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Architektur mit höchstem Anspruch

Die Wanderausstellung zum Mies-van-der-Rohe-Award 2022 macht derzeit Station in Wien. Nach Barcelona, Köln, Belgrad und Brüssel präsentiert das Architekturzentrum Wien "Europas beste Bauten".

Das Siegerprojekt des Mies-van-der-Rohe-Awards 2022: das Town House der Kingston University (London) von Grafton Architects (Dublin).
Das Siegerprojekt des Mies-van-der-Rohe-Awards 2022: das Town House der Kingston University (London) von Grafton Architects (Dublin).
Die Railway Farm in Paris: Sozialwohnungen mit Restaurant und Gewächshaus.
Die Railway Farm in Paris: Sozialwohnungen mit Restaurant und Gewächshaus.
La Borda ist der erste Genossenschaftsbau in Barcelona. Seit dem Bezug der 28 Wohnungen 2018 wurde er mehrfach international ausgezeichnet.
La Borda ist der erste Genossenschaftsbau in Barcelona. Seit dem Bezug der 28 Wohnungen 2018 wurde er mehrfach international ausgezeichnet.
La Borda ist der erste Genossenschaftsbau in Barcelona. Seit dem Bezug der 28 Wohnungen 2018 wurde er mehrfach international ausgezeichnet.
La Borda ist der erste Genossenschaftsbau in Barcelona. Seit dem Bezug der 28 Wohnungen 2018 wurde er mehrfach international ausgezeichnet.

Welche Gebäude braucht es, um die Folgen der globalen Erderwärmung zu bewältigen? Wie müssen unsere Städte in Zukunft aussehen, um viele Millionen Menschen zu verkraften? Welchen Beitrag kann eine durchdachte Gebäudeplanung gegen die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft leisten? All das sind Fragen, die Architekten und Planer vor neue und interdisziplinäre Herausforderungen stellen. Dass Gebäude gleichermaßen ökologischen, sozialen und ästhetischen Anforderungen entsprechen können, beweisen die preisgekrönten und nominierten Projekte des Mies-van-der-Rohe-Awards, der alle zwei Jahre von der Europäischen Kommission und der Fundació Mies van der Rohe ausgelobt wird. Prämiert werden dabei Projekte von visionärem Charakter, die neue Standards für die Entwicklung zeitgenössischer Architektur setzen.

Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit

Neben dem mit 60.000 Euro dotierten Hauptpreis wird von der Jury auch ein Sonderpreis an Nachwuchsarchitekten vergeben. Des Weiteren werden jene Projekte, die in die engere letzte Auswahl gekommen sind, in einer Wanderausstellung in ganz Europa gezeigt. Nach Barcelona, Köln, Belgrad und Brüssel macht die Werkschau derzeit im Architekturzentrum Wien Station, wo sie noch bis zum 23. Jänner zu sehen sein wird.

"Wenn wir besser planen und bauen, hat das einen enormen Einfluss auf gutes Zusammenleben, Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit", sagt die Direktorin des Architekturzentrums Wien Angelika Fitz. "Die Finalistenprojekte zeigen, dass Architekten wie Auftraggeber erkennen, an welch großem gesellschaftlichen Hebel sie sitzen. Die Projekte sind Seismografen der gesellschaftlichen Entwicklung." Aus den 532 nominierten Projekten aus 41 europäischen Ländern wurden insgesamt vierzig Projekte von der hochkarätigen internationalen Jury unter Vorsitz der mexikanischen Architektin Tatiana Bilbao und unter Beteiligung des österreichischen Architekten Georg Pendl für die Ausstellung ausgewählt. Das Architekturzentrum Wien ist seit vielen Jahren als Mitglied des Advisory Boards an der Ausgestaltung des Mies-van-der-Rohe-Awards beteiligt.

Umweltqualität und Atmosphäre

Den Hauptpreis sicherte sich in diesem Jahr ein Bildungsbau: Als Sieger in der Kategorie Architektur wurde das Town House (London) von Grafton Architects für seine "bemerkenswerte Umweltqualität, die eine hervorragende Atmosphäre zum Lernen, Sammeln, Tanzen und Zusammensein schafft", ausgezeichnet. Das Campusgebäude weise neben ineinandergreifenden Räumen auch eine durchlässige Struktur auf, womit es letztlich als Angebot an die gesamte Nachbarschaft zu verstehen sei, heißt es in der Begründung der Jury. Dass ein Universitätsgebäude den begehrten Architekturpreis gewinnt, untermauert die Bedeutung öffentlicher Bildungsprojekte und wie diese, so die Jury, "das Leben der Menschen durch Bildung und Zusammengehörigkeit würdigen und allen gleiche Bildungsmöglichkeiten bieten".

Der Nachwuchspreis (20.000 Euro) ging an die genossenschaftliche Wohnanlage La Borda des Kollektivs Lacol in Barcelona. Es ist das bisher höchste in Holzbauweise errichtete Gebäude Spaniens. Tragwerk und tragende Wohnungstrennwände der oberen Geschoße sind inklusive Treppenhaus aus Brettschichtholz. Nur das Erdgeschoß ist aus Stahlbeton mit Ausfachungen aus Betonsteinen. Die Schaltafeln für die Sichtbetondecken wurden in der Gemeinschaftsküche als Bodenbelag wiederverwendet. Auf eine Tiefgarage hat die Genossenschaft nicht nur aus Kostengründen verzichtet, sondern auch aus ökologischer Überzeugung.

Pilzzucht und Permakultur in der Stadt

Unterschiedlichsten Anforderungen versucht auch die Railway Farm in Paris von Grand Huit und Mélanie Drevet Paysagiste nachzukommen: Dieser "Eisenbahn-Bauernhof" im Zentrum der Millionenmetropole präsentiert sich als solidarische Nachbarschaftseinrichtung, die 15 Sozialwohnungen, fünf Studierendenwohnungen, Restaurant, Gewächshaus, eine Pilzzucht und einen Permakulturgarten beherbergt. Hier zeigte sich die Jury allen voran von der Wiederverwertung von Materialien sowie der Einbeziehung von Menschen, die eigentlich an den Rand der Gesellschaft geraten sind, angetan. Ein Umstand, den Juryvorsitzende Tatiana Bilbao insgesamt als Aufgabe von Architektur sieht: "Der derzeitige dringende Paradigmenwechsel in der Architektur bedeutet, Gerechtigkeit und Demokratie durch Einbeziehung und Akzeptanz von Vielfalt zu erreichen."

Fünf heimische Projekte schafften es ebenfalls auf die Shortlist: der Schulcampus Neustift im Stubaital von fasch&fuchs, die Neue Galerie und Kasematten von Bevk Perović Arhitekti, der Um- und Zubau des Stadthauses in Linz von mia2 Architektur, das Baugruppenprojekt Gleis 21 von einszueins architektur sowie das Atelierhaus C21 von Werner Neuwirth.