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Eveline Hasler - die "Biografin der vergessenen Schicksale" wird 85

Eveline Hasler ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Schweiz. Am Anfang standen Kinderbücher, in den letzten Jahrzehnten widmete sie sich vorrangig Lebensgeschichten.

Eveline Hasler.
Eveline Hasler.

Ihre historischen Romane - sie bevorzugt den Ausdruck "biografische Annäherungen" - wurden in bis zu zwölf Sprachen übersetzt. Die dreifache Mutter hatte schon eine umfangreiche Reihe an Kinderbüchern vorzuweisen, als 1982 ihr erster Roman "Anna Göldin. Letzte Hexe" erschien.

Die Inspiration zu den Büchern für die Kleinen war wohl neben der eigenen Mutterschaft auch Haslers Vater, ein leidenschaftlicher Flunkerer. Dieser Walter Schubiger war vor der Familiengründung sieben Jahre lang Buchhalter im New Yorker Kaufhaus Macy's. Ihre Kindheit sei eine "brüchige" gewesen, gestand die am 22. März 1933 in Glarus geborene Hasler einmal. Als sie neun Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden, die beiden Töchter durften wählen, mit wem sie leben wollten. Eveline entschied sich für den Vater.

Sie entschied sich für etwas "Vernünftiges"

Scheidungen waren damals in der ländlichen Schweiz kaum bekannt, noch weniger alleinerziehende Väter. Die Bäckerin habe jeweils Evelines Röcklein gelüpft, um zu prüfen, ob das Kind warme Strumpfhosen trug. Dass sie Schriftstellerin werden wollte, wusste Eveline Hasler schon früh. Dennoch entschied sie sich für etwas "Vernünftiges": Sie studierte Psychologie und Geschichte in Freiburg und Paris - Fächer, die sie beim Schreiben später brauchen konnte. Im Geschichtsstudium erfuhr sie den zweiten Kreativanstoß nach der Flunkerei des Vaters: Sie wollte Geschichte so erlebbar machen, wie ihr Professor das konnte.

Doch zunächst kamen die Jugend- und Kinderbücher. "Stop, Daniela" war 1962 noch kein großer Erfolg, erst "Komm wieder, Pepino" schlug 1967 ein. Pepino, dessen Geschichte in den 80er-Jahren von Mario Cortesi fürs Fernsehen verfilmt wurde, war wohl einer der ersten Gastarbeiter-Buben der Schweizer Literatur. Eveline Hasler gehörte damals zum sogenannten Bödecker-Kreis, wo Schreibende wie James Krüss, Michael Ende oder Christine Nöstlinger über eine zeitgemäße, nicht verklärende Kinder- und Jugendliteratur diskutierten.

"Nichts ist so fantastisch wie die Wirklichkeit"

Bücher für eine junge Leserschaft, insgesamt über 40, schrieb Eveline Hasler auch noch, als sie in den 1980er-Jahren begonnen hatte als "Biografin der vergessenen Schicksale" - wie sie das "Journal de Geneve" einmal betitelte - zu wirken. "Nichts ist so fantastisch wie die Wirklichkeit", pflegt Hasler zu sagen.

Sie schrieb unter anderem in "Ibicaba. Das Paradies in den Köpfen" über Schweizer, die nach Brasilien auswanderten und alles andere als die Freiheit fanden; in "Der Riese im Baum" über den 2,34 großen Melchior Thut, der als Jahrmarktsattraktion vermarktet wurde; in "Die Wachsflügelfrau" über Emily Kempin-Spyri, die erste promovierte Juristin Europas, der man nicht erlaubte, in die Männerdomäne einzudringen; und in "Die Vogelmacherin" über Minderjährige, die als "Hexenkinder" hingerichtet wurden.

Mit ihren beiden letzten Erwachsenenromanen "Mit dem letzten Schiff" und "Stürmische Jahre" ist Hasler beinahe in der Gegenwart angekommen: Das vorletzte Buch erzählt vom Amerikaner Varian Fry, der im Zweiten Weltkrieg fast 2000 Menschen vor den Nazis rettete. Und "Stürmische Jahre" handelt unter anderem vom Ehepaar Rieser, das im Zweiten Weltkrieg das Zürcher Schauspielhaus zum Hort für verfolgte Schauspieler aus Nazideutschland machte.

Letztes Jahr wollte Eveline Hasler, die seit längerem mit ihrem Mann in Ronco sopra Ascona lebt, kein neues Buch mehr versprechen. Mittlerweile hat es sie aber offenbar wieder gepackt. Die Autorin habe ein neues Werk in Arbeit, sagte ihr Lektor vom Verlag Nagel&Kimche auf Anfrage. Über Epoche und Sujet wolle er aber nichts verraten.