SN.AT / Leben / Wohnen

Neue Herausforderungen für Gutachter und Bauträger

Die Turbulenzen auf dem Immobilienmarkt betreffen viele Beteiligte. Gerade bei der Bewertung von Objekten ist guter Rat derzeit teuer.

Die Kriterien der EU-Taxonomie sind inzwischen Standard für großvolumige Neubauten.
Die Kriterien der EU-Taxonomie sind inzwischen Standard für großvolumige Neubauten.

Die Bewegungen auf dem Immobilienmarkt betreffen nicht nur Mieter und Käuferinnen oder Banken und Verkäufer, sondern auch die Gutachterzunft. Denn mit den üblichen Mitteln der Gutachtenserstellung kommt man angesichts unsicherer Parameter manchmal nicht weiter.

Die drei Hauptmethoden der Immobilienbewertung

"Grundsätzlich gibt es drei Verfahren der Bewertung", sagt Sandra Hochleitner, allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige und Geschäftsführerin der Resh Advisory GmbH in Wien. Das ist einmal das Vergleichswertverfahren, bei dem Objekte, die in wesentlichen Merkmalen ähnlich sind, miteinander verglichen werden. "Das Problem dabei: Zwei Gebäude sind nicht gleich", sagt Hochleitner. Dann gibt es das Sachwertverfahren, das auf der fiktiven Wiederherstellung eines Objekts beruht. Dabei werden Bodenkosten und Baukosten errechnet sowie Abschläge aufgrund des Alters und Zustands des Gebäudes abgezogen. Dritter Weg ist das Ertragswertverfahren, das vor allem im großvolumigen Bereich, etwa für Investoren, zum Einsatz kommt. Dabei werden die erzielten Erträge auf eine mögliche Gesamtrendite umgerechnet.

Bauträger vor neuen Herausforderungen

"Die aktuellen Schwierigkeiten fangen für Private schon bei der KIM-Verordnung an", sagt Hochleitner (KIM: Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen, Anm.). Weil Private ihre Wunschimmobilien deshalb oft nicht finanzieren können, sinkt die Nachfrage, was Bauträger vor die Notwendigkeit stellt, ihre Bauvorhaben aufzuschieben, weil die Käufer abhandenkommen. Hochleitner: "Jetzt heißt es, die Bauträger sollen stattdessen Mietwohnungen bauen. Doch darauf sind viele nicht ausgelegt, dafür braucht es neben dem richtigen Personal auch einen entsprechenden Cashflow." Auch die hohen Zinsen betreffen einerseits die Privaten, andererseits auch Großinvestoren, wenn sie fremdfinanziert sind. "Wir haben auch schon gesehen, dass Immobilienfonds deshalb geschlossen wurden. Sie mussten abverkaufen, um Mittel zu lukrieren."

Gutachter kämpfen mit unklaren Marktwerten

Das alles betrifft auch die Gutachter. "Wir versuchen die Zukunft aufgrund der Vergangenheit zu prognostizieren", erklärt die Expertin. "Das ist aber schwierig, wenn nicht gehandelt wird. Dadurch gibt es auch keinen vergleichbaren Marktpreis." Beim Ertragswertverfahren gilt es, die Marktanpassung im Liegenschaftszins zu berücksichtigen. Doch auf welcher Basis kann das erfolgen? "Grundlage ist meine Erfahrung und auch die Gespräche mit den Marktteilnehmern", sagt die Gutachterin. "Dazu kommen Empfehlungen vom Sachverständigenverband und letztlich der Kapitalmarkt, der Renditeerwartungen von Immobilien in Vergleich zu anderen Anlageformen setzt." Der Sachverständigenverband gibt eine Bandbreite für verschiedene Immobilien in verschiedenen Lagen an.

Sie müsse aber bei einem Gutachten schon konkret darlegen, wie sie auf den angegebenen Liegenschaftszins kommt. "Den Preis weiß man erst, wenn man verkauft. Da spielen dann oft auch persönliche Interessen hinein, der Preis ist also nicht automatisch der Marktwert."

Ertragswertverfahren bei Investoren-Gutachten

Auch bei Gutachten für Bilanzen, vor allem im Investorenbereich, wendet die Expertin in der Regel das Ertragswertverfahren an. "Es gibt eine gewisse Miete minus Nebenkosten, die nicht abgewälzt werden können. Übrig bleibt der Reinertrag." Daraus lässt sich der Marktwert berechnen, was allerdings aufgrund der Bewegungen auf dem Markt jährlich unterschiedlich sein kann. Das ermöglicht dann eine "falsche Miete". Hochleitner: "Wir müssen nachvollziehen, ob sie dauerhaft erzielbar ist." Deshalb gibt es Stichtagsbewertungen. "Wenn heute bei einer Wohnung 15 Euro pro Quadratmeter erzielbar sind, langfristig in dieser Gegend aber nur 12 Euro, so müssen wir das in unserer Langfristperspektive berücksichtigen." Das Problem: Die Wohnungsmiete ist, vor allem in Wien, Veränderungen beim Richtwert und den Zinsen ausgesetzt. So ist der gesetzliche Richtwert derzeit aufgrund des Mietrechtlichen Inflationslinderungsgesetzes (MILG) seit 31. 12. 2023 teilweise gedeckelt. Das erschwert Prognosen zusätzlich.

"Wir haben jedenfalls die Befürchtung, dass es durch den reduzierten Bau von neuen Wohnungen verbunden mit verstärktem Zuzug in die Städte zu einer Wohnungsknappheit kommen wird", sagt Hochleitner. Verkäufer überlegen deshalb, ihre Wohnungen nicht zu verkaufen, weil sie auf eine dadurch ausgelöste Wertsteigerung hoffen.

"Ich mache nicht den Preis, ich stelle den Wert fest. Den Preis macht der Markt."
Sandra Hochleitner
Sachverständige für Immobilien

EU-Taxonomie: Neue Anforderungen für Immobilienbewertung

Zu all diesen Unsicherheiten in der Bewertung von Immobilien kommt noch ein weiterer großer Brocken dazu: die EU-Taxonomie. Sie klassifiziert Finanzströme für verschiedene Sektoren, unter anderem für die Bauwirtschaft. Dadurch kommt es zu bestimmten Anforderungen an Gebäude. Was grüne von grauen Investments unterscheidet, sind sechs Umweltziele: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Schutz von Ökosystemen und Biodiversität, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft inklusive Abfallvermeidung und Recycling sowie Verminderung von Umweltverschmutzung.

"Das betrifft den Neubau", erklärt die Expertin. "Die Bank muss für einen Neubau prüfen, ob diese Ziele eingehalten werden, nur dann gibt es eine günstige Finanzierung ohne Aufschlag." Bei Erwerb von Eigentum müssen zwei der Ziele, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, erfüllt sein. Hochleitner: "Erleichternd ist hier, dass, wenn zu einem Kriterium ein wesentlicher Beitrag geleistet wird, die anderen bloß nicht beeinträchtigt werden dürfen." Wer bei der Anpassung an den Klimawandel etwa stark auf Hochwasserschutz, Hangsicherung und Begrünung als Hitzeschutz setzt, hat die Kriterien erfüllt und kann auf eine entsprechend günstige Finanzierung hoffen.

Hochleitner: "In der Praxis ist das aber oft schwierig, weil es noch keine Daten dazu gibt, nur Punkt eins und zwei sind derzeit klar definiert." Als Gutachterin muss sie auch diese Aspekte in die Bewertung einbringen. Wer die Taxonomie erfüllt, kann mit höheren Preisen rechnen, wer nicht, muss mit Abschlägen rechnen. "Die EU-Taxonomie-Klassifizierung ist jetzt der Normalzustand. Internationale Mieter nehmen gar nichts anderes mehr. Wer sie nicht erfüllt, kann seine Flächen schwerer vermieten." All das ist auch zu berücksichtigen. Hochleitner: "Ich mache nicht den Preis, ich stelle den Wert fest. Den Preis macht der Markt."