Gigant Intel mittlerweile am absteigenden Ast befindet. Dort hat man kürzlich 10.000 Mitarbeiter ohne eine Abfertigung gekündigt. Das ist in den USA extrem unüblich und zeigt, dass sich das Unternehmen in großen Schwierigkeiten befindet. Wenn es um Grafikprozessoren für den Automotive-Bereich geht, kommt man aktuell um Nvidia nicht herum.
Die Pläne von VW sehen vor, schon 2026 in der EU und den USA eine Zulassung für das autonme Fahrzeug zu bekommen. Was diesen Zeitplan angeht, bin ich äußerst skeptisch. Man muss bedenken, dass in den USA auch die Behörden mittlerweile viel Erfahrung mit dem Thema autonomes Fahren gesammelt haben. In Europa steht man da gerade erst am Anfang. In Deutschland gibt es zwar bereits eine Bundesverordnung für autonomes Fahren, aber da wurden noch kein einziger Genehmigungsprozess erfolgreich durchexerziert. Da sprechen unterschiedliche Behörden mit, es muss sich erst in der Praxis herausstellen, wer in welchen Bereichen das Sagen hat, etwa bei der Lizenzerteilung, beim Umgang der gesammelten Daten oder wenn beispielsweise ein Unfall passiert. Alle diese Prozesse dauern ihre Zeit. Wenn ich das mit dem Weg vergleiche, den die US-Anbieter schon zurückgelegt haben, dann rechne ich in Europa selbst in den optimistischsten Szenarien nicht vor 2030 mit den ersten Fahrzeugen auf den öffentlichen Straßen.
Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz beim Entwicklungsprozess? Einerseits bietet die KI natürlich die Möglichkeit, unzählige Szenarien mit zigtausenden Fahrzeugen in nachgebildeten Städten simultan zu simulieren. Dadurch wird es möglich, nicht jede einzelne Situation in einem realen Setting nachspielen zu müssen. Andererseits gibt es halt auch noch sogenannte Randszenarien. Beispielsweise, wenn eine alte Frau mit einem Elektro-Rollstuhl auf die Straße fährt und mit einem Besenstiel eine Ente verscheucht. Solche abwegigen Situationen sind der Grund dafür, warum Millionen von Kilometern gefahren werden müssen, damit die Software irgendwann das menschliche Verhalten verstehen kann. Vergleichsweise praxisnah, aber für die KI ebenso herausfordern, sind Supermarktparkplätze. Das ist eines der schwierigsten Szenarien überhaupt, denn hier gelten de facto keine Verkehrsregeln, es herrscht regelrechte Anarchie.
Also sind es am Ende des Tages die banalen, menschlichen Eigenheiten, welche die KI herausfordert? Ganz genau. Das System benötigt für jede Herausforderung eine passende Lösung. Was passiert, wenn ein Fahrgast im autonomen Auto das Handy vergessen hat? Kann man angeben, dass man als Frau in der Nacht nicht durch dunkle Seitengassen fahren möchte? Wie soll es reagieren, wenn ein Passagier am Zielart nicht aussteigt? Wie erkennt das System, ob die Insassen ein medizinisches Problem haben oder einfach nur eingeschlafen sind? Was passiert, wenn sich jemand ins Fahrzeug übergeben hat? All das und noch Millionen weitere Versuchsszenarien müssen in der Praxis beinhart durchexerziert werden.
Save the Date: IMFS 2025
Als Keynote-Speaker wird Mario Herger die diesjährige "SN"-Mobilitätsfachmesse IMFS eröffnen. Die IMFS findet am 10. Oktober am Salzburgring statt.