Damit steht für den Franzosen die nächste hochkarätige Herausforderung an, nachdem er sich in Wien vergeblich um eine dritte Amtszeit beworben hatte. Hier beerbt ihn Bogdan Roscic. "Ich wäre gerne hier geblieben", hatte Meyer noch Anfang des Jahres gegenüber der APA gesagt. Die Entscheidung sei letztlich aber nicht in seiner Hand gelegen. "Ich bin aber nicht verbittert", gab Meyer zu verstehen. Sein Amtsantritt in Wien war zunächst von einhelligem Lob begleitet, allerdings musste der Kulturmanager bald erkennen, dass das Wiener Parkett ein glattes ist. "Nirgends hat man so viele verschiedene Menschentypen und auch Menschenschicksale um sich wie in einem Opernhaus", hatte Meyer bereits in weiser Voraussicht 2010 in seiner Biografie beschieden ("Szenenwechsel Wiener Staatsoper", Styria Verlag).
Geboren wurde Meyer am 8. August 1955 im elsässischen Thann. Er lebte aufgrund der Versetzung des Vaters als Kind unter anderem im deutschen Mühlheim. Seine erste Leidenschaft galt zu Beginn seiner Karriere dann nicht der Musik, sondern der Wirtschaft, weshalb er in Paris ein Wirtschaftsstudium aufnahm. Allerdings habe er damals bereits täglich eine Oper, ein Theaterstück oder ein Konzert besucht, erinnerte sich der spätere Operndirektor an diese Zeit. Bis zum beruflichen Engagement im Kultursektor sollte es allerdings noch dauern.
So erfolgte nach dem absolvierten Studium sein Einstieg in die französische Politik, wo er ab 1980 im Industrieministerium für Elektronik- und Computerindustrie zuständig war. Für die Kultur entdeckte ihn der damalige sozialistische Minister Jack Lang, der ihn 1984 als Berater für die Bereiche Film- und Kulturindustrien in sein Ministerium holte und zu Meyers Mentor werden sollte.
Den Duft der Bretter, die die Welt bedeuten, schnupperte Meyer dann erstmals 1986, als er in beratender Funktion für die Präsidenten der Pariser Oper berufen wurde. Nur drei Jahre später sollte er, nach einem erneuten kurzen Zwischenspiel in der Kulturpolitik, zum Generaldirektor des Hauses werden. Das Lob sicherte er sich primär mit der schwierigen, aber geglückten Eröffnung der Bastille Oper, die im Zentrum seiner damaligen Aufgabe stand. Dies brachte ihm 1991 erneut den Job als Kulturberater im Ministerium ein, wo er unter anderem mit der Gründung des Fernsehsenders Arte beschäftigt war. Aus dieser Zeit stammt auch Meyers Dokumentarfilm "Eclats de Voix", den er als Co-Autor und -Regisseur über den Bayreuther Jahrhundertring drehte. Doch auch diese politische Funktion hielt den Opernfreund nicht allzu lange.
1994 wurde er Generaldirektor der Oper von Lausanne und ließ in der Schweiz fünf Jahre lang mit selten gespielten Werken anstelle der großen Klassiker aufhorchen. Die Rückkehr nach Paris erfolgte 1999, als der Operndirektor ans privat geführte Theatre de Champs-Elysees berufen wurde. Auch dort brachte Meyer vielfach Ungewöhnliches auf die Bühne und beförderte die Renaissance des barocken Repertoires mit. Daneben war er bis 2010 Präsident des französischen Jugendorchesters und fungierte von 2000 bis 2003 als Präsident der Kommission "Fernsehen, Schauspiel und Musik" am Centre National de la Cinematographie. Daneben konnte er Kontakte zu den Wiener Philharmonikern knüpfen, deren französischer Stützpunkt das Champs-Elysees ist.
Auf seinen derzeitigen Wiener Posten bewarb sich Meyer dann 2007 ganz formell - und trat damit den raren Beweis an, dass auch Spitzenposten auf diesem Wege in Österreich zu erlangen sind. "Generell bin ich der Überzeugung, man kann an einem Haus wie der Wiener Staatsoper nur sanfte Anpassungen vornehmen", gab Meyer als Motto aus: "Es ist nicht möglich, alle Reformen, die vielleicht nötig sind, gleichzeitig in Angriff zu nehmen."
Durchaus vorsichtig legte er in den folgenden Jahren auch zunächst die Programmierung am Haus am Ring an, es gab musikalische Achtungserfolge wie einige Missgriffe zu verzeichnen. Zu den großen Erfolgen zählte der "Ring" unter Christian Thielemann, die "Anna Bolena" mit Anna Netrebko und Elina Garanca, Puccinis "La Fanciulla del West" mit Jonas Kaufmann, Nina Stemmes Rollendebüt als "Elektra" oder Thomas Ades' "The Tempest". Spät, aber dann umso vehementer begann Meyer mit der Präsentation von Uraufführungen. Auf die hochpolitischen "Weiden" von Johannes Maria Staud und Durs Grünbein im Vorjahr wird im Dezember etwa Olga Neuwirths "Orlando" folgen.
Werke wie Manfred Trojahns "Orest" als Ersatz für die eigentlich geplante und vom Komponisten Krzysztof Penderecki abgesagte "Phaedra" oder Gottfried von Einems "Dantons Tod" ergänzten in der zweiten Amtszeit den zeitgenössischen Premierenreigen. Die in der Auftaktspielzeit eingeläutete Renaissance der Barockopern am Haus mit Händels "Alcina" fand hingegen einzig mit "Ariodante" im Vorjahr eine Fortsetzung. Weniger glücklich verliefen da des öfteren die Regieentscheidungen. Höhepunkt in dieser Hinsicht war der Da-Ponte-Zyklus unter Jean-Louis Martinoty, der nach heftiger Kritik an den Inszenierungen von "Don Giovanni" und "Figaro" noch vor der "Cosi" abgebrochen wurde.
Dem Publikumszuspruch tat dies allerdings keinen Abbruch, schrieb die Staatsoper unter Meyer doch weiterhin Erfolgszahlen. So verzeichnet man etwa in der laufenden Saison bisher eine Gesamtauslastung von 99,21 Prozent. An seinen Nachfolger wird Meyer voraussichtlich einen Finanzpuffer von 16 Mio. Euro übergeben können: "Es ist mir sehr wichtig, dass man nicht sagen kann, dass der Meyer das Haus in einem schlechten Zustand hinterlassen hat", hatte er bei der Präsentation seiner Abschiedssaison betont.
Und doch gab es abseits programmatischer Fragen auch einige interne Querelen, die mit der Direktion Meyer verbunden bleiben werden: 2014 legte Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst wegen "Differenzen über die künstlerische Ausrichtung" sein Amt sowie alle geplanten Dirigate nieder, auch Maestrokollege Bertrand de Billy schied im Unfrieden. Und 2015 verkündete Staatsballettdirektor Manuel Legris: "Ich erwarte mehr von der Direktion."
Das größte Kopfzerbrechen bereitete Meyer wohl allerdings die Ballettakademie der Staatsoper in den vergangenen Monaten, nachdem im April schwere Vorwürfe bekannt wurden: Eine Lehrerin habe Schüler gedemütigt, die Jugendlichen seien außerdem Gewalt und Drill sowie einem ungesunden Körperbild ausgesetzt gewesen. Weiters steht der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs durch einen Lehrer im Raum. Es wurde eine Sonderkommission zur Klärung eingerichtet, Meyer selbst zeigte sich bestürzt: "Die ganze Sache trifft mich sehr."
Nun also wird Dominique Meyer in Mailand in die Fußstapfen von Alexander Pereira treten - als zweiter Franzose an der Spitze der Scala nach Stephane Lissner, der 2005 bis 2015 das Haus führte und damals auch über Wien kam, wo er Musikdirektor der Festwochen gewesen war. Nach seiner letzten Wiener Spielzeit 2019/20 steht für Meyer also nicht die Operndirektorenpension an, sondern eine neue Herausforderung an der Scala, die der Staatsoper in dieser Hinsicht in nichts nachstehen dürfte. In bocca al lupa, Dominique Meyer!