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Gemeinnütziger Wohnbau: Die Schweiz tickt anders

Gemeinnütziger Wohnbau erfolgt in der Schweiz durch viele kleine Gesellschaften. Kein Steuergeld, dafür staatlich verbürgte Anleihen sorgen für die Finanzierung.

Autofreie Siedlung „Hunziker-Areal“. Bewohnern ist es generell verboten, ein Auto anzumelden.
Autofreie Siedlung „Hunziker-Areal“. Bewohnern ist es generell verboten, ein Auto anzumelden.

Die Schweiz und Genossenschaften, das ist eine untrennbare Verbindung. Nicht umsonst nennt sich das Nachbarland auch selbst "Eidgenossenschaft". Warum sollte es im gemeinnützigen Wohnbau also anders sein? Dies im Rahmen einer mehrtägigen Studienreise herauszufinden, war das Ziel des Vereins für Wohnbauförderung (VWBF), einer freiwilligen Vereinigung gemeinnütziger Wohnbauträger in Österreich.

Mietpreise steigen in Zürich rasant

Ziel war Zürich, die größte Stadt der Schweiz, mit rund 450.000 Einwohnern. Die gesamte Region ist bei Wohnraum schwer unter Druck. 90 Prozent der Bewohner leben in Miete, die Leerstandsrate beträgt 0,1 Prozent, bestätigt Sandra Nigsch, Co-Leiterin Raumentwicklung und Planung der Stadt Zürich. Jede Dritte davon lebt in Kostenmiete, das heißt in einer Genossenschafts- oder stadteigenen Wohnung. Insgesamt gibt es in der Stadt 234.000 Wohnungen.

Schweiz : niedrige Preise beim gemeinnütziger Wohnraum

Wie wichtig gemeinnütziger Wohnraum ist, zeigt auch das Preisgefälle. Während man in privater Miete für eine Dreizimmerwohnung 1900 Franken (2036 Euro) monatlich zahlen muss, liegt die Miete für eine gleich große Wohnung im gemeinnützigen Bereich bei 1000 Franken (1070 Euro). In Relation muss man bei diesen Preisen allerdings setzen, dass das durchschnittliche Lohnniveau im Großraum Zürich bei 7832 Franken brutto liegt, der Mindestlohn bei 3600 Franken.

"Viel wird im Baurecht errichtet", berichtet Sandra Nigsch über die Tätigkeit der Gemeinnützigen: "Für die Schweiz ist dabei die Innenentwicklung vorrangig, also nicht Grund außerhalb der Stadt zu verbauen." Eine weitere Möglichkeit, mehr Wohnraum zu schaffen, ist, den Bestand zu verdichten, weil es kaum unbebautes Bauland mehr gibt. "Es ist mehr Wohnfläche erlaubt als derzeit bebaut", erklärt die Expertin. Wobei Verdichtung in diesem Fall in der Regel Abriss und Neubau bedeutet. Auf diese Weise lasse sich mehr gemeinnütziger und günstiger Wohnraum errichten.

Geförderte Wohnungen angepasst an Personenstand

Und hier zeigt sich einer der gravierendsten Unterschiede zwischen dem Schweizer und dem österreichischen System. Wer hierzulande eine geförderte Wohnung bekommt, kann sie bis an sein Lebensende bewohnen. In der Schweiz hingegen gibt es nur die "Garantie", dass man innerhalb der Genossenschaft Wohnraum bekommt. Es gilt nämlich grob die Regel "Personen plus eins" bei der Wohnungsgröße. Also zwei Personen erhalten eine Dreizimmerwohnung, drei Personen eine Vierzimmerwohnung usw. Ändert sich aber die Zahl der Personen, etwa weil die Kinder aus dem Haus sind, dann muss man in eine kleinere Wohnung übersiedeln. Dadurch wird sichergestellt, dass der bestehende Wohnraum immer optimal vergeben ist. Wenn also die Kinder aus dem Haus und nur mehr die Eltern übrig sind, so müssen sie dies melden und bekommen dann bis zu drei Vorschläge für eine kleinere Wohnung. Lehnt man alle drei ab, hat man das Anrecht auf eine Wohnung verwirkt.

"Ich halte das für unmenschlich", kommentiert Michael Gehbauer, Obmann der GBV (Österreichischer Verband gemeinnütziger Wohnbauvereinigungen), diese Praxis. Die Schweizer sehen das gelassen, denn jeder, der sich für eine gemeinnützige Wohnung anmeldet, kennt diese Regelung und kann sich darauf einstellen.

Für die Gesellschaften hat diese Regel aber den großen Vorteil, dass etwa der Abriss und optimierte Neubau wesentlich unkomplizierter möglich ist als hierzulande, wo man ein solches Vorhaben de facto nicht oder sehr selten umsetzen kann.

Dennoch, auch in der Schweiz ist das nicht ganz so einfach, denn die Herausforderung ist, die Verdichtung sozial verträglich zu machen. "Auch der Ortsbildschutz ist bei uns streng und blockiert derzeit 5000 Wohnungen", sagt Nigsch.

Doch wie ist der soziale Wohnbau in der Schweiz gegenüber Österreich nun organisiert?

"Der Vergleich zeigt, es ist so gleich und doch so anders", sagt Andrea Washietl, Obfrau des VWBF. Während in Zürich 24 Prozent der Mieten auf den gemeinnützigen Bereich entfallen, sind es in der fünf Mal so großen Stadt Wien 50 Prozent. Während es allerdings in der Schweiz 2000 Gemeinnützige gibt (Genossenschaften, AGs, Stiftungen etc.), sind es in Österreich 173. Die größte Genossenschaft in Zürich verwaltet gerade einmal 5000 Wohnungen, die größte in Wien (und Österreich), die Sozialbau, mehr als 50.000 Wohnungen.

Die Gemeinnützigen in der Schweiz sind also viel mehr, aber viel kleiner. "Da reicht das Spektrum von extrem linken Gruppen, die oft nur ein Gebäude haben und aus der Hausbesetzerszene kommen, bis zu größeren, wohlsituierten bürgerlichen Gesellschaften", sagt Urs Hauser, Obmann des Dachverbands.

Schweizer Wohnbau finanziert sich anders

"Und es gibt vor allem einen großen Finanzierungsunterschied", betont Andrea Washietl. In Österreich muss jeder Arbeitnehmer einen Pflichtbetrag für die Wohnbauförderung abführen, der dann an die Bundesländer weitergegeben wird. In der Schweiz ist man da traditionellerweise mehr auf dem privaten Kapitalsektor unterwegs. So gibt es eine gemeinsame Fondsgesellschaft, die Anleihen auf dem Kapitalmarkt aufnimmt. Dafür gibt es eine Bürgschaft des Staates, öffentliche Mittel gibt es nicht. Weil aber der Staat mit seinem Rating haftet (bisher ist noch nie eine Haftung fällig geworden), können sich die Gesellschaften auf einem so günstigen Niveau finanzieren, dass die Österreicher davon nur träumen können. Selbst für Bankdarlehen zahlt man in der Schweiz gerade einmal ein Prozent Zinsen. Die Kredite sind in der Regel endfällig, was die Sache während der Laufzeit noch günstiger macht. Am Ende wird ein neuer Kredit aufgenommen, getilgt wird kaum. Auch das ist ein großer Unterschied zu Österreich.

"Es gibt einen großen Finanzierungsunterschied. Das ist für uns ein fremder Zugang."
Andrea Washietl
Obfrau VWBF

Hierzulande müssen sich laut Michael Gehbauer die Gemeinnützigen auf derzeit drei bis vier Prozent Zinsen einstellen, dazu kommt noch die Tilgung. "Für uns ist das ein fremder Zugang", gesteht Andrea Washietl ein: "Es kommt in der Schweiz zu keiner kompletten Kostendeckung. Dafür werden Förderungen dort nur an Gemeinnützige vergeben, in Österreich zum Teil auch an gewerbliche Bauträger."

Und in der Schweiz ist man streng und rigoros nicht nur bei der Wohnungsgröße. Bewohner des autofreien "Hunziker-Areals" werden der Verkehrsbehörde gemeldet und dürfen kein Auto anmelden. In vielen Wohnungen herrscht außerdem ein Waschmaschinenverbot und auch die Geräte in der Küche wie Herd oder Geschirrspüler darf man nicht selbst austauschen.