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Urbaner Lieferverkehr: Die Paket-Misere

Der Güterverkehr im städtischen Bereich ist ein wichtiger Hebel zur Senkung der Emissionen. Smarte Lösungen könnten den Schadstoffausstoß in Städten radikal reduzieren.

Eine Zukunftsalternative für den städtischen Zustellverkehr: Mit Lastenrädern kann über eine Tonne transportiert werden.
Eine Zukunftsalternative für den städtischen Zustellverkehr: Mit Lastenrädern kann über eine Tonne transportiert werden.
Michael Schwendinger,VCÖ: „Das häufige Anfahren und Abbremsen verursacht hohe Schadstoffemissionen.“
Michael Schwendinger,VCÖ: „Das häufige Anfahren und Abbremsen verursacht hohe Schadstoffemissionen.“

Der Gütertransport in den Städten kann einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das war der Grundtenor einer digitalen Fachkonferenz des Verkehrsclub Österreich (VCÖ), bei der es um zukunftstaugliche Praxislösungen für den Lieferverkehr in Städten ging.

City-Logistik bringt hohe Emissionen und beeinflusst die Lebensqualität

Die dabei vermittelten Daten und Fakten beeindrucken: So entfallen zwar nur vier Prozent des globalen Transportaufkommens in Tonnenkilometern auf den urbanen Güterverkehr. Allerdings kann bis zu ein Viertel der beim Gütertransport anfallenden CO2-Emissionen auf diese Nische zurückgeführt werden. Dazu kommen die massiven Auswirkungen auf die Lebensqualität in Städten.

Laut Erhebungen des VCÖ sind Kleintransporter überdurchschnittlich oft an Verkehrsunfällen beteiligt. "Der dramatische Zeitdruck in der Branche und das Fehlen ausgewiesener Ladezonen führen dazu, dass Lkw oft in zweiter Spur sowie auf Geh- und Radwegen halten müssen, wodurch der Fließverkehr vor allem zu Stoßzeiten gestört wird", so VCÖ-Experte Michael Schwendinger. Dieser bezieht sich auf Zählungen der WU Wien, wonach 13,5 Prozent aller Fahrten in der Stadt Wien von Nutzfahrzeugen absolviert werden. Der Löwenanteil entfällt mit 44 Prozent auf den Bereich Handwerk und Technik, danach folgen Baustellenverkehr (13 Prozent) sowie Kurier-, Express- und Paketdienste mit sechs Prozent.

Häufiges Anfahren und Abbremsen verursacht hohe Lärm- und Schadstoffemissionen

Vor allem die sogenannten Fahrten der ersten und letzten Meile sind es, die dem Experten trotz ihres vergleichsweise geringen Anteils am Gesamtverkehr die meisten Sorgen bereiten. Und das, obwohl diese typischerweise weder hohe Tonnagen aufweisen noch weite Strecken zurückgelegt werden. "Doch durch das häufige Anfahren und Abbremsen verursacht der Zustellverkehr überdurchschnittlich hohe Lärm- und Schadstoffemissionen."

Privatzustellungen haben sich verdreifacht

Allein im Zeitraum von 2015 bis 2021 hat sich die Anzahl der Paketzustellungen in Wien auf 128 Millionen pro Jahr mehr als verdoppelt. "Und das, obwohl die Anzahl der geschäftlichen Zustellungen sogar leicht zurückgegangen ist", gibt Schwendinger zu bedenken. Die Erklärung: Im gleichen Zeitraum haben sich die Privatzustellungen sogar verdreifacht. Im Schnitt sind es neun Pakete monatlich für jeden Haushalt. Aus Klimasicht besonders schädlich wirkt sich dabei die Unsitte der Gratisretouren aus, wie man beim VCÖ hervorhebt: "Drei von vier Bekleidungsartikel im Onlinehandel werden wieder zurückgeschickt, das sind allein 46 Millionen Rücksendungen pro Jahr in Österreich", weiß Michael Schwendinger. Notiz am Rande: Da sich die Abwicklung der Retourwaren für die Verkäufer in vielen Fällen wirtschaftlich nicht rechnet, werden laut VCÖ 1,4 Millionen Sendungen an neuwertiger Ware vernichtet.

Hamburg ergreift Maßnahmen zur Reduktion von KEP-Lieferungen

Ohne ein rasches Umdenken könnte es sogar noch viel schlimmer kommen. Glaubt man einer aktuellen Studie der OSZE, soll der Güterverkehr im städtischen Bereich bis zum Jahr 2050 mit einem Plus von 41 Prozent überdurchschnittlich stark zulegen. Um dem entgegenzuwirken, ergreifen vereinzelte Städte nun Gegenmaßnahmen. So möchte man in Hamburg bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen durch die Kurier-, Express- und Paketlieferungen (KEP) um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 reduzieren. Der Anteil der mit Kfz zugestellten KEP-Lieferungen soll auf 45 Prozent verringert werden, 90 Prozent davon sollen mit emissionsfreien Fahrzeugen erfolgen. Zudem sollen 25 Prozent der KEP-Sendungen mittels alternativer Transportmittel wie Cargo-Bikes durchgeführt werden und mindestens 30 Prozent der Paketlieferungen bei Paketstationen abgeholt werden. "Wir wollen Hamburgs Rolle als Modellregion für urbane Logistiklösungen weiter ausbauen und damit einen aktiven Beitrag zu einer klimafreundlichen City-Logistik leisten", erklärte Lisa Marie Vaca Guerra von der Logistik-Initiative Hamburg.

Vorreiter bei klimaverträglicher City-Logistik sind auch die Niederlande

Über 300 Mikro-Hubs gibt es dort bereits und die Zahl wird noch stark steigen. Denn 28 Städte haben bereits emissionsfreie Zonen für City-Logistik ab dem Jahr 2025 beschlossen. In diesen Zonen dürfe nur mit Cargo-Bikes und Elektrofahrzeugen zugestellt werden, erklärte der niederländische Logistikexperte Remco Hoogma bei der VCÖ-Fachkonferenz.

Good-Practice-Beispiele im städtischen Gütertransport in Österreich

Aber auch in Österreich gibt es schon einige Good-Practice-Beispiele: So stellt der Samariterbund in Wien bereits 50 Prozent der "Essen auf Rädern"-Zustellungen mit Transportfahrrädern zu und vermeidet dadurch 25.000 Kilogramm CO2-Emissionen pro Jahr. In Graz sei mit GrazLog ein kooperativer City-Hub als Drehscheibe für Bündelung und Transport geschaffen worden, betonte der Logistikexperte des AIT (Austrian Institute of Technology), Martin Reinthaler. Und die Wiener Lokalbahnen haben das Projekt WienBox umgesetzt. "Es ist wichtig, den Menschen bewusst zu machen, was sie persönlich durch kleine Veränderungen in ihrem Alltag bewirken können", stellte Nadine Adensam von den Wiener Lokalbahnen fest.

Wie eine Machbarkeitsstudie des Fraunhofer-Instituts im Auftrag des Handelskonzerns Rewe in Deutschland gezeigt hat, sind Elektro-Lkw schon heute für Lieferungen in Ballungsräumen geeignet. Dabei wurde die Belieferung ausgehend von zwei Depots zu 543 Filialen in Berlin und dem Berliner Umland untersucht. Ergebnis: Die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Belieferung durch E-Lkw sind bereits jetzt bei 40 Prozent der Fahrten und 33 Prozent der Transportleistung möglich. "Die aktuell verfügbaren und angekündigten Reichweiten von E-Lkw sind bereits heute ausreichend, um einen Großteil der städtischen Touren und einen nennenswerten Anteil im Regional- und Langstreckenverkehr zu elektrifizieren. Wir sollten keinesfalls auf andere Technologieoptionen wie Wasserstoff, Biokraftstoffe oder E-Fuels warten", betonte Studienautor Steffen Link vom Fraunhofer-ISI.