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"Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet"

Kardinal Reinhard Marx spricht sich für das Ende des Pflichtzölibats aus. Der Münchner Würdenträger stand zuletzt wegen Fehlverhaltens in seinem Bistum in der Kritik.

Kardinal Reinhard Marx .
Kardinal Reinhard Marx .

Es ist ein bemerkenswertes Interview, das der 68-jährige Erzbischof von München und Freising diese Woche der "Süddeutschen Zeitung" gegeben hat: "Es wäre besser für alle, die Möglichkeit für zölibatäre und verheiratete Priester zu schaffen", sagte Kardinal Reinhard Marx darin. "Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet. Nicht nur aus sexuellen Gründen, sondern weil es für ihr Leben besser wäre und sie nicht einsam wären. Diese Diskussion müssen wir führen." Die kirchliche Sexualmoral habe "viele Verklemmungen erzeugt. Da haben wir Schuld auf uns geladen".

Die Aussagen lösten Schlagzeilen aus. Marx äußerte sich schon in der Vergangenheit kritisch über die Institution Kirche, die dringend Reformen benötige. Die in den vergangenen Jahren immer wieder zutage getretenen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche sind für Marx Indiz für dringenden Reformbedarf. Seit Jahren fordert er zudem einen anderen Umgang der Kirche mit homosexuellen Menschen. Eine bestimmte sexuelle Neigung bedeute nach seiner Ansicht "keine Einschränkung, Priester zu werden", sagte Marx schon früher.

Obwohl er mit seiner Distanzierung zum Pflichtzölibat hohe Wellen schlägt, hält der Kirchenrechtler Thomas Schüller die Aussagen generell für "nicht ketzerisch oder revolutionär", wie er der dpa sagte. Marx beschreibe lediglich, was in der Geschichte der katholischen Kirche lange Zeit gängige Praxis gewesen sei. Er riskiere mit seinen Äußerungen nichts, er wiederhole "gefahrenfrei für den Fortbestand seiner kirchlichen Karriere" eine bereits von vielen Katholiken immer wieder geforderte Rückkehr "zu einer in der Geschichte der katholischen Kirche lange Zeit bewährten Praxis", sagte Schüller. Erst nach der Reformation im 16. Jahrhundert habe die Kirche das Pflichtzölibat für Priester festgelegt.

Die jüngsten Äußerungen des Erzbischofs dürften ein Versuch der Beschwichtigung sein, eine Art Mea Culpa des Würdenträgers. Denn Mitte Jänner veröffentlichte die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl ein Gutachten über Missbrauchsvorfälle im Erzbistum München und Freising in den Jahren 1945 bis 2019. Die Anwälte selbst stellten ihre Erkenntnisse als "Bilanz des Schreckens" vor. Das 1900 Seiten umfassende Werk hatte aufgezeigt, dass Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern im Erzbistum über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren. Die Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 Tätern aus. Seit Veröffentlichung des Gutachtens vor knapp zwei Wochen haben sich weitere 15 mutmaßliche Missbrauchsopfer gemeldet.

Die Anwälte benennen in ihrer Studie auch Verantwortliche, darunter Kardinal Marx, dem Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsopfern angelastet werden. Auch Joseph Ratzinger, heute Benedikt XVI., wird in dem Gutachten persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen. Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising.

Marx bat die Opfer mehrfach um Verzeihung. Die größte Schuld habe darin bestanden, die Betroffenen übersehen zu haben. "Das ist unverzeihlich. Es gab bei uns kein wirkliches Interesse an ihrem Leiden." Noch im Mai 2021 bot Marx seinen Rücktritt an, um für Fehler auch in seinem Bistum Verantwortung zu übernehmen. Der Papst lehnte dies damals ab. Derzeit hält Marx trotz der Kritik an seinem Posten fest.