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Zukunftgerechtes Wohnen: Bauen und Wohnen neu denken

Ideen für zukunftsgerechtes Wohnen. Modulbaulösungen, die dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken, und Planung, die Gemeinschaft fördert.

Kiubo-Vorzeigeprojekt in der Grazer Starhemberggasse in Modulbauweise.
Kiubo-Vorzeigeprojekt in der Grazer Starhemberggasse in Modulbauweise.

Es gibt viele Ansätze, Wohnen neu zu denken. Eine davon ist die Art zu bauen. Das Unternehmen Kiubo, eine Tochtergesellschaft der Wohnbaugenossenschaft ÖWG in Graz, entwickelt dazu den Modulbau weiter. Bei einem Holzbauunternehmen im steirischen Pischelsdorf werden Wohnmodule mit einer fixen Größe von 25 Quadratmetern hergestellt, die beliebig eingesetzt und erweitert werden können.

Kiubo: Module für flexibel veränderbaren Wohnraum

Im Demoprojekt in der Grazer Starhemberggasse sind auf vier Stockwerken 33 Module in 19 freifinanzierten Mietwohnungen und einer Gewerbefläche verbaut. Die bauliche Basis ist ein Betonskelett, in das die bereits möblierten und vollausgestatteten Wohneinheiten eingeschoben, fixiert und angeschlossen werden. Theoretisch wären Wohnobjekte mit bis zu 120 Wohnungen auf sechs Stockwerken möglich.

Für den Kiubo-Geschäftsführer Florian Stadtschreiber handelt es sich dabei nicht nur um flexibel veränderbaren Wohnraum - die Module können auf 100 Quadratmeter erweitert, nach Bedarf wieder rückgebaut werden -, sondern auch um eine mögliche Lösung zur Behebung des Facharbeitermangels. Das Stichwort lautet: Industrialisierung. Bauen vor Ort werde immer teurer, beim Modulbau seien die Monteure und Arbeiter nicht wie auf Baustellen dem Wetter ausgesetzt, sie fertigten die Module in der Halle, auf diesem Raum sei die Qualitätskontrolle einfacher möglich, es funktionierten zudem Teamwork und Absprachen besser. Für die Fertigung selbst könne man ungelernte Kräfte einsetzen.

Die Art des Bauens neu zu denken sieht Stadtschreiber als überfällig an: "Während über die letzten Jahre in allen Branchen Effizienzsteigerungen von über 30 Prozent verzeichnet wurden, lagen sie im Baubereich bei zwei Prozent."

Über das Leben und nicht nur über das Wohnen reden

Vor einem Jahr wurde Kiubo gegründet, aus diesem Anlass lud das Unternehmen zu einem Gespräch über das Thema Wohnen von morgen. Dabei zeigte sich: Über das Leben zu reden wäre wichtiger, als nur über das Wohnen zu reden. Wie Wohnraum auf zwischenmenschliche Beziehungen, Entwicklung, Konzentration, Motivation, Erholung und Gesundheit wirkt, ist ausführlich untersucht, auch, welche Faktoren Vandalismus in und an Gebäuden, Kriminalität oder Leerstände begünstigen oder bewirken.

"Wir geben oft anderen Menschen die Schuld an Konflikten, aber dass auch Räume beteiligt sein können, ist uns nicht bewusst", betont Harald Deinsberger-Deinsweger vom Institut für Wohn- und Architekturpsychologie. Er fordert in diesem Zusammenhang, das vorhandene Know-how und die vorliegenden Studien stärker in Planungsprozesse einzubringen. Gerade dort, wo Wohnraum teuer ist, müssten Grundrisse gut durchdacht werden: beziehungs- statt trennungsfördernd lautet hier die Devise.

Während etwa darauf geschaut werde, dass jedes Kind über ein eigenes Zimmer verfüge, fehlten Eltern oft persönliche Rückzugsmöglichkeiten: Deren Schlafzimmer sei in der Regel monofunktional, das Wohnzimmer hingegen werde von allen bespielt oder von Einzelnen besetzt. Wenn persönliche Nischen zum Rückzug fehlten, suche man nach Ersatznischen, die sich in der Regel außerhalb des Familienwohnraumes befänden.

Geht es um große Wohnprojekte, müssten auch Gemeinschaftsräume und Areale zur Entspannung außerhalb der eigenen vier Wände mitgedacht werden. "Am besten können wir uns immer noch im Freien entspannen."

Für Florian Stadtschreiber von Kiubo ist ein Hochhaus nichts anderes als ein in die Vertikale gebautes Dorf. "Dieses Gefäß muss gut konzipiert sein, damit das Leben und das Soziale dort ihren Platz finden", betont er. Zudem hat die nachkommende Generation andere Vorstellungen von Wohnen: Junge Menschen sind mobiler, wollen sich seltener an einen Ort binden und können sich - auch mit den neuen Bankenregelungen - eigenen Wohnraum schlicht nicht mehr leisten.

Die einzelnen Module werden fix und fertig angeliefert.
Die einzelnen Module werden fix und fertig angeliefert.

Stattdessen sollten der Wohnungswechsel und Umzug unkompliziert sein, sagt Stadtschreiber. "Junge Menschen verstehen nicht, dass man beim Autohändler ein Auto finanzieren, versichern und damit heimfahren kann, beim Wohnen aber zig Dinge wie Versicherung, Energie, Internet einzeln zu besorgen hat."

Der Modulwohnraum von Kiubo decke genau diese Bedürfnisse ab. Die Kleinwohnungen sind voll ausgestattet, es stehen ein Waschraum und Gemeinschafts- sowie Freiräume zur Verfügung. Ein Grillplatz lässt sich beispielsweise über eine App reservieren, elektronisch wird dabei auch der Strom freigeschaltet.

Design und Funktionalität müssen in der Architektur Hand in Hand gehen

Geht es um den Aspekt Design in der Quartiersentwicklung, so bringt die Expertin Claudia Nutz gern zwei Beispiele: den Hauptplatz in Siena, wo der öffentliche Raum im Vordergrund steht und die Häuser sich einfügen, und die Wohnsiedlung Alterlaa mit ihrer wenig charmanten und dominanten Architektur, aber sehr hohen Zufriedenheitswerten bei der Wohnbevölkerung. Design funktioniert hier offenbar, auch wenn es dem Geschmack oder Zeitgeist nicht mehr entspricht. Für das Bauen von morgen rät die Planerin dennoch: "Ein Quartier darf durchaus vom Design und von der Gestaltung her konservativ sein, weil es langlebig sein muss."

Design und Funktionalität müssten dabei Hand in Hand gehen: Der Fokus rein auf Design ist dabei genauso wenig zielführend wie die alleinige Zielsetzung auf Funktionalität, wo aber die Ästhetik zu kurz kommt. Stärker im Mittelpunkt stehen müsse hingegen der öffentliche Raum: Das Erdgeschoß eines neuen Quartiers zählt Nutz nicht mehr länger zum Objekt, sondern zum Stadtraum. Genauso brauche es für eine gelingende Quartiersentwicklung ausreichend Grün- und Freiräume, mitgedacht werden müssten auch die Themen Energie, Klimaschutz und Mobilität. Das reicht bis hin zur Kreislaufwirtschaft mit der Idee, dass Baustoffe rezyklierbar werden und taugliche Fenster nicht beim Müll landen, sondern woanders eingebaut werden.

Geht es um ein Neudenken von Wohnraum und Stadtteilen, ist laut Nutz Prozessdesign unabdingbar: Quartiersentwicklungen passierten peu à peu, alles greife ineinander, das benötige steuernde Begleiter, um Prozesse nach Bedarf anpassen und abändern zu können. Für alle Beteiligten, einschließlich der Architekten und Planerinnen, bedeute das mehr Interdisziplinarität und vor allem: andere Meinungen auch aushalten zu können.

Für die Zukunftsforscherin Christiane Varga ist klar, dass sich das Wohnen der Zukunft als soziale, architektonische, ästhetische und ganzheitliche Intelligenz zeigt. Wohnraum müsse sich an eine sich stets verändernde Gesellschaft anpassen und nicht umgekehrt, die Technologie unterstütze hier bestenfalls. "Wir sollen flexibler denken, nicht um Bestehendes wegzunehmen, sondern um es zu ergänzen."