Heuschober und Holzkirchen, Schnaps und Folklore: Die Maramures, nordwestliche Grenzregion zu Ungarn und der Ukraine, gilt als der ursprünglichste und traditionsbewussteste Landstrich Rumäniens. Bis 1900 noch fast völlig waldbedeckt, machten Forstwirtschaft und Bergbau Satu Mare und Sighetu Marmatiei - Heimat von Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel - zu wohlhabenden Städten, wo bis zu ihrer Deportation 1944 mehr als die Hälfte der Bevölkerung "Spinka"-Juden ("Spinka" ist jiddisch für "Sapânta") waren. Uhren messen hier nicht Stunden, sondern die Ewigkeit, sagt Alexandru, der seinen Heuwagen hinter dem BMW-Kombi seines älteren Bruders parkt. Der ist auf Heimaturlaub aus Bochum in Sapânta und hat ein paar Pferdestärken mehr unter der Haube.
Die Maramures hat viele Gesichter. Die "Zeitreise in die Vergangenheit" aus bunten Tourismusbroschüren wird rasch zur Wirklichkeit: Verträumte Dörfer, wo die Alten abends vor ihren Holzhäusern sitzen und die neuen Zeiten besprechen. Felder werden noch mit Pferd und Pflug beackert, die Kartoffeln Stück für Stück eingesammelt. Prächtig geschnitzte Holztore und Holzkirchen wie Ieud und Surdesti bergen fantastische Ikonenmalereien - Schätze, weitgehend unbekannt, und oft nur vom Schlüsselwart in irgendeinem Bauernhaus zu öffnen, den es erst zu finden gilt: Acht der über 100 Holzkirchen der Region sind längst Unesco-Weltkulturerbe, darunter die höchste Holzkirche der Welt.
Hunde, Storchennester, Gänsescharen. Und manchmal mehr Kinder als Eltern - nicht wenige arbeiten heute im Ausland, etwa als Pflegerinnen und Landmaschinenmechaniker. Immer mehr kehren danach wieder dahin zurück, wo schon ihre Vorfahren ein Plätzchen für die Ewigkeit gefunden haben. Deren Taten und Untaten bleiben oftmals kein Geheimnis. Denn die Dorfchronik am Friedhof ist einsichtig für alle, was für Besucher wohl oft amüsanter ist als für die Nachkommen. Todesfälle werden in Sapânta bis heute traditionell zelebriert. Ist ein Dorfbewohner verstorben, kleidet sich die gesamte Dorfgemeinschaft in Schwarz und erweist ihm in seinem Haus die letzte Ehre. Nach drei Tagen Trauer führt der Weg im offenen Sarg zur letzten Ruhestätte. Dann ist es offiziell auch schon wieder vorbei mit der Trauer, wenn das Grabkreuz enthüllt wird.
Begonnen hat alles in den 1930er-Jahren, als Stan Ioan Patras, ein lokaler Künstler, eine Marktlücke entdeckte. Er schnitzte und bemalte erste Holzkreuze, auf denen er in heiterer Form das Leben und den Beruf der Verstorbenen, aber auch deren Schwächen und Laster darstellte - da geht es um lose Mädchen und allzu rasante Autofahrer, um gierige Wirtinnen und faule Knechte. Die erste kunstvolle Grabinschrift fand so viel Anklang, dass bald beinahe jeder für seine verstorbenen Angehörigen ein farbenfrohes Kreuz samt Nachruf wollte.
Der kleine Ort Sapânta, etwa 18 Kilometer westlich von Sighetu Marmaţiei, besitzt daher heute eine weltweite Besonderheit: einen "fröhlichen" Friedhof. Seinen ungewöhnlichen Namen verdankt der Cimitirul Vesel ebendiesen kunstvoll gestalteten, farbenprächtigen Kreuzen mit ironischem Nachruf. Ioan Pătraș hat vor seinem Tod 1977 jedenfalls vorgesorgt und sich selbst einen Spruch verpasst. "Seit dem 14. Lebensjahr musste ich Geld verdienen. Aus 62 Ländern haben sie mich bis gestern besucht, aber wer jetzt noch kommt, der wird mich nicht mehr finden." Sein Nachfolger ist Dumitru Pop-Tincu, der schon mit neun Jahren bei Ioan Pătraș in die Lehre ging und Besucher bisweilen auch in sein Heim einlädt. Die Holzhütte des Holzkünstlers sieht genauso fantastisch aus wie der Friedhof selbst, wo weiterhin meisterhaft das Leben der Begrabenen dargestellt wird, ein wenig Spott inklusive. Nahezu jeder Winkel seiner Wohnung ist mit Schnitzereien verziert, Porträtarbeiten an den Wänden zeigen den rumänischen Ex-Diktator Ceausescu und Frau sowie den gesamten Stab des einstigen Zentralkomitees.
Mittlerweile ist Meister Dumitru 66, ein Liebhaber der naiven Malerei, wie seine Tochter Anamaria betont, die auch Englisch spricht. "Die Gestaltung einer Kreuzseite kostet rund 500 Euro und dauert zwei bis drei Monate", sagt sie, doch die Nachfrage ist ungebrochen. Exportiert wird auch nach Übersee. Und natürlich nach Österreich und Deutschland, wenn der Preis stimmt und die Kundschaft warten kann.
Die beiden Souvenirverkäuferinnen vor dem neuen Friedhofsparkplatz stört der Rummel wenig. Sie hoffen auf reichlich Absatz für ihr buntes Sortiment aus Trachtenblusen, Holzlöffeln und chinesischen Gartenzwergen, die wenigstens den Straßenhunden gefallen. Ein bemaltes Kreuz werden sie sich dereinst kaum leisten können, wenn das Geschäft weiter so lau läuft und nur der heiße Baumkuchen in der Cafeteria nebenan Zuspruch findet. Man hat sich jedenfalls mit den Busladungen von Touristen arrangiert. Diese stören alltäglich recht pietätslos die Ruhe des Friedhofs, um sich an den über 800 farbenfrohen Holzkreuzen zu erfreuen und an deren Inschriften: "Wer den Schnaps so liebt wie ich, / wird es bereuen, bitterlich! / Noch trank ich Schnaps beschwingt und munter, / da zerrt der Tod ins Grab mich runter." Ob der Spruch für Alexandrus Bruder einmal ähnlich lauten könnte, bleibt abzuwarten. Die Anzahlung für sein Kreuz hat er bereits gemacht.
INFORMATION
Weitere Auskünfte und Inspirationen zu Rumänien und den Schätzen der Maramureș unter:
https://romaniatourism.com/maramures.html
www.weltkulturerbe.com/europa/rumaenien/holzkirchen-von-maramures.html