Eisig kalt rauscht der Wind um eine schwere Stahltür, die eingebettet in einen spektakulären Betoneingang ins Innere eines schneebedeckten Bergs führt. In dieser frostigen Umgebung liegt ein Schatz, der letztlich dabei helfen soll, die Ernährung der Menschheit sicherzustellen: Samen etwa von Weizen und Gerste, unterschiedlichen Obst- und Gemüsesorten sowie vielen weiteren Nutz- und Kulturpflanzen werden hier auf Spitzbergen in aller Abgeschiedenheit gelagert - fernab von Krieg, Zerstörung und Naturkatastrophen und bei Minusgraden konserviert für die Zukunft.
Eröffnet wurde der Saatguttresor 2008
Das Svalbard Global Seed Vault, der globale Saatguttresor auf der nordnorwegischen Inselgruppe Spitzbergen in der Nähe des Polarstädtchens Longyearbyen, ist seit seiner Eröffnung 2008 zu einer Art arktischer Arche Noah für die Pflanzenvielfalt geworden. Samen von mehr als 6000 Pflanzenarten sind tiefgefroren dort gebunkert, damit man im Fall der Fälle auf sie zurückgreifen kann. Nun wurde diese einzigartige Anlage auf Spitzbergen, das im Norwegischen und auch im Englischen meist Svalbard genannt wird, 15 Jahre alt.
"Svalbard ist für uns eine Lebensversicherung, die wir vielleicht nie in Anspruch nehmen werden", sagt Stefan Schmitz, der Exekutivdirektor des in Bonn ansässigen Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, kurz Crop Trust genannt. "Es ist eine Lebensversicherung für die Ernährung der Welt im 21. Jahrhundert." Crop Trust zählt neben der norwegischen Regierung und dem nordischen Agrarforschungsinstitut NordGen zu den drei Betreibern des Saatguttresors. Oberstes Ziel: die Pflanzenvielfalt der Welt und damit nicht zuletzt die Ernährung der Menschheit für die Zukunft zu sichern. "Wir sammeln dort Saatgüter und sichern sie, um gegen alle möglichen Notfälle gewappnet zu sein", betont Schmitz. Solche Notfälle treten im Idealfall niemals ein - einmal bislang aber doch: Das internationale Forschungsinstitut Icarda konnte im Zuge des syrischen Bürgerkriegs nicht mehr auf seine Genbank in Aleppo zugreifen, doch zum Glück hatte das Institut schon 2012 Kopien der Samen aus seiner Sammlung in Spitzbergen einlagern lassen.
Samenproben lagern auch im Libanon
"Wir konnten damals 116.000 Samenproben zu Icarda im Libanon und Marokko schicken, mit denen neue Einheiten in diesen Ländern aufgebaut wurden", sagt Åsmund Asdal, der als Betriebskoordinator der Anlage so etwas wie der Wächter über den Saatgutschatz von Spitzbergen ist. "Es ist natürlich eine traurige Geschichte über Syrien, aber es ist ein exzellentes Beispiel für die Bedeutung des Saatguttresors." Mittlerweile konnte das Icarda bereits wieder über 100.000 Proben in den Saatguttresor zurückschicken.
Im Grunde alle Saatgutbanken der Welt können Sicherungskopien ihrer Bestände hinterlegen. Zurückfordern können sie diese Duplikate, wann immer sie es für nötig halten. Gelagert werden sie bei minus 18 Grad in vakuumverpackten Alutütchen, die in drei von der Außenwelt abgeschirmten Kühlkammern in Boxen verstaut sind. Man könne auch von einer "eisernen, eisigen Reserve" sprechen, sagt Schmitz.
Insgesamt sind derzeit 1 195.244 Saatgutproben von 93 Genbanken im Tresor gesichert, wie Asdal jüngst in einem Webinar erzählte. Darunter sind über 200.000 Weizen-, 170.000 Reis- und 90.000 Gerstenproben, von manchen Nahrungspflanzen dagegen nur eine oder zwei. Kapazität hat das Seed Vault für 4,5 Millionen Saatgutproben es ist also noch reichlich Platz da. Nun dürften doch eigentlich ein oder zwei Weizensorten ausreichen, um zum Beispiel einen vernünftigen Pizzateig zu fabrizieren, könnte man meinen. Und tatsächlich findet in der Landwirtschaft seit gut 100 Jahren eine Optimierung hin zu immer weniger Arten und Sorten statt, wie Schmitz sagt. Das macht Produkte unter anderem preiswerter und leichter lagerfähig - doch zugleich geht damit die Pflanzenvielfalt auf den Äckern abhanden. 75 Prozent davon sind nach Schätzung der UNO-Ernährungsorganisation Fao von 1900 bis 2000 verloren gegangen.
Genbanken sollen Diversität bewahren
Eine zentrale Aufgabe von Genbanken und des Tresors auf Spitzbergen ist es daher, diese Diversität zu bewahren. "Ziel der Genbanken und des Saatgutdepots auf Spitzbergen ist die Erhaltung der genetischen Vielfalt für künftige Forschung und künftige Züchtung, und wenn Sie es global sehen, auch für die künftige Ernährung der Menschheit", sagt auch Andreas Börner, der Leiter der Arbeitsgruppe Ressourcengenetik und Reproduktion am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben in Sachsen-Anhalt, der größten Genbank Deutschlands und der gesamten EU.
Um seine Bestände zu sichern, greift auch das IPK auf Spitzbergen zurück. Rund um das 15. Jubiläum werden dort 68 Boxen mit knapp 20.000 neuen Saatgutproben von 20 Genbanken erwartet. Sechs Boxen mit 2761 Proben stammen dabei vom IPK, ein Behältnis mit wilden Erdbeeren kommt zudem vom in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) ansässigen Julius-Kühn-Institut.
Spitzbergen liegt etwa auf halbem Weg zwischen dem Nordpol und der Nordspitze Norwegens. Diese Lage nützt der Sicherheit des Tresors doppelt: Zum einen gehört die Inselgruppe trotz sehr starker Erwärmung im Zuge der Klimakrise weiter zu den kältesten Gegenden der Erde - der Permafrost würde die Samen auch kühlen, sollte die moderne Kühlanlage ausfallen. Zum anderen ist Spitzbergen eine äußerst abgeschieden gelegene, entmilitarisierte Zone.