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Mietergenossenschaften für günstigen Wohnraum: Berliner Verhältnisse

Gegen steigende Preise und Mieten formieren sich immer mehr junge Genossenschaften. Mietergemeinschaften nehmen das Heft selbst in die Hand und ermöglichen damit günstigen Wohnraum.

Genossenschaftsprojekt in Berlin: Erfolgreiche Revitalisierung Schönhauser Allee .
Genossenschaftsprojekt in Berlin: Erfolgreiche Revitalisierung Schönhauser Allee .

Wohnungsnot, steigende Mieten, unbezahlbares Eigentum. Diese Entwicklungen betreffen nicht nur Salzburg oder viele Teile Österreichs, sondern sind auch in anderen Ländern und Städten ein großes Problem. In Berlin etwa. Dort hilft man sich angesichts der hohen Mieten mit Selbsthilfe in Form von neu gegründeten Genossenschaften.

Seit Deutschland 2006 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft und die Zuständigkeit für den sozialen Wohnbau an die Länder übertragen hat, wurden nicht nur viele ehemals gemeinnützige Genossenschaften als Ganzes verkauft, also privatisiert. Es sind auch die Preise stark gestiegen.

Auch das mit dem schrecklichen Wort "Entmietung" verbundene Verdrängen von Mietern aus Althäusern nahm zu mit der Folge, dass finanzschwache Menschen buchstäblich auf der Straße landeten. Der Widerstand dagegen führte oftmals bis hin zu gewaltsamen Hausbesetzungen.

Erfolgsbeispiele aus Berlin: Mietergenossenschaften schaffen bezahlbaren Wohnraum

Guter Rat war und ist teuer, einer bestand darin, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und auf das alte, aber oftmals verstaubt wirkende Prinzip der Genossenschaften zurückzugreifen. Ob und wie das in der Praxis funktioniert, davon überzeugte sich eine Expertengruppe des österreichischen Vereins für Wohnbauförderung (vwbf) bei einer Exkursion in die deutsche Hauptstadt.

Einige dieser "jungen Genossenschaften" haben es tatsächlich geschafft, Wohngebäude vor dem drohenden Verkauf an Investoren durch Eigeninitiative quasi in Sicherheit zu bringen. Ermöglicht wird dieses Vorgehen durch die gesetzliche Möglichkeit in Deutschland, in von der Gemeinde festgelegten Gebieten in bereits unterschriebene Verkaufsverträge einzusteigen. Dieses kommunale Vorkaufsrecht zugunsten beispielsweise einer Genossenschaft hat allerdings den Nachteil, dass dieser Einstieg innerhalb einer Frist von acht Wochen ab Vertragsunterzeichnung zu genau denselben Bedingungen erfolgen muss. Eine Mietergenossenschaft muss es also schaffen, binnen Wochen Millionen Euro aufzutreiben, um beispielsweise einen Investor zu verdrängen.

Bremer Höhe und ein Ensemble am Prenzlauer Berg

Das habe etwa die Bremer Höhe erreicht und ein Ensemble am Prenzlauer Berg um 40 Mill. Euro einem solchen Investor weggeschnappt, erzählt Vorstand Ulf Heitmann. Seine Genossenschaft entstand im Jahr 2000 aus einer Mieterinitiative und verwaltet heute rund 850 Wohnungen. Das erwähnte Objekt in der Schönhauser Allee wurde komplett saniert (dafür mussten die Mieter vorübergehend ausziehen) und kann heute auf nur 6,20 Euro Nettokaltmiete verweisen. "Von der Möglichkeit des Eintrittsrechts haben wir vier Mal Gebrauch gemacht", erzählt Heitmann. "Allerdings ist es derzeit de facto nicht anwendbar, weil Teile davon vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben wurden und eine neue Regelung vom Bund fehlt."

Grundprinzip der SelbstBau e. G.: Hausprojekte tragen sich wirtschaftlich selbst

Einen ähnlichen Weg, und mit Gründungsjahr 1990 im ersten Jahr nach der Wende, ist auch die SelbstBau e. G. gegangen mit dem Ursprungsprojekt Rykestraße. Seither hat sich fast jährlich ein Wohnprojekt der Genossenschaft angeschlossen. Das Grundprinzip der SelbstBau e. G. bei jeder Erweiterung war, dass sich ein neues Hausprojekt mittelfristig wirtschaftlich selbst trägt und die bestehenden Projekte finanziell nicht belastet.

"Querfinanzierung ist in Österreich nicht erlaubt."
Michael Gehbauer
Obmann Verein für Wohnbauförderung


Aus den Rücklagen der bestehenden Häuser kann zwischenfinanziert, grundsätzlich aber nicht subventioniert werden. Das ist einer der Grundbausteine des Erfolgs dieser Genossenschaften, wie Vorstand Pit Weber erklärt. Dazu kommen extrem langfristige Finanzierungen über viele Jahrzehnte bei einer oft nur einprozentigen Tilgung. "Eine solche uerfinanzierung ist bei uns in Österreich nicht erlaubt", konkretisiert vwbf-Obmann Michael Gehbauer die Unterschiede.

Substandardhaus in der Kastanienallee.
Substandardhaus in der Kastanienallee.


Derzeit aktuell ist bei der SelbstBau das Projekt Kastanienallee 12, das in vier Häusern (drei davon im Innenhof) über rund 50 Wohneinheiten verfügt. Betritt man den Innenhof, wird das Ausmaß der Sanierung erst offensichtlich: vom Kohlenstaub aus den DDR-Jahrzehnten eingefärbte braune Stuckfassaden, ein Sammelsurium von neuen und alten Fenstertypen, in den Erdgeschoßen die Ateliers von Künstlerinnen und Künstlern und Wohnungen mit WC am Gang und Kohleheizung. "Substandard" würde den derzeitigen Zustand nur unzureichend definieren. Doch die Mieterinitiative ist rege und möchte diese Wohnanlage als Refugium inmitten des gentrifizierten Prenzlauer Bergs erhalten. Dass das keine einfache Aufgabe wird, ist selbst für den Laien sichtbar.

Auch Neubauten entstehen

Mehrgeschoßiger Holzneubau in der Lynarstraße.
Mehrgeschoßiger Holzneubau in der Lynarstraße.

Nicht nur um abgewohnte Häuser, sondern auch um neue Projekte kümmert sich eine weitere dieser "jungen Genossenschaften", die im Jahr 2000 gegründete Ostseeplatz e. G. Sie hat auf einer Fläche, die als nicht bebaubar galt, einen mehrstöckigen Holzwohnbau realisiert.

An der Lynarstraße entstand auf einem schmalen Grundstück neben Bahn/U-Bahn und in Sichtweite von Industrieanlagen ein lebenswertes Gebäude. Schallschutz hilft gegen den Lärm, dafür wurden natürliche Belüftungen der Räume, im obersten Geschoß via Fassadenlüftung, eingebaut. Die Wohnräume wurden zu "Clustern" zusammengefasst, die auch über Gemeinschaftsräume verfügen. Dank Trockenbau lassen sich die Grundrisse der Wohneinheiten auch nachträglich relativ einfach verändern. Für die Gewerberäumlichkeiten im Erdgeschoß wurden Einrichtungen wie die Diakonie gewonnen, es gibt sogar eine eigene betreute "Demenz-WG". Die Clustergruppen haben auch das Belegungsrecht, wenn jemand auszieht, und nicht die Genossenschaftsleitung.

Die Mieten liegen in dem Neubau bei 8,50 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Jährlich wird das Haushaltseinkommen kontrolliert, wer mehr verdient, muss auch mehr zahlen. Wichtig ist, dass die Wohnkosten nie über die Marke von 30 Prozent des Gesamteinkommens steigen.

Genossenschaftsinitiativen im Gewerbebereich

Initiativen wie jene der drei erwähnten Genossenschaften beschränken sich übrigens nicht nur auf das Wohnen. Mit der GidaK existiert inmitten von Berlin auch eines von nur zwei deutschlandweiten genossenschaftlichen Projekten im Bereich Gewerbe. 1995 gegründet, hat die GidaK bis 2003 das Gelände der alten Königstadtbrauerei in der Saarbrückner Straße übernommen und schrittweise revitalisiert. Wie bei den Wohnbauten sind auch hier die "Mieter" die Genossenschafter. 2006 wurde das "Haus B" als erstes fertiggestellt. Im Erdgeschoß gibt es produzierendes Gewerbe, das damit preisgünstig in der Stadt verbleiben kann. In den Obergeschoßen sind Dienstleister eingemietet, darunter auch der prominente deutsche Filmemacher Wim Wenders. "Die Büromiete liegt bei 8,50 Euro statt bei 30 bis 40 Euro in dieser Lage", ist Vorstand Jörg Schmidtsiefen stolz auf das Erreichte: "Wir haben nur eine Kostenmiete, es geht nicht um Gewinne." Acht Fixzinskredite hat die GidaK derzeit am Laufen, am Ende der Vertragsperiode muss neu verhandelt werden. Auch hier gilt: lange Kreditlaufzeiten und wenig Tilgung.

Mit der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in Österreich sei man im Vergleich jedenfalls gut aufgestellt, sagt vwbf-Obmann Michael Gehbauer: "Das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz sieht keine Gewinnentnahmen vor, auch die Kosten sind geregelt." Das erweckt durchaus Begehrlichkeiten. Klaus Mindrup, früherer SPD-Bundestagsabgeordneter und stark in den jungen Genossenschaften verwurzelt, sieht den österreichischen Weg als Vorbild: "Das Ziel sind Hilfe zur Selbsthilfe und Solidarität. Leider ändern sich bei uns die Rahmenbedingungen alle zwei Jahre, während in Österreich diesbezüglich stabile Verhältnisse herrschen."