In der Fußgängerzone Madero, in Mexiko-Stadt, ist einiges zu sehen. Sie beginnt am Zocalo und führt über den in die Jahre gekommenen, 44 Stock hohen Torre Latinoamerica aus den Fünfzigerjahren, bis hin zum prächtigen Opernhaus, dem Palacio de Bellas Artes. Teure Läden präsentieren sich und schräge Vögel, Art-Deco-Fassaden und die neogotische Kirche des heiligen Franziskus, die auch schon als Theater und Zirkus gedient hat. Männer und Frauen, ja selbst Kinder haben auf der Madero ihren Auftritt. Die einen führen ihren Hund, die anderen ihre Liebste spazieren. Ein Bub malträtiert seine Ziehharmonika, ein paar Teenies inszenieren sich als Roboter, ein geflügelter Mann in Gold scheint über dem Pflaster zu schweben. Alles wirkt entspannt, trotz der Polizisten, die in diesem Teil der Stadt allgegenwärtig zu sein scheinen.
Rund um die barocke Kathedrale haben sich Straßenhändler und Bettler postiert, ein Heilsarmist in Uniform spielt Drehorgel, ein paar als Azteken verkleidete Tänzer halten die Hand auf. Der riesige quadratische Platz vor dem Gotteshaus, der Zocalo, wird an diesem Tag gänzlich von Zelten beansprucht, in denen es um die neuesten Computer und Handys geht. Die weißen Zelte verdecken auch den Sitz des Präsidenten. Nur von oben sind die Ausmaße des imposanten Nationalpalasts zu ahnen, unter dem sich, so vermutet es unser Guide Salvador, womöglich noch Reste der alten aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán verbergen.Tenochtitlán wurde Zentrum des AztekenreichsDie Kathedrale jedenfalls steht auf den Ruinen des Templo Mayor, von dem ein Teil inzwischen ausgegraben wurde. Wo einst dem Kriegsgott Huitzilopochtli und dem Regengott Tlaloc geopfert wurde, wird heute zu Jesus Christus und der Jungfrau Maria gebetet. Doch im Museum des Templo Mayor kann man ebenso in die aztekische Geschichte eintauchen wie im Anthropologischen Museum der Stadt. "Wo sich heute ein Häusermeer ausbreitet", erzählt Salvador, "war einstmals ein See. Als die Azteken an sein Ufer kamen, sahen sie der Legende nach dort einen Adler, der auf einem Kaktus sitzend eine Schlange verspeiste - ein Zeichen von Huitzilopochtli, an dieser Stelle eine Stadt zu errichten."
Tenochtitlán, Ort des Kaktus, wurde zum Zentrum des Aztekenreichs. Mehr als 100.000 Menschen lebten dort, als Hernán Cortés 1519 in die Stadt kam. Der Aztekenherrscher Moctezuma II. sah in dem weißhäutigen spanischen Eroberer den Aztekengott Quetzalcoatl und öffnete ihm seinen Palast - ein tödlicher Irrtum, der das Ende des Aztekenreichs besiegelte. Über dem alten Tenochtitlán entstand die neue Hauptstadt des Vizekönigreichs Neuspanien mit prächtigen Palästen, prunkvollen Kirchen und einer Universität, die bis heute die größte Lateinamerikas ist. Stadt verpasst sich ein FaceliftingDie Stadt breitete sich mit der Zeit aus, der See wurde trockengelegt und heute zählt Mexiko-Stadt zu den dichtest besiedelten Metropolregionen der Welt. Rund 20 Millionen Menschen leben hier, vier Millionen Fahrzeuge stauen sich tagtäglich auf den Straßen und sorgen für dicke Luft, sodass man den schneebedeckten Popocatépetl nur selten zu Gesicht bekommt.
Zurzeit verpasst sich die Stadt ein Facelifting. Noch freilich ist Mexiko-Stadt eine Stadt der Gegensätze: da die Glaspaläste der Hotels und die Villen der Reichen, dort die zusammengeschachtelten Hütten der Armen in den Favelas. Und doch verbindet sie alle der Stolz auf ihre Stadt - und die Musik: Auf der Plaza Garibaldi stehen sich allnächtlich die Mariachis die Füße in den Bauch. In engen Hosen mit Silberbeschlägen und kurzen Jacken, den Sombrero auf dem Kopf, warten sie darauf, von den Gästen der umliegenden Lokale engagiert zu werden. Dann singen die oft schon betagten Künstler, begleitet von Trompeten, Gitarren und Geigen, von Helden, Heimweh, von Liebe und dem Trost des Tequila.
Mexiko hat eine ebenso große wie geheimnisvolle Geschichte. Vor 2000 Jahren schon blühte im nahen Teotihuacán eine bis heute rätselhafte Hochkultur. Die gigantische Ruinenstadt ist in knapp einer Stunde zu erreichen. Wer die 245 Stufen hinauf zur Sonnenpyramide nicht scheut, hat von oben einen fantastischen Blick auf die Calzada de los Muertos, die von Häusern und Tempeln gesäumte Straße der Toten, an deren Ende sich die Mondpyramide erhebt. 200.000 Menschen sollen hier gelebt haben. Doch als Jahrhunderte später die Azteken kamen, war die Tempelstadt schon verlassen.
Heute wuseln Touristen durch die Ruinen, Händler bieten Sombreros gegen die Sonne an. Ein Mann spielt auf einer Flöte und für einen Augenblick schwebt die Melodie über der Ruinenstadt wie ein Zauber.