Bei thermischer Bauteilaktivierung geht es um Beton- und Holzbauteile, die ein Gebäude je nach Jahreszeit heizen oder kühlen. Das hat mehrere Vorteile: kleiner dimensionierte Heiz- und Kühlanlagen, ein ausgewogenes Raumklima und deutlich geringere Energiekosten. Mit diesem Anspruch entwickelte Harald Kuster schon 2004 das Energiekonzept für die EZA-Zentrale in Köstendorf. Darauf folgten viele weitere große und teilweise ausgezeichnete Projekte, große Wohnanlagen, aber auch Privatbauten.
Hat sich die Bauteilaktivierung nach 25 Jahren am Markt etabliert? Harald Kuster: Ja, in ganz Europa. Wir planen mittlerweile für verschiedenste Objekte in Österreich, Deutschland und der Schweiz für Sportstätten, Bürogebäude, Krankenhäuser, Wohn- und Industriegebäude.
Hat Bauteilaktivierung auch im Einfamilienhaus Sinn? Durchaus. Wir sind in dem Bereich Vorreiter in Österreich und planen schon seit Langem solche Projekte für Privatpersonen und Architekten. Zurzeit arbeiten wir bei einem EU-Forschungsprojekt mit, das die Energiekennzahlen von 18 bauteilaktivierten Projekten in allen Größen in Österreich erhebt und das Ziel verfolgt, Bauteilaktivierung in hocheffizienten Gebäuden in ganz Europa normiert umsetzbar zu machen.
Wo liegen die größten Vorteile? Der größte Vorteil ist, dass nur ein System zum Heizen und Kühlen benötigt wird. Und der zweite ist die enorme Energieersparnis. In Wien wird derzeit eine Sportarena gebaut, die energieautark mit Sonne, Wind und Erdwärme betrieben wird. Das komplette Energiekonzept stammt von uns. Die Heizlast für den 25.000 Quadratmeter großen Komplex wurde normgemäß mit 2,6 Megawatt berechnet. Durch die effiziente Nutzung der Bauteilaktivierung kann es mit 0,6 Megawatt betrieben werden, weil die Differenz aus Umweltenergie bezogen wird. Das spart gegenüber einer herkömmlichen Anlage 75 Prozent Energie.
Mit welchen Extrakosten muss beim Bauen gerechnet werden? Wenn Erdwärme, Wärmepumpe und Bauteilaktivierung von vornherein miteingeplant werden, kostet die Ingenieursleistung ein wenig mehr. Insgesamt wird die Anlage aber billiger, weil deutlich kleinere Wärmepumpen ausreichen. Als Beispiel eine kleine Sportanlage in Velden: Gemäß Norm und Energieausweis wäre dafür eine Wärmepumpe mit 30 Kilowatt erforderlich. Durch Bauteilaktivierung sind nur 12 kW Heizleistung notwendig und damit nur rund ein Drittel der Erdkollektorfläche. In Summe kommt das also schon im Bau billiger. Und die laufenden Kosten können auf jeden Fall halbiert werden.
Welche Vorteile bringt Bauteilaktivierung bei der Gebäudekühlung? Grundsätzlich gilt: Je dichter eine Gebäudehülle ist, umso schwerer geht die Wärme auch wieder aus dem Gebäude hinaus. Bauteilaktivierung in der Decke sorgt für eine moderate Kühlung und ein hochwertiges Raumklima. Durch die passive Nutzung von Erdkollektoren spart man sich zusätzliche Klimaanlagen und damit etwa 70 Prozent der Energiekosten. Über eine Fußbodenheizung wäre die Gebäudekühlung wesentlich ineffizienter und auch unbehaglicher.
Wie funktioniert das Zwischenspeichern von Wärme und Kälte? Das Prinzip ist einfach. Über Erdkollektoren oder Tiefensonden wird im Winter Energie aus dem Erdkörper gewonnen. Dadurch kühlt das Erdreich von etwa zwölf Grad Celsius im November bis auf etwa drei Grad im März ab. Diese niedrigere Temperatur kann man nach Ende der Heizperiode sehr gut zum Kühlen des Gebäudes brauchen. Voraussetzung dafür ist natürlich immer ein hocheffizientes Wärmeabgabesystem, das zum Baukörper passt.
Welche Voraussetzungen muss ein Haus für Bauteilaktivierung haben? Da spielt uns die Bauphysik in die Hände, weil die Gebäude in Hinblick auf Dämmung und Fenster immer besser werden. Ein neues Gebäude benötigt heute nur noch ein Zehntel des Heizwärmebedarfs von vor 40 Jahren. Dadurch sind die erforderlichen Leistungen und Temperaturen niedriger geworden. Die große Kunst ist heute nur noch, wie ich die Raumtemperatur mit Bauteilaktivierung auf einem beständigen Niveau zwischen 23 und 35 Grad "schaukeln" kann.
Mit welchen Heizsystemen funktioniert das am besten? Wir arbeiten vor allem mit Erdwärme und ergänzend dazu mit Solarthermie oder Photovoltaik, weil es am effizientesten ist. Im Prinzip funktioniert Bauteilaktivierung aber mit jedem Heizsystem, also etwa auch mit Pellets.
Wie funktioniert Bauteilaktivierung bei Holzbauten? Da sind die bauphysikalischen Voraussetzungen ganz anders. Holz hat deutlich weniger Masse als Beton, allerdings eine fast drei Mal so hohe Speicherfähigkeit. Das macht viel wett. Allerdings ist auch der Wärmedurchgang viel komplizierter. Bauteilaktivierung bei Holzbauten ist also machbar, aber noch deutlich komplexer als im Beton.
Ist so ein System auch bei Sanierungen sinnvoll und anwendbar? Wir haben bereits einige alte Gebäude bauteilaktiviert. Grundsätzlich wäre das Potenzial bei Sanierungen viel größer als im Neubau. Aber der Aufwand ist natürlich unvergleichbar größer. Erstens muss das Gebäude bauphysikalisch ertüchtigt werden (Anm. Dämmung, Fenster) und dann müssen die Decken bauteilaktiviert werden. Das alles geht nur im Rahmen einer umfassenden Sanierung. Das größte Problem ist jedoch, dass es zu wenige ausgebildete Fachleute gibt, die das exakt berechnen können.