Ausgerechnet jetzt, in der brütenden Hitze, auf offenem Feld, ausgerechnet jetzt schaltet Emily auf stur. Das Maul tief ins Gras gesteckt, steht sie da und bewegt sich keinen Zentimeter. Fressen. Ohne Ende fressen.
Ich ziehe am Strick. Mal leichter, mal fester, mal links, mal rechts und rede der neunjährigen Eselstute gut zu. Reaktion: null.
Kein Eselflüsterer weit und breit, der helfend einspringen könnte. Stattdessen gibt es gute Ratschläge von der Familie. "Nicht fressen lassen!" "Mehr ziehen!" "Nicht immer nachgeben!"
Dabei hatte die Wanderung so entspannt begonnen. Brav war Emily durch den Wald spaziert, mit den zwei Rucksäcken auf dem Packsattel - ganz so, wie es sich der Wanderer wünscht. Ein Kinderspiel, so schien es.
Außerdem hatte man das "Esel-Handbuch" mit den vielen Ratschlägen dabei: "Am Anfang den Strick kurz halten, damit der Esel erkennt, wer der Herr ist." "Esel lieben es, wenn sie gelobt werden." Vor dem Start gab es überdies ausführliche Erklärungen von Horst Winkler, dem Bauern und Eselhalter aus dem südsteirischen Oberhaag. "Wenn ein grüner Sabber rauskommt, möchte sie ein Manderl. Dann ist sie rossig, dann hat sie Gefühle." Und noch ein Tipp: "Der Esel ist ein Herdentier. Ihr seid seine Herde. Wenn ihr geht, kommt er mit."
Tatsächlich ist Emilys Herdentrieb im Wald durchaus intakt. Doch kaum sind wir draußen auf dem offenen Feld mit dem frischen Gras, ist es mit der Herdensolidarität vorbei. Emily wirft ihr ganzes Gewicht in die Waagschale und drängt Richtung links in die Wiese. Dem Eselführer bleibt nichts übrig als mitzulaufen. Jetzt bewahrheiten sich die Worte, die im Handbuch gelb markiert sind: "Der Esel ist ein neugieriges, ängstliches, verfressenes Herdentier."
Schafft man es nach einer Ewigkeit, Emily mit Befehlen und durch Ziehen am Strick aus dem Feld zu holen, beginnt sie nach ein paar Metern gleich wieder zu laufen und mich nach links abzudrängen. Fresspause. Ich bleibe stur. Ziehe immer wieder am Strick. Auch Emily bleibt stur und scharrt mit dem rechten Vorderhuf - sie ist zornig.
Eine gute halbe Stunde tobt der Konflikt um die Frage: Wer ist hartnäckiger? Mensch oder Tier?
Die ganze Familie beteiligt sich schließlich an der Suche nach einer Lösung. Jeder nimmt mal den Strick in die Hand, redet der Eselstute gut zu, mal die Kinder, mal die Erwachsenen.
Und irgendwann stellt sich so etwas wie ein Kompromiss ein: ein paar hundert Meter weit gehen wir, dann darf Emily kurz fressen. Und es beginnt ein Ritual. Wenn der Esel wieder vorzeitig nach links ins Feld drängt, ziehe ich die Zügel auch nach links. Wir drehen uns wie zwei Volkstänzer im Kreis und gehen dann gerade weiter.
Immerhin: Der Esel schafft, was keinem Vater und keiner Mutter so leicht gelingt: Kinder zum stundenlangen Wandern über Felder und durch Wälder zu motivieren - ohne dass diese auch nur ein einziges Mal ans Jammern denken.
Bei so viel Konzentration auf die Frage des Vorwärtskommens vergisst man anfangs beinahe auf die Schönheit der südsteirischen Wald- und Hügellandschaft. Die zehn Kilometer lange Route führt mal durch österreichisches, mal durch slowenisches Gebiet.
Es ist eine gemächliche Tour mit reichlich Pausen. Für Wanderer, die schnell ans Ziel wollen, ist die Eselbegleitung nichts, für Freunde der Langsamkeit sehr wohl. Denn auch wenn der Mensch die Richtung vorgibt: Das Tempo bestimmt der Esel.
Wer durchhält und vier, fünf Stunden mit Langohr durch die Gegend schlendert, lernt es schließlich kennen und verstehen. Ein Erlebnis ist das allemal - und eine Lektion im Umgang mit dickschädeligen Zeitgenossen.